So, der Widerwille, fürs Examen zu lernen, hat mich noch einmal in die Tiefen der Schmiede hinabgetrieben...
Ich habe wieder viel gelesen, um vielleicht doch noch zu einer tieferen Einsicht zu gelangen, auch in Anerkennung der Einwände, die Fredi hier gegen meine Kritik vorgebracht hat. Die Erkenntnisse möchte ich für die (vielleicht) Interessierten hier mal kurz zusammenfassen.
1) Ich habe den Terminus "Kohärenz" falsch verstanden. Kohärenz nach Forge bedeutet nicht, ausschließlich eine einzige Creative Agenda zu haben. Es bedeutet nur, dass die vorhandenen Creative Agendas sich im Einklang miteinander befinden. Ferner bezieht sich der Begriff auf konkrete Spielsituationen und nur indirekt auf Spieldesign. So weit stand es sogar noch im "Provisional Glossary" (siehe auch "Hybrid").
Ferner ist anerkannt, dass es GNS-ambivalentes Verhalten gibt. Teilweise wird das unter dem Stichwort "Kongruenz" diskutiert. D.h. was ich immer gesagt habe, dass man eben den Kopf des Spielers nicht aufschneiden kann und das objektive Verhalten oft mehrdeutig ist, wird durchaus anerkannt.
Durch diese -- wie ich finde sehr weitgehende -- Relativierung der Unterteilung des Spiels in G, N und S lässt sich das Modell natürlich wesentlich besser gegen Kritik verteidigen. Andererseits gibt es aber auch einen Grund, warum ich nie so recht glauben wollte, dass die Kategorisierung nicht konsequenter betrieben wird. (Und wenn man sich das "Actual Play" in der Forge anschaut, dann wird dort auch tatsächlich versucht, möglichst eindeutige GNS-Analysen zu treffen). Wenn nämlich eine Kategorisierung oftmals wegen Kongruenz und einhergehender Kohärenz gar nicht möglich ist, dann verliert das Modell viel an praktischem Nutzen.
Ein Problem bleibt außerdem: Instance of Play. Denn die Idee vom Instance of Play, genau wie GNS-Game-Design und GNS-basierte Problem-Analyse, fußen auf der Annahme, das ein Spieler sich in der Regel auf eine bestimmte Creative Agenda einschießen wird. Tut er das nicht, funktioniert GNS nicht. So einfach. Und
dass er das tut, ist eine bloße Unterstellung, die ich an mir selbst und meinen Stammspielerinnen nicht wirklich bestätigt finde.
2) Ich bin mir immer nicht ganz sicher, was eigentlich genau das Selbstverständnis der Creative Agendas ist. Eine Beschreibung der abstrakten Vorlieben eines Spielers, die sich
dann in der Konzentration auf bestimmte Aspekte der Exploration und der Wahl bestimmter Techniken und Ephemera manifestiert? Der klassische Aufbau würde das nahelegen:
[Social Contract [Exploration [Creative Agenda
--> [Techniques [Ephemera]]]]]
Dieser Pfeil scheint ursächlichkeit zu Implizieren. Eine solche Ursächlich keit aber ist ein bloßes Denkkonstrukt, von dem ich bezweifle, dass es sich empirisch belegen ließe. Schauen wir uns das mal am Beispiel Narrativismus an: Vanilla Narrativism (ohne die typischen Regeln und Techniken der neuen narrativistischen Design-Schule) ist eine völlig andere Art zu spielen als Pervy Narrativism (mit den besagten Mechanismen). Meine Vermutung wäre, dass dieser sogenannte "Vanilla Narrativism" als Reinform so gut wie nie vorkommt. Vielmehr wird er sich fast immer mit Sim mischen (schon wegen: Nar ist
nur Prämisse, Sim ist fast alles). Und da die Regeln der allermeisten klassischen Systeme auch ein bisschen Gam provozieren, wird man in einer solchen Runde einen bunten Mix der Creative Agendas finden. Wer weiß, vielleicht sogar kohärent.
Was heißt das nun? Ganz einfach: Rein narrativistisches Spiel wird in aller Regel nur in zwei Fällen stattfinden: a) Pervy Narrativism mit einem entsprechenden Regelwerk oder b) unter Forge-Freaks, die ganz bewusst narrativistisch spielen wollen. Was aber auch schon pervy wäre,
wenn die Prämisse ausdrücklich vor dem Spiel festgelegt wird.
Das führt mich zu der Schlussfolgerung, dass die Creative Agenda in Wirklichkeit nicht eine Disposition einer Person ist, die sie dazu bringt, bestimmte Techniken und Ephemera zu wählen. Vielmehr ist die Creative Agenda (als Modell) die Umschreibung eines bestimmten stringenten Verhaltens, das am besten dadurch zustande gebracht wird, dass ganz bestimmte Techniken und Ephemera vorgegeben werden. Der Pfeil oben müsste eigentlich in die andere Richtung gehen.
Ergo: Narrativism ist eine Spiel- und Designschule, deren tatsächlicher Wert in den Techniken und Ephemera liegt. Das Konzept der Creative Agenda als treibende Kraft dahinter zu betrachten heißt, das Pferd von hinten aufzuzäumen.