Ich bin ja ein überzeugter Verfechter der „keine Geheimnisse“-Philosophie. So diese ach so geheimen Hintergrund-Sachen, wegen derer ständig der SL mit irgendwem vor die Tür geht, und dann irgendwann (wenn überhaupt) wird es enthüllt, und echt niemand hat es kommen sehen… näh, bleib mir wech! Ich sag nur damals, als ich zwei Stunden mit nem alten Playboy-Heft auf dem Klo verbringen musste… ich schweife ab.
Interessant. Ich bin ein absolut ueberzeugter Anhaenger des Gegenteils (du weisst ja, ich nenne unser Zeug Immersion/Freiform). In eigentlich jeder Kampagne, die ich geleitet habe, spielten Geheimnisse eine grosse Rolle. Von daher ist es enorm aufschlussreich fuer mich, wie du die Sache siehst.
Seit langem vertrete ich also in diesem Forum die Auffassung, dass alle mehr davon haben, wenn man auf Geheimnisse möglichst verzichtet. Wenn ich weiß, dass der Charakter meines Mitspielers schwul ist und sich nicht traut, es den anderen zu sagen, kann ich erstens bewusst erleben, wie er diesen Konflikt ausspielt (ggf. einschließlich OOC-Kommentaren / innerem Monolog). Getreu diesem Motto lasse ich meine Mitspieler auch oft OOC wissen, was mein Charakter gerade denkt oder fühlt.
Ich bin mir eben gar nicht sicher, dass es fuer die Gruppe und den Spielspass mehr bringt, wenn man auf Geheimnisse verzichtet oder sie gleich von vornherein OOC den Mitspielern offenbart. Fuer mich als Immersions-SL ist es ausserordentlich wichtig, eine moeglichst bruchlose
Suspension of Disbelief fuer die Spieler zu erzeugen. Das heisst, zumindest in Teilen, eine Annaeherung an das wirkliche Leben -- und eben da kenne ich die Geheimnisse meiner Mitmenschen in der Regel nicht. Ist deshalb das taegliche Leben unspannend? Ich finde: ganz im Gegenteil. Als Spielbeispiel sei Over The Edge genannt, wo die Spieler bei der Charaktererschaffung neben persoenlichen Geheimnissen ihrer Rollen auch Hinweise entwickeln, die auf die Fertigkeiten der Charaktere zeigen (z.B. "ist narbenuebersaeht" = Hinweis auf die Vergangenheit des Charakters als Soeldner). Genau das, so meine Erfahrung, macht den Spielern Spass und befeuert auch das Gefuehl, mit wirklich existierenden Personen zu interagieren, anstatt mit Charakteren in einem Spiel.
All das erfordert natuerlich die Einlassung auf das Spiel, das Schauspielern, das (zumindest versuchte) Aufgehen in der Rolle.
Und zweitens kann ich auch als Mitspieler den Konflikt ggf. durch das Spiel meines Charakters aktiv befeuern – warum sollte das immer nur der SL tun? So weit, so gut.
Aber das kannst du doch immer?
Nun begab es sich auf dem letzten großen Treffen, dass wir beim Jeepform zwei Varianten spielten, eine, bei der alle alles über die anderen Charaktere wussten, und davor eine, in der man nur das wusste, was der eigene Charakter auch weiß. Und hier war es schon interessant und auch eine echte Herausforderung, bestimmte Dinge darzustellen, ganz ohne OOC-Kommentar, so dass die Mitspieler es tatsächlich merkten, obwohl sie es vorher nicht wussten. Das macht schon Spaß, und wenn bei den Mitspielern dann hinterher tatsächlich das ankam, was ich rüberbringen wollte, empfinde ich das durchaus als befriedigend.
Das ist exakt die Sache, die ich als Freiformer schon immer von meinen Spielern fordere: schauspielern. Fuer mich ist es schrecklich, etwas auf der Metaebene zu erklaeren, was genauso gut durch Schauspielern
in character dargestellt werden kann. Wenn es einem Spieler am Herzen liegt, dass die Mitspieler etwas ueber sein Geheimnis erfahren, dann wird er es beizeiten in irgendeiner Form ins Spiel einbringen. Wenn er es geheimhalten moechte, wird er versuchen, es vor den anderen zu verbergen -- und die Besprechungen mit dem SL und/oder Zettel an den SL wecken bei den Mitspielern in der Regel fast automatisch das Beduerfnis, der Sache mal nachzugehen. In beiden Faellen gewinnt das Spiel, das ist zumindest meine Erfahrung.
In unserer Gruppe hatten wir schon viele einmalige Erlebnisse im Spiel, die nur dadurch zustande kamen, weil ein Geheimnis aufgedeckt wurde; ob zufaellig oder nach gezielter Nachforschung, das spielte keine Rolle.