Es war in Eridanus' Elternhaus, wo seine Mutter ihrem Sohn nun, einige Tage nach dem Fest, von diesem erzählte. Denn ja, auch Eridanus' Mutter, Bürgerliche oder nicht, hatte eine Einladung zu der Feierlichkeit erhalten, und sie war noch ganz trunken von den Eindrücken, die sie dort erlebt hatte, von der Ehre, all die hochgestellten Persönlichkeiten gesehen zu haben und ihnen sogar vorgestellt worden zu sein. So war sie ganz und gar hingerissen von dem jungen, gutaussehenden Prinzen, strahlend und schimmernd in seinem Sternenglanze, und so nett und freundlich zu ihr, der Bürgerlichen! Und ein hübsches Paar habe er abgegeben mit der jungen Lady, die er zum Tanze aufgefordert habe, dieser Erbin des Hauses Kaus Borealis, Eridanus kenne sie vielleicht. Der Prinz habe ein reges Interesse an der jungen Dame gezeigt, und es sei ja kein Geheimnis, dass er irgendwann heiraten müsse. Vielleicht gäbe es ja bald etwas zu feiern in der Stadt?
Der nicht enden wollende Redeschwall versetzte den jungen Ritter in immer größere Misslaune, und schließlich unterbrach er seine Mutter mit der Mitteilung, dass Alcyone und er sich liebten und dass sie den Prinzen bestimmt nicht heiraten werde. Diese Neuigkeit jedoch gefiel seiner Mutter wiederum gar nicht. Sie redete ihrem Sohn eindringlich ins Gewissen, dass eine Adelige wie Alcyone sich bestimmt nicht mit einem Gemeinen wie Eridanus abgeben werde, und wenn doch, dann nur, um mit ihm zu spielen und ihn wegzuwerfen, sobald sich eine angemessene Partie biete. Dass er Alcyone vergessen solle.
Der Ritter knirschte mit den Zähnen und hatte gerade dazu angesetzt, seiner Mutter heftig zu widersprechen, als er durch ein lautes Klopfen an der Haustür unterbrochen wurde. Ein Trupp Wachleute war es, deren Anführer in harschem Ton nach Eridanus verlangte. Den Grund der Anklage weigerten sie sich zu nennen, nur dass sie ihn abführen mussten. Und vor den entsetzten Augen seiner Mutter ließ Eridanus sich verhaften, mit gefasster Miene und einem beruhigenden Lächeln, seinem eigenen Schrecken zum Trotz.
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Eigentlich hatte Alcyone an diesem Tag Eridanus aufsuchen wollen, um ihm von ihrem Gespräch mit Fornax zu berichten und von den neuen Erkenntnissen, die sie darin erlangt hatte. Doch in seiner Kammer im Ordenshaus war ihr Liebster nicht zu finden, noch in den Gemeinschaftsräumen der Ritter im Orden, und so begab Alcyone sich zum Haus seiner Mutter.
Fassungslos hörte sie dort von Eridanus' Verhaftung. Nur einige wenige Worte wechselte sie mit der älteren Frau, dann eilte sie, so schnell ihre Schritte sie nur trugen, in den Orden. Durch die langen Gänge, vorbei an den Kammern der Ritter, vorbei an den Gemeinschaftsräumen, direkt zu den Gemächern des Großmeisters des Ordens der Sterne. Er wusste, welch verdienter Ritter Eridanus war; er musste das Missverständnis einfach aufklären können!
Doch der Großmeister war nicht alleine in seinem Büro, als er Alcyone nach einer langen Wartezeit endlich empfing. Der Prinz war bei ihm, und beider Gesichter waren sehr ernst. Ja, Eridanus sei beschuldigt, ein verbotenes Buch gelesen zu haben, bestätigte der oberste aller Sternenritter, und eine sehr schwere Anklage sei es.
