Autor Thema: Space Gothic (2009)  (Gelesen 2546 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

killedcat

  • Gast
Space Gothic (2009)
« am: 21.01.2010 | 12:47 »
So, nachdem ich im Space-Gothic-Bereich für meine Rezi nicht gesteinigt wurde, traue ich mich auch sie hier zu posten.

Space Gothic (2009) – ein Review

2009 erschien eine neue Augabe von Space Gothic. Ich war schon lange neugierig auf das System und nachdem ich nun viele positive Berichte über die Neuauflage gelesen habe, habe ich endlich nachgegeben und mir das Spiel gekauft. Es wird nun Zeit zu berichten, welchen Eindruck ich von dem Spiel gewonnen habe. Ich bitte zu bedenken, dass ich das Spiel durchgelesen habe, aber keine persönliche Spielerfahrung habe gewinnen können! Entsprechend beziehen sich die Eindrücke auch nur und ausschließlich auf das Regelwerk, nicht auf das tatsächliche Spiel mit Space Gothic.

1. Der Rezensent
Es ist immer gut, etwas über den Schreiber der Rezension zu wissen, um das geschriebene auch in den richtigen Kontext setzen und bewerten zu können. Wer bin ich?

Ich bin ein Rollenspieler der alten Schule. Ich spiele schon seit etwa 1986, so genau weiß ich das nicht mehr. Seit dem Einstieg mit DSA (erste Ausgabe) habe ich unzählige Spiele kennenlernen dürfen. Ich mag meine Systeme dezent, klassisch und einfach. Ich bevorzuge Systeme ohne Würfelpool. Mit den meisten Indy-Spielen kann ich wenig anfangen. Ich mag es, Regeln zu lesen. Ich finde auch die Mechaniken hinter so einem Spiel interessant und liebe es, wenn die Mechaniken elegant ineinander greifen. Wenn ein Regelbuch interessant geschrieben ist, finde ich es spannender, als ein Roman. Sowohl wegen der Mechaniken, als auch wegen der inspirierenden Ideen, die dahinter stecken. Soweit zu meiner Perspektive. Aus dieser heraus werde ich nun das Produkt beurteilen.

2. Das Erscheinungsbild
Space Gothic ist kein Leichtgewicht. Es ist ein solides Hardcoverbuch mit einem schönen Einband. Das Titelbild ist stimmungsvoll und macht Lust auf mehr. Leider ist dieses Bild nicht vollseitig abgebildet, sondern von einem dicken und langweiligen Rahmen umgeben.

Das Innere bietet immerhin 300 Seiten auf stabilem Papier. Die Druckqualität scheint mir leidlich gelungen. Der Druck wirkt körnig. Die Illustrationen sind spärlich und von durchschnittlicher Qualität. Hier war Schmalhans Küchenmeister. Insgesamt trägt nur das Titelbild wirklich zur Stimmung bei. Die Illustrationen sind meist recht nüchtern. Wo sind die Schlachtaufstellungen, die Kathedralen, die Kriegsritter mit Strahlenwaffen? Na gut, Space Gothic gehört natürlich nicht Wizards of the Coast, die Mittel sind also begrenzt. Schade dennoch.

Auf der positiven Seite ist die Schrift aber gut zu lesen, das zweispaltige Layout ist übersichtlich und Ergänzungen, optionale Regeln und wichtige Hinweise werden schön abgehoben.

Fazit: nüchtern, aber zweckmäßig.

3. Der Hintergrund.
Nach einer kurzen, einseitigen Geschichte und einem etwa halbseitigen, obligatorischen Abriss über das Rollenspiel, erzählt einem das Buch die Hintergrundgeschichte von Space Gothic. Ich will nicht im Detail auf den Hintergrund eingehen. Im Kurzen: Nukleare Katastrophen, die Menschheit erobert das All, Megakonzerne haben die Macht, die Menschheit wird von dem Regime unterdrückt, Krieg, etc.pp. Die Existenz Außerirdischer oder Psioniker wird nur angedeutet. Es gibt erstaunlich wenige Überraschungen oder Alleinstellungsmerkmale.Überhaupt fehlt mir das "gothic" in Space Gothic. Die Ausbildung von Ritterorden im Laufe der Geschichte, sowie deren Verknüpfung mit der Regierung, ist das einzig "gothische", das mir aufgefallen ist.

Das wirklich interessante am Hintergrund sind die Verknüpfungen der Fraktionen untereinander. Die Beziehungen und die geschichtlichen Ereignisse bergen eine Menge Konfliktpotentiale, die Stoff für viele Abenteuer bieten könnten. Leider werden diese aber im Grundregelwerk kaum mehr als angedeutet. Da fehlt ein wenig die Farbe, für meinen Geschmack und ich kann nur hoffen, dass Ergänzungsbände hier abhelfen.

Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass der Hintergrund in nüchternem und sachlichem Ton erzählt wird. Kein "Alustro" führt uns durch die Welt, kein harter Kreuzritter erzählt uns von seinen Erlebnissen mit den Mutanten, keine Regierungssprecher leugnen eloquent und drohend die Existenz von Aliens. Alles wird im erklärenden Ton aus weiter Distanz betrachtet. Da kommt zumindest bei mir keine Nähe zum Setting auf und die Konflikte bleiben mir entfernte und abstrakte Ereignisse. So schade.

Fazit: nüchtern präsentiert, fast keine Überraschungen. Wenn man nicht zwischen den Zeilen lesen möchte eher Hard-Sci-Fi als die versprochene Space Opera.

4. Die Regeln
Nachdem dem Leser die Welt von Space Gothic nähergebracht wurde, wird er nun in die Regeln eingeführt. Vorweg soviel: die Regeln haben mich überrascht. Positiv wie negativ.

Die erste positive Überraschung ist das Gruppenkonventionsblatt. Space Gothic bietet eine Menge optionale und alternative Regeln an. Auf diesem Blatt sind viele aufgeführt und können für das Spiel angehakt werden. So kann sich die Gruppe gemeinsam darauf einigen, wie tödlich oder heldenhaft sie spielen möchte und es gibt auch keine Missverständnisse. Eine gute Idee, die hoffentlich Nachahmer findet! Wow!

Die nächste postive Überraschung betrifft das Wüfelsystem. Die Grundregeln sind einfach: Ein W100 wird zu einem Skillwert und diversen Boni und Mali addiert, das Ergebnis wird mit einem Zielwert verglichen. Wurde der Zielwert erreicht oder überschritten, so handelt es sich um einen Erfolg.

Ein Überwürfelsystem mit einem W100? Das ist nicht häufig. Aber der Designer hat auch die Chancen dieser Zusammenstellung genutzt: ein Pasch führt zu einer "Rakete", d.h. der Spieler darf noch einmal würfeln. Wird der Zielwert um 100 überschritten, so handelt es sich um einen Triumph, der SL sollte den Spieler belohnen. Entsprechend ist ein Würfelwurf unter einer 6 ein Blindgänger, der zu einem Debakel führen kann.

Ich mag das System im Grunde sehr. Leider sind sich die Regeln manchmal ein wenig im Wege: so ist es z.B. möglich, im gleichen Wurf zuerst eine Rakete zu würfeln, dann aber einen Blindgänger und anschließend eine Rakete. Das würde ich sofort hausregeln und abstellen. Außerdem finde ich "Rakete" für ein System, das eine düstere Stimmung transportieren soll, einen etwas unpassenden Begriff.

Ich kann damit leben, dass im Kampf mehr Würfel als nur der W100 benötigt werden. Warum das aber auch an Stellen geschieht, wo dies nicht erforderlich ist, erschließt sich mir nicht. So wird auf der kritischen Tabelle mit einem W20 gewürfelt. Hier könnte man doch wunderbar weiter den W100 verwenden. Das sind nur Kleinigkeiten, sie nähren aber in mir das Gefühl, dass ein eigentlich unkompliziertes und starkes System hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, weil man sich keine Gedanken darüber gemacht hat, wie man das System verschlanken kann. Das wird deutlicher, wenn man sich die Charaktererschaffung ansieht.

Fazit: ein echt starkes Würfelsystem, das unter einer Überregelung etwas leidet. Das lässt sich aber gut hausregeln.

5. Die Charaktererschaffung
Der Charakter besteht ganz klassisch aus einer Reihe von Attributen, Fertigkeiten, Vor- und Nachteilen. Das ist zwar nicht originell, passt mir als Anhänger klassischer Systeme aber sehr gut. Warum soll man auch etwas ändern, das sich bewährt hat?

Jedoch zeigt sich auch hier, dass die Dinge in Space Gothic alle etwas umständlicher ablaufen, als sie es müssten. Zur Charaktererschaffung bedarf es eines dreiseitigen Charakterbogens, des Charakterentwicklungsblattes (ebenfalls dreiseitig), das – man beachte – nicht im Regelbuch enthalten ist, des Kinder- und Jugendprofils, des Sozialdienstprofiles und das Berufsprofil wird ebenfalls benötigt. Dabei hängt das Jugendprofil vom Kinderprofil ab, das Sozialdienstprofil vom Jugendprofil, das Kinderprofil von der Auswahl des Elternhauses, etc. pp. Es geht soweit, dass empfohlen wird, diverse Profile auszudrucken, mit Folie zu schützen und mit abwischbarem Stift zu benutzen. Wohl bemerkt: nur um Charaktere zu erstellen.

