Weil der Text so lang geworden ist, die in meinen Augen wichtigsten Punkte vorweg:
- Motivationen tauchen praktisch nie "in Reinform" auf
- Motivationen können sich ändern
- das trifft auf die Spieltisch- und die Spielweltebene zu, aber auf der Spielweltebene sind die Dinge glücklicherweise dennoch einfacher
- es gibt komplexe und nicht offensichtliche Einflüsse von der Spieltisch- auf die Spielweltebene
- Sind die Motive miteinander kompatibel?
Es gibt
bestimmt Theorien, die darauf mit einem entscheidenen "Nein" antworten, aber da ich lieber "beim Menschen" bleibe, wie er ist - gewiß. Darum ist man sich ja manchmal selbst nicht sicher, was man tun soll: Es wäre gewiß angenehm... aber dann könnte man nicht mehr... für sich selbst würde man ja... aber wegen der andern sollte man doch...
Der Weg zwischen zwischen dem "Gut" des Jetzt und dem der Zukunft, den Weg zwischen Eigensucht und Gefallsucht - da laviert, soweit ich weiß, der größte Teil der Menschheit hin und her und versucht, so gut es geht, immer soviel als möglich zu erreichen und möglichst wenig zu verlieren. Das klappt mal besser und mal schlechter. Besonders fein ist natürlich, wenn Erlebnis und Erfolg, eigener Antrieb und Applaus bei den anderen zusammenfallen, man also viele "Gewinne" zugleich einstreichen kann.
Gibt es andere Motive?
Motive sind (zumindest in der Praxis) selten "chemisch rein", im besten Fall sind sie eine Suspension, in der die einzelnen Teile noch erkennbar geblieben sind - aber ich fürchte, zumeist sind sie eine Mischung, in der bestimmte Reaktionen bereits abgelaufen sind... Die genannten Motive verbinden sich mit anderen Motiven, und was daran bestimmend ist, was dagegen nur aufgrund seiner besseren Analysierbarkeit als wichtig wahrgenommen wird... wer will das sagen?
Bezugnehmend auf das 3-Ebenen-Modell kann schon mal zwischen Spieler- und Spielweltebene differenziert werden.
Die Trennung halte ich für sinnvoll, insbesondere deswegen, weil die Spielweltebene so viel einfacher ist als die vorfindliche Wirklichkeit, und für Rollenspieltheoretiker noch dazu - glücklicherweise! - die wichtigere. Für die vorfindliche Wirklichkeit muß man gar nicht sonderlich tief bohren: Es muß aus rein praktischen Gründen genügen, diejenigen Motive und Ziele zu betrachten, die im Spieltischgeschehen "an die Oberfläche kommen". Was dahinter steht (und was man natürlich besser wissen würde, um
das zu bedienen, um den Spieler richtig glücklich zu machen), das kann man nicht als "wißbar" voraussetzen; der Spieler kann schließlich nicht gezwungen werden, das preiszugeben. Dummerweise muß er nichtmal preisgeben, welche Motive er überhaupt hat. Aber auf der Spielweltebene gibt es Hinweise, und manche sind deutbar, selbst wenn der Spieler sie nicht ausformuliert. Wenn man den Spieler eine Weile im Spiel beobachtet, kann man weitere Hinweise sammeln und hoffen, daß - weil es ja nur eine angenommene Identität ist - die Motivationslage tatsächlich ungefähr so ist, wie sie sich darstellt.
Ich würde bei der Psychologie der Spielweltebene also nicht zu tief graben wollen. Es gibt eine Liste gängiger Motivationen (Macht, Erfolg, Genuß, Geselligkeit, ...), und man wird davon ausgehen können, daß jeder Spieler eine Mischung davon zeigt. Daß das uU nicht dem entspricht, was er sich im Inneren wünscht, sollte man wissen, aber es genau bei diesem Wissen auch belassen, bis etwas von diesem Andern im Innern an die Oberfläche kommt. Man
sollte es eben darum wissen, weil man dann leichter damit umgehen kann, wenn sich plötzliche Motivationswechsel einstellen - und das kann sowohl geschehen, weil Motivationen auf- und abtauchen, als auch, weil der Mensch sich ja ändert und ihn das in keinem Aspekt seines Seins unbeeinflußt läßt.
Die Motivationen, die ein Spieler seiner Figur mitgibt, halte ich auf der Spielweltebene und für die Rollenspieltheorie für wichtiger. Sie wird (vom Spieler) festgelegt, aber das Wollen des Charakters kann sich über die Zeit hin ändern: auch dort können Aspekte auf- und abtauchen, hinzukommen und verschwinden. Wenn man davon ausgeht, daß außerhalb der Spielrunden sich nichts Relevantes ereignen kann, was die Motivation ändert, ist man aber zumindest in der glücklichen Situation, zu wissen, welche äußeren Einflüsse es gegeben hat, und man kann leichter Vermutungen anstellen, was das für eine Bedeutung annehmen kann. Nur sollte man auch für die Spielwelt nicht außer Acht lassen, daß es eine Oberfläche gibt und einen tiefen Bereich darunter, und man nur die Oberfläche sieht - vor allem, wenn man Mittel einsetzt, um die Motivation eines Charakters verbal zu erfassen. Eventuell erhält man dabei
falsche Angaben, und nichtmal aus "böser Absicht", sondern weil der Spieler nicht in der Lage ist, zu fassen, "was er will, daß der Charakter wollen soll".
Ein Punkt, der schon bekannt ist, sollte dennoch nicht unerwähnt bleiben: Ein Spieler kann seinem Charakter eine seiner eigenen Motivationslage nicht entsprechende Motivation mitgeben. Das ist bekannt (ein Spieler kann es als Erfolg betrachten, wenn sein Charakter scheitert), hat aber zuweilen komplexe Auswirkungen - nämlich dann, wenn es nicht so einfach gelagert ist wie in dem Beispielfall. Unter Umständen hält der Spieler es nicht durch, seinen Charakter gemäß dessen von ihm selbst eigentlich vorgesehenen Motivation zu spielen. Das kann daran liegen, daß er sich "übernommen" hat. Es kann aber auch soziale Konstellationen geben, die für einen Spieler von solcher Bedeutung sind, daß sie auf die Fiktion "überspringen", etwa in der Art: "Ich habe nichts dagegen, daß mein Charakter besiegt wird, aber
nicht von dem Charakter von dem
Kerl da!" - Nur eben wird es leider selten so gesagt werden, die Mitspieler sind also darauf angewiesen, es an den Handlungsweisen von Charakter und Spieler abzulesen. (Ebenso kann sich, um einen trivialen Fall zum Schluß zu nennen, ein Konflikt zwischen den Motivationen ergeben, wenn der Spieler gerade schlicht und einfach
dringend zur Toilette muß, aber den Spannungsbogen nicht einfach verlassen mag... ;-) )