Ich sehe es grundsätzlich als die Aufgabe von Händlern an, dass sie eben Handel treiben. Dazu gehört immer auch die Werbung beim Kundenkreis des Händlers in Form von Beratungsgesprächen, Testspielrunden und dergleichen.
Wenn Händler das nicht leisten wollen oder können, dann braucht der Verlag sie meiner (zugegebenermaßen eher rudimentären) Erfahrung nach nicht.
Warum erwartest du von Rollenspielhändlern etwas anderes als von Spielwarenhändlern, Buchhändlern, Waschmaschinenverkäufern, Kioskbetreibern, Blumenhändlern, Comichändlern? Veranstalten Comichändler Lesungen? Laufen Comichändler durch den Laden und stören die zufrieden stöbernden Kunden, um ihnen beratend den neuesten Kleinverlagstipp ans Herz zu legen?
Klar, ein Händler mit einer Stammkundschaft sollte diese kennen und ein Gespür dafür haben, was für kleine oder große Perlen dieser entgehen könnten, wenn sie immer nur in ihren Marvel/DC-Kisten stöbert. Und was soll ich dir sagen - genau
das tun Rollenspielhändler landauf-landab.
Wozu sie nicht verpflichtet sind, ist, jedes Produkt eines Kleinverlages, egal wie engagiert es produziert wurde, in ihr Regal aufzunehmen, wenn sie die Klientel dafür nicht sehen. Und du hat Recht, diese Händler braucht der Verlag auch nicht. Aber dann sollte der Verlag sich fragen, ob er nicht an dem Markt vorbeiproduziert, wenn die Masse der Händler seine Produkte ignoriert...
Händler handeln. Und sie fragen sich immerzu: "Warum soll ich gerade diesen Artikel führen? Was ist an diesem Artikel so attraktiv, dass Kunden ihn haben wollen?" Und: "Was tut der Hersteller, um a) die Kunden darauf aufmerksam zu machen, dass es den Artikel gibt, und b) diese Kunden dann in meinen Laden zu treiben?"
Wer schon einmal auf einer Buch- oder Spielwarenmesse war, wird ernüchtert sein, dass es dort sehr häufig kein Stück um inhaltliche Qualitäten geht, um die Schönheit oder Innovation eines Produktes, sondern nur den
Handel, um Marktzahlen.
An den Ständen der großen Brettspielverlage z.B. arbeiten sehr wohl Hostessen, die manchmal mit viel Mühe ein Spiel tatsächlich erklären können, aber viel wichtiger sind die überlebensgroßen Tafeln mit Balkendiagrammen, die aufzeigen, von wann bis wann in welchem Medium Werbung für die neue Siedler-Erweiterung gemacht wird. Das sind die Produkte, die die Händler gerne kaufen, denn da wissen sie, dass es eine Nachfrage mitgeliefert wird.
Der Kleinverlag, der sich in aller Naivität einen sündhaft teuren Stand nebenan gemietet hat und mit viel Herzblut seine Erstlinge - gestehen wir ihm zu, dass sie alle qualitativ hochwertig sind - präsentiert, wundert sich am Ende über nur mäßige Resonanz. Hat er nicht alles richtig gemacht? "Nein, ich kann Ihnen keine Hilfe geben, meine Spiele zu verkaufen, die Endkundenwerbung müssen Sie vor Ort machen", ... war vielleicht doch nicht überzeugend?
Rollenspielhändler bewerten jede Neuheit, die ihnen auf einem Newsfax eines Großhändlers angeboten wird, und wenn es nicht über einen Großhändler geht, hat sie gleich doppelt schlechte Karten: Händler lieben es, wenn sie Bestellungen bündeln können und nicht -zigfache Frachtkosten tragen müssen. Ein Kleinverlag mit geringer Produktanzahl schießt sich ins Knie, wenn er selbst ausliefert, denn ein Laden wird so nicht sofort nachbestellen, wenn ein Titel mal ausverkauft ist, weil er ja warten muss, bis
so viel aus dem Kleinverlagsangebot verkauft ist, dass sich die Logistik einer Bestellung lohnt. (Und ich meine nicht nur das Erreichen einer Frachtfreigrenze, Mengenrabatte o.ä., ich meine den tatsächlichen Vorgang einer Bestandsaufnahme und Bestellung.) Bei einem Großhändler würde er den einen ausverkauften Titel - vielleicht - sofort wieder nachbestellen.
