Autor Thema: [C:tL] Literatur zur Inspiration für Storyteller  (Gelesen 791 mal)

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Offline Mister Nails

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Ich möchte hier einmal einen Jugendroman empfehlen, der eine wunderbare Quelle der Inspiration für Storyteller von Changeling:the Lost (oder auch the Dreaming) sein kann. Ich werde erst zum Schluss über den Nutzen des Buches aus Rollenspiel-Sicht schreiben und zuvor etwas über die literarischen Qualitäten des Buchs sagen.

Michelle Harrison, Elfenseele: Hinter dem Augenblick, Bindlach 2009, erschienen im Loewe-Verlag

(I) Allgemeines: Momentan wird ja fast jeder Jugendroman, der ein übersinnliches Thema hat, in unangenehm penetranter Art und Weise angepriesen und der medialen Hype-Maschinerie unterworfen. Harrisons Werk unterscheidet sich schon in dieser Hinsicht auf angenehme Weise, insofern es einen sehr kurzen Teaser-Text auf der Rückseite trägt, der mit der lyrischen Wortwahl neugierig macht, und nicht mit banalen Schlagworten auf sich aufmerkam machen will.

(II) Inhalt: Auf amazon gibt es Inhaltsangaben mit ärgerlichen Spoilermomenten. Daher:

Im Mittelpunkt des Buches steht die dreizehnjährige Tanya, die mit ihrer Mutter allein in der Großstadt lebt. Vom sozialen Umfeld des Mädchen erfährt der Leser nur soviel, dass die Mutter so gerade eben mit ihrer Tochter über die Runden kommt. Zu Beginn der Sommerferien kommt es zwischen Mutter und Tochter nicht zum ersten Mal zu einer Krise, als das Mädchen mitten in der Nacht erneut für ein unerklärliches Chaos in ihrem Zimmer sorgt und damit die Nerven der Mutter wieder einmal so sehr überstrapaziert, dass ihr in einer heißen beruflichen Phase nichts anderes mehr einfällt, als das Kind aufs Land, zu ihrer Großmutter zu schicken. Wie sollte Tanya ihrer Mutter auch begreiflich machen, dass sie für die regelmäßigen "Unfälle" nichts kann, sondern dass übelgesinnte Feenwesen dafür verantwortlich sind, die niemand sehen kann außer Tanya? Dass sie außerdem gerade deswegen nicht nach Elvesden Manor, zu dem heruntergekommenen Landsitz ihrer Großmutter will, weil es dort schon solange sie denken kann von diesen Feenwesen nur so wimmelte? Von der herrischen alten Dame, ihrem finsteren Gutsverwalter Warwick und dessem nervenden Sohn Fabian mal ganz zu schweigen...
Doch kurz nach ihrer Ankunft stößt Tanya in der alten Bibliothek auf ein altes Geheimnis. Und auch wenn sich diese Spur schnell in Luft auflöst, werden damit Ereignisse in Bewegung gesetzt, die sich nicht mehr aufhalten lassen. Welche Verbindung gibt es zu dem Mädchen, das vor 50 Jahren in dem nahegelegenen Wald verschwunden ist? Tanya begreift allmählich, wie wenig sie über die Welt weiß, die nur für sie sichtbar ist. Doch ihre Neugier stößt auf wenig Gegenliebe beim Kleinen Volk. Bald muss Tanya sich entscheiden und setzt damit nicht nur ihr eigenes Leben aufs Spiel, sondern auch das anderer Menschen. Und kommt dabei einem grauenhaften Geheimnis gefährlich nahe.

(III) Kurzkritik: Das typische "coming of age"-Thema, das einem seit Harry Potter in der Jugendliteratur von allen Seiten um die Ohren geklatscht wird, spielt hier zwar auch eine zentrale Rolle. Doch Michelle Harrison versteht es, am Klischee glattweg vorbeizuschreiben. Das psychologische Angst-Motiv wird nicht überstrapaziert, sondern durch die Wortwahl inhärent vermittelt. Auf diese Weise geht Tanya weder als emotionsbeladene Protagonistin auf die Nerven, noch langweilt sie als unglaubwürdige Überheldenfigur. Harrison erweist sich allgemein als eine Vertreterin der impliziten Charakterisierung und überlässt so vieles der Fantasie. Dabei ist ihr Vokabular abwechslungsreich und wird an den passenden Stellen besonders fantasievoll und farbenreich. Besonders gegen Ende des Buches ändert sich der Tonfall und wird wirklich düster und vermittelt in geschickter Weise echtes Grauen, ohne dabei auf vulgäre Effekte angewiesen zu sein.
Auch wenn die Plot-Synopse traditionell ausfallen muss, wartet Harrison immer wieder mit liebevollen Details auf (die in der Hingabe an J.K. Rowlings erste drei Bücher erinnern können) und versteht es, traditionelle Genre-Klischees in frischer Weise aufzubreiten und neu zu präsentieren. Ihre Figuren bleiben in ihrem Verhalten stets nachvollziehbar und sind (in den Hauptfiguren) erfreulich dreidimensional, auch wenn manche archetypische Gestalten am Rande vorkommen. An einigen Stellen des Buches ist direkt spürbar, dass Harrison der Plot von ihren Figuren aus der Hand genommen wurde, weil sie gespürt hat, dass diese mit ihren Interessen und Handlungsweisen den Verlauf der Geschichte ganz von selbst gestalten wollen.
Die Geschichte wird entsprechend wendungsreich erzählt, die Schnitte sind geschickt gesetzt. Langeweile kommt nie auf, weil Harrison sehr souverän Regie führt und sich nicht (wie Rowling) unangemessen in Darstellunge verstrickt. Harrison beschreibt lieber ein bißchen weniger als zuviel. An geeigneten Stellen wird ihre Darstellung atemlos und gehetzt, ist dann wieder im zeitlosen Grauen eines Augenblicks versunken. Die Dialogführung gelingt ebenfalls souverän und ist eher klassisch und in der Emotionalisierung eher zurückhaltend - was ich sehr angenehm fand, da Harrison an geeigneter Stelle die Emotionen umso freier laufen lässt.