„Aber all seine Verdienste, was ist mit diesen?“, wollte Alcyone eben einwerfen, eine Verteidigung für ihren Liebsten aufbauen, da klopfte es an der Tür. Der Großmeister wurde zu einer wichtigen Angelegenheit fortgerufen, und Alcyone fand sich mit dem Prinzen allein.
Und beinahe umgehend warf der Prinz die Maske der ernsten, verständnisvollen Freundlichkeit ab, die er bis zu diesem Moment getragen hatte. Statt dessen konfrontierte er die junge Ritterin mit seiner wahren Natur. „Eridanus wird hingerichtet werden“, erklärte er hämisch. „Denn auf dieses Vergehen steht der Tod.“
„Beim Licht der Sterne, das ist nicht wahr!“ hielt Alcyone ihm aufgebracht entgegen. „Das Lesen verbotener Bücher ist kein Verbrechen, das mit der Todesstrafe geahndet wird!“
„Wenn ich es sage, wird es das“, war die kalte Antwort. „Euer Geliebter wird hingerichtet werden, es sei denn...“
„Es sei denn... was?“ fragte Alcyone – doch sie wusste es bereits. Die eisige Hand, die ihr das Herz zusammenpresste und den Atem stocken ließ, verriet es ihr.
„Es sei denn, Ihr heiratet mich. Hier und jetzt, sofort!“
Einen langen Moment drang kein Laut über Alcyones Lippen. Unkontrolliert wirbelten die Gedanken durch ihren Kopf, und gehetzt blickte sie sich um, als suche sie einen Ausweg. Doch es gab keinen; es gab keinen, und schließlich sah die Sternenritterin dem Prinzen voll Verachtung ins Gesicht.
„Ich werde Euch heiraten“, erklärte sie, und ihre Stimme zitterte nur kaum merklich dabei. „Unter zwei Bedinungen.“
Die beiden Bedingungen waren die folgenden. Dass die Hochzeit nicht bereits sofort stattfinden würde, sondern erst zu Frühlingsbeginn in einigen Wochen. („Um so besser“, lachte der Prinz. „Um so mehr Zeit, angemessene Vorbereitungen für eine prunkvolle Hochzeit zu treffen und all die Gäste zu laden...“) Und dass Eridanus die Nachricht zuerst von Alcyone selbst hören würde, dass niemand sonst ihm die Botschaft überbringe.
Und so eilte Alcyone in den Kerker. „Ihr habt fünf Minuten“, sagte der Kerkermeister, als er Eridanus' Zelle aufsperrte, doch das hörte sie kaum. Schon lag sie ihrem Liebsten in den Armen, bat ihn unter Tränen um Verzeihung, versuchte zu erklären und brachte doch kaum ein zusammenhängendes Wort heraus, bis er sie schließlich ein wenig beruhigt hatte und sie ihm die ganze Geschichte erzählte.
„Die Verhaftung war also nur ein Vorwand“, knurrte Eridanus grimmig, als Alcyone geendet hatte. „Aber noch ist nicht alles verloren, mein Stern. Wir haben bis zum Frühling, und bis zum Frühling kann viel geschehen. Geh' zu Fornax, er weiß um das Buch. Vielleicht kennt er einen Weg, um den Prinzen zu entlarven.“
„Oder Menkalinan“, kam Alcyone plötzlich die Idee, und neue Hoffnung keimte in ihrem Herzen auf. „Er beherrscht das Lied der Wahrheit!“
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Fornax befand sich noch auf einer seiner Expeditionen, erfuhr Alcyone, als sie den älteren Ritter suchte. Nun, dann konnte sein Bruder vielleicht helfen. Doch auch Menkalinan war nicht anzutreffen, weder im Orden, noch in seinem eigenen Hause, das er mit Fornax teilte. Verhaftet sei der junge Herr worden, teilte ein noch immer fassungsloser Bediensteter der Ritterin auf ihre Frage mit, und so eilte diese bald zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit zu den Verliesen.