Ein weiteres Problem ist mangelnde Information. Wie soll ein Händler wissen, ob ein Produkt für seine Klientel interessant ist, wenn die Verlage keine Infos rausrücken? In zwei Wochen erscheint Savage Worlds auf Deutsch, und drüben im Savage Worlds-Unterforum fragt man sich, wann es erste Teaser gibt, Beispielseiten, wengstens einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis? Ein Händler kann ein Produkt nur dann anpreisen, wenn ihm die Mittel dafür an die Hand gegeben werden. Reine Infos, Poster, Quickstart-Booklets,
irgendwas.
Ein Buch, blind gekauft, das im Regal Staub ansetzt, ist totes Kapital. Wenn ein Verleger schon keine Endkundenwerbung machen will, sollte er doch wenigstens die Händler umgarnen, damit sie seine Produkte ausprobieren.
Du, ich mache dem Händler keinerlei Vorwurf, wenn er so agiert. Ich mache ihm auch keinen Vorwurf, wenn er bei der Kosten-Nutzen-Abwägung zu dem Schluss kommt, dass er bestimmte Produkte nicht bewerben sollte.
In der Regel ist jeder Laden daran interessiert, neue Produkte in sein Sortiment aufzunehmen. Als 1993 ein kleines "Fantasy-Quartett-Spiel" auf dem Markt auftauchte, mussten die Telefonverkäufer von FanPro und WDS die Händler noch mühselig überzeugen, doch mal
ein (!) Exemplar zu bestellen. Manche Händler haben
gelacht über dieses Spielchen - das wird heute keiner mehr zugeben wollen, denn es handelte sch um die größte Goldader, die der fantastische Markt bis dahin kannte.
Wie Kosten-Nutzen-Abwägungen aussehen, haben viele Händler erst mit Magic gelernt. Vor Magic hatten viele Händler als Selbstverständnis ein gut sortiertes, möglichst breites Angebot, und haben entgegen jeder unternehmerischen Vernunft Komplettsortimente auch der Kleinstverlage geführt.
Magic hat ihnen gezeigt, dass ihr Geld auch im Akkord arbeiten kann, dass eine Investition in Neuware sich schon nach einem Tag auszahlen kann, dass eine Regalfläche von einem viertel Quadratmeter so viel Umsatz generieren kann
wie der ganze restliche Laden zusammen. Ohne Hinzutun des Händlers. Ohne Erklärungen, Demos und Empfehlungen.
Das war ein Augenöffner und hat so manchem Händler gezeigt, welchen Schaden sie sich selbst mit nicht-drehenden Regalleichen zufügen. "Ich muss nicht alles führen", war die Erkenntnis, und die Rollenspielecke wurde vielerorts kräftig ausgedünnt.
Und das letzte Argument dafür, warum Kleinverlage
sich im eigenen Interesse selbst anstrengen müssen und nicht auf Händler vertrauen
können:
Kein Händler hat etwas davon, wenn er einen Neuling mit seiner Arbeitskraft gegen einen schon existierenden Marktführer hochpäppelt.
Wenn Kunden mit Geld in den Laden kommen, werden sie (wenn es nach dem Händler geht) mit einem Produkt wieder herausgehen. Welches Produkt das ist, ist nahezu egal. Wenn ein anderer Verlag dem Händler Argumente liefert, warum er seine Produkte empfehlen soll, wird der Händler sie beachten. Da nutzt es gar nichts, wenn ein untätiger Neuling der Meinung ist, dass der Händler ihn doch gefälligst aus Gründen der Fairness auch berücksichtigen soll.
Ein DSA-Grundregelwerk zu verkaufen lohnt sich für den Händler mehr als ein tolles, komplettes, doppelt so dickes und doppelt so teures Liebhaberprojekt eines Kleinverlages. Der DSA-Kunde kommt wieder und kauft weitere Boxen, Module, usw...
Um es mit Settembrini zu sagen: "Da mal drüber nachdenken."
Wer in diesen Markt hinein noch ein weiteres Spiel produzieren möchte, sollte sich der Spielregeln
des Marktes bewusst sein. Oder einen alternativen Vertriebsweg wählen. Diese Erkenntnis hat in den USA zu der Indie-Bewegung geführt, aber auch Hero aus dem Three-Tier-System ausscheren lassen.