Vom einzigen Magier aus unserer UA Runde:
John war schon immer Method Actor. Er steigerte sich in jede Rolle, die er spielte, enorm hinein. Je länger er vor einem Vorsprechen in Kostüm seine Rolle üben konnte, desto besser war er (daß er dabei übte, "Charges" aufzuladen, war und ist ihm unklar). Vor einigen Mona-ten rief ihn sein Agent Simon Goldberg an - ein sehr seltenes Ereignis, normalerweise be-kam John mal bestenfalls mal von Mr Goldbergs Sekretärin auf beharrliches Nachfragen hin Bescheid für ein Vorsprechen für einen neuen dussligen Werbespot oder ähnliches, der A-gent selbst war für ihn nie erreichbar. Diesmal aber hatte ein Produzent Johns Setcard als geeignet herausgepickt. Geeignet für eine Rolle in einer eher billigen Produktion, in ei-nem mittelmäßigen Dinner-Theater, aber in Johns Traumrolle: Cyrano de Bergerac.
Der Vorsprechtermin war am späten Nachmittag, doch schon am Vorabend, gleich nach ei-nem kurzfristigen Nebenjob bei MacDonalds, begann John seine Vorbereitung. Die ganze Nacht und den ganzen Vormittag hindurch schminkte er sich, legte die künstliche falsche Nase an, rezitierte Text, übte vor dem Spiegel Fechten. Schließlich brach er zum Theater auf, doch er kam nie dort an. Er kam gar nicht auf die Idee, zum Theater zu fahren, da er sich so in die Rolle hineingesteigert hatte, daß er überhaupt nicht mehr an Autos dachte. Er ging zu Fuß, mitten durch einen der übelsten Straßenstriche New Orleans, im Kos-tüm aufgetakelt. Die Leute lachten ihn aus - er dachte, es läge an seiner langen Nase und ignorierte sie äußerlich, erfüllt aber von innerem Schmerz. Da sprach ihn eine junge, blon-de Prostituierte an. Wie das Schicksal es wollte, stellte sie sich als "Roxy" vor. Er hielt sie für seine geliebte Roxanne und antwortete ihr in umständlichen theatralischen Versen. Sie verstand sie nicht, fühlte sich bedroht, rief nach ihrem Zuhälter. Der albern kostümierte John redete aber weiter auf sie ein. Schnell fand er sich umringt von etwa einem halben Dutzend übler Zuhälter und Schläger, bewaffnet mit Klappmessern, Baseballschlägern, und sogar mit Schußwaffen. Sie pöbelten ihn an, veralberten ihn, schubsten ihn herum.
Da machte es "klick".
Zum ersten Mal setzte John, ohne es zu wollen, Magie ein. Er hatte eigentlich keine reale Chance gegen die Zuhälter, doch plötzlich hatte er seinen Degen in der Hand, und er war schneller als die Blicke der Zuhälter, schneller als ihre Finger am Abzug. Und dennoch hatte er irgendwie noch genug Zeit, spontan spöttische Reime auf seine Opfer zu verfassen, wäh-rend er sie erstach. In Zeitlupe fielen sie zu Boden, spritzte ihr Blut in Strömen. Die Zeit ge-horchte plötzlich anderen Gesetzen, seinen Gesetzen.
Sein klares Denken setzte erst wieder ein, als ihm eine panisch und hysterisch kreischende Roxy/Roxanne ihre Handtasche ins Gesicht schlug, bevor sie in Todesangst davonrannte. Und plötzlich war er wieder John. Er konnte nicht fassen oder verstehen, was geschehen war, torkelte nach hause, sprach nie mir irgendjemanden ein Wort darüber. Er flüchtete sich stattdessen immer mehr in seine Rollen.
Die Polizei ermittelte nicht lange. Sie tat das ganze als Bandenkrieg ab, schrieb die toten Zuhälter - Latinos und Farbige - der Yakuza oder den Russen zu, denen sie aber allen nichts nachweisen konnte. Das einzig seltsame ist, daß außer der geschlossenen Akte noch heute etwas sehr ungewöhnliches in einer Asservatenkammer in New Orleans ruht. Eine kaputte Theaternase aus Pappmache.