Hinzu kommt, dass in der Charaktererschaffung manches missverständlich oder mangelhaft beschrieben wird, sich auch ein paar Fehler eingeschlichen haben. Die Liste der Umständlichkeiten fortzuführen würde zu lange dauern. Zusammengefasst erfordert die Generierung eines SC etwas länger und erfordert deutlich mehr Verwaltungsaufwand als in den Regelwerken, die ich normalerweise verwende.

Absichtlich nicht erwähnt habe ich hier die Gruppenprofile, eine Idee von Space Gothic, die wohl zu einer passenden Gruppe führen soll, mir aber eher wie Bevormundung vorkommt. Ich brauche diese Profile nicht und halte sie auch nicht für eine Bereicherung. Ups, jetzt hab ich sie doch erwähnt.

Auf der anderen Seite glaube ich, dass man sich daran gewöhnen kann und die vielen Bögen, die man sich ausdrucken muss, dann auch für einen geregelten Ablauf sorgen. Bei aller Kritik an den Umständen: Space Gothic ist kein Rolemaster. Die erstellten Charaktere haben dann auch eine nachvollziehbare Geschichte und sind detalliert und passend zustandegekommen. Es ist eine Frage der Priorität.

Fazit: die Charaktererschaffung ist nichts für Spieler, die es simpel mögen. Dafür werden die belohnt, die eine Generierung nahe am Hintergrund möchten, die eigentlich immer einen logischen Charakter mit interessantem Lebenslauf ausspuckt. Ich glaube, wenn man das ein paar Mal gemacht hat, kann die Generierung sogar Spaß machen.


5. Der Kampf
Der Kampf läuft nun in bekannt-detallierter Tradition ab. Im ungünstigsten Fall führt ein Angriffswurf sechs Würfelwürfe nach sich: Angriff, Abwehr, Debakelwurf (Abwehr), Schaden, Rüstung, kritische Tabelle. Dabei gibt es unterschiedliche Tabellen je nach Trefferzone und die Trefferpunkte werden je nach Modus von den Trefferpunkten und/oder von den Körpertrefferpunkten abgezogen. Selbst wenn die meisten Optionen bei Space Gothic abgeschaltet werden, ist der Kampf detalliert und wird entsprechend detalliert abgewickelt.

Dabei kann die Spielfigur aus einer großen Zahl von Waffen und Rüstungen wählen. Besonderheiten stellen hier z.B. die Plasmawaffen dar, die wiederum einen ganz eigenen Regelkatalog mit sich bringen und Gegner mit Strahlung töten und sogar Wände durchdringen können.

Fazit: das System versteckt sich nicht im Kampf, sondern tritt vermutlich deutlich in den Vordergrund. Man darf keine Angst vor Würfeln oder Tabellen haben, wenn es zum bewaffneten Konflikt kommt.

6. Der Rest
Die Regeln von Space Gothic bieten noch Raumschiff- und Raumschiffkampfregeln, jede Menge Ausrüstung, Anleitungen für den Spielleiter, Tabellen und ein Beispielabenteuer. Der Index könnte vollständiger sein und Tabellen gesondert ausgeben, ist im Übrigen aber voll in Ordnung. Ich vermisse detallierte Hintergrundinformationen, einen Blick auf das Leben in der Welt von Space Gothic, sowie PSI-Regeln.

Fazit: so richtig üppig ist Space Gothic nicht. Aber für den Einstieg in die Welt von Space Gothic ist das wichtigste vorhanden.

7. Resümee
Wenn ich mir meine Rezension jetzt nochmal durchlese klingt sie schon sehr kritisch. So muss man das aber nicht sehen. Space Gothic ist ein solides Werk. Wer auf der Suche nach einem detallierten Sci-Fi-Spiel ist, der kann hier glücklich werden. Man darf nur kein Regel-Leichtgewicht erwarten und wer die Stimmung von Space Gothic kennenlernen möchte, der wird sie im Grundregelwerk kaum wiederfinden, dazu wird alles zu trocken präsentiert. Wenn man vor dem ersten Spiel aber einen Videoabend mit Alien1 oder Bladerunner macht, steht einem ordentlichen Spieleabend nichts im Wege.

« Letzte Änderung: 21.01.2010 | 16:10 von Faxe Wöld »