(IV) Nutzen als Inspirationsquelle für C:tL: Als Inspiration für Changeling kann Harrisons Roman insofern dienen, als darin die klassischen "niedlichen" Zaubereien der Elfenwesen schnell kafkaeske Angstzustände vermitteln (z.B. der Zauber des Abflussbewohners). Anfangs findet man die kleinen Geschöpfe irritierend oder sogar albern, aber allmählich bekommt man immer mehr einen Eindruck vom Grauen, das ihr Treiben vermitteln kann (...müssen die Wahren Fae eigentlich menschengroß sein?). Oder man kann sich bei Harrison bedienen, wenn man Kobolde/Hobgoblins braucht.
Sogar Ideen für die Hecke kann man zu genüge finden. Für Eide und Tokens ebenfalls.
Im späteren Verlauf des Buches kann man als Storyteller für the Dreaming einiges abschöpfen.

P.S.: Ich habe heute entdeckt, dass Michelle Harrison meinem unausgesprochenem Wunsch nachgekommen ist und in deutscher Sprache bereits ein Nachfolgeband vorliegt, der - soviel sei verraten - inhaltlich auch folgerichtig ist: Michelle Harrison, Elfenseele: Zwischen den Nebeln, Bindlach 2010, ebenfalls bei Loewe.
« Letzte Änderung: 12.08.2010 | 00:56 von Mister Nails »
Wendy Torrance: "I just wanna go back to my room!"
Jack Torrance: "Why?"
Wendy Torrance: "Well, I'm very confused, and I just need time to think things over!"
Jack Torrance: "You've had your whole FUCKING LIFE to think things over, what good's a few minutes more gonna do you now?"

Nin

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Re: [C:tL] Literatur zur Inspiration für Storyteller
« Antwort #1 am: 12.08.2010 | 15:55 »
An der Stelle merke ich, wie wenig Bücher ich lese. Häufig schau ich mal in ähnliche Rollenspiele rein. Geht das noch als "Literatur" durch?
Ansonsten bediene mich eigentlich nur einer einzigen literarischen Quelle der Inspiration: Neil Gaiman.

Offline Mister Nails

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Re: [C:tL] Literatur zur Inspiration für Storyteller
« Antwort #2 am: 13.08.2010 | 15:40 »
Gaiman geht natürlich immer: Aber welchen Gaiman meinst Du denn genau?

Weitere Inspirationen sind willkommen, die sich abseits von Lewis Carroll befinden.
Wendy Torrance: "I just wanna go back to my room!"
Jack Torrance: "Why?"
Wendy Torrance: "Well, I'm very confused, and I just need time to think things over!"
Jack Torrance: "You've had your whole FUCKING LIFE to think things over, what good's a few minutes more gonna do you now?"

Nin

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Re: [C:tL] Literatur zur Inspiration für Storyteller
« Antwort #3 am: 13.08.2010 | 16:22 »
Wie schon geschrieben... ich lese nicht so viele Bücher... aber z.B. "Coraline" (unheimliche Parallelwelt oder ein Traum) oder der Klassiker: Neverwhere/Niemalsland (die Welt in der Hecke, mit dem Goblin Markt und den ganzen Irren).

Offline Teylen

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Re: [C:tL] Literatur zur Inspiration für Storyteller
« Antwort #4 am: 13.08.2010 | 16:32 »
Von den Gaiman Werken die ich habe fiele mir lediglich spontan ein das es im Sandman ich denke einen Geschichtsbogen gibt welcher auch "Feen" beeinhaltet. Bei Niemalsland gab es, zumindest in dem Comic, keine Feen oder entfuehrten Kinder (und keine Feen)?

[Wobei ich von CtL/CtD rel. wenig Ahnung habe]
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