Anders als ihren Liebsten fand Alcyone ihren jungen Ordensbruder dort jedoch nicht vor. Es kostete sie einige Münzen an Bestechungsgeld, ehe sie dem Aufseher entlockt hatte, dass Menkalinan bereits kurz nach seiner Verhaftung gegen eine Sicherheit in die Obhut der Lady Matar entlassen worden war.
Beim Anwesen der Lady Matar wurde Alcyone mit ausgesuchter Höflichkeit empfangen, gehörte sie doch einem der ältesten Adelshäuser an, während die Lady lediglich in eine geringere Adelsfamilie eingeheiratet hatte und selbst ursprünglich von bürgerlichem Stand war. Lady Matar stritt auch gar nicht ab, dass Menkalinan sich in ihrem Hause befand, doch er sei aus freien Stücken und gerne ihr Gast, erklärte sie. Und der junge Ritter widersprach nicht. Er saß in einem bequemen Sessel in einer Ecke des Raumes, seine Laute in der Hand, auf der er wahllos herumzupfte, obgleich seine Hände Zeichen schwerer Misshandlungen aufwiesen, mindestens ein Finger gebrochen war.
Und auch Menkalinan selbst schien gebrochen, mit Augen, die glasig ins Nichts starrten, einem Kopf, der im Takt unhörbarer Musik leicht hin und her zu schwanken schien, offensichtlich unter eine Art Drogen gesetzt. Die Lady Matar lächelte triumphierend. „Seht Ihr?“
Alcyone knirschte mit den Zähnen, doch sie konnte nichts tun, bis die Hausherrin sich für einen Moment entschuldigen ließ, da eine häusliche Frage ihre Aufmerksamkeit beanspruchte.
Sobald sie jedoch alleine im Zimmer waren, versuchte die Ritterin in aller Eile, zu ihrem Ordensbruder durchzudringen. Zunächst schien es, als habe sie keinen Erfolg. „Die Lady hat mich gerettet“, nuschelte Menkalinan, wieder und wieder. „Sie ist gut zu mir, sie sorgt für mich...“ Ganz gleich, was Alcyone versuchte, was sie zu ihm sagte und welche Argumente sie anführte, in seinem benebelten Zustand ließ Menkalinan sich davon nicht abbringen.
Doch schließlich, als Alcyone bereits sicher war, dass Lady Matar jeden Augenblick zurückkommen musste und sie die Lady direkt würde konfrontieren müssen, drangen ihre Worte doch noch zu dem jungen Mann durch. Menkalinans Augen wurden klarer, und er schüttelte den Kopf, wie um zu sich zu kommen. Und als kurz darauf Lady Matar tatsächlich wieder den Raum betrat, ein Tablett mit einem Krug und einem Glas darauf in den Händen, konfrontierte Menkalinan sie selbst.
„Mein lieber Junge!“ lächelte die Lady. „Es geht Euch besser! Welch ein Glück, Euch wieder auf den Beinen zu sehen! Hier, trinkt etwas...“
„Nein! Ihr habt mich unter Drogen gesetzt! Und das sind nur weitere Drogen!“
Menkalinan griff nach dem Krug und goss seiner Peinigerin dessen Inhalt ins Gesicht. Ein Teil der Flüssigkeit rann Lady Matar in den Mund und entfaltete dort umgehend seine Wirkung. Benommen sank die Lady auf die Knie und hinderte Menkalinan und Alcyone nicht daran, ihr Haus zu verlassen.
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Kurze Zeit später kehrte Fornax von seiner Reise in den Süden zurück. In ihrem gemeinsamen Haus fand er Menkalinan vor, noch immer gezeichnet und verwundet von seiner Tortur im Kerker und in den Händen der Lady Matar. Zorn kochte in dem älteren Bruder hoch, und voller Wut hastete er zum Anwesen der Lady.
Diese hatte sich sich wieder vollständig von der kurzen Benebelung erholt und begrüßte den Ritter mit ihrer üblichen übertriebenen Freundlichkeit. Doch Fornax war nicht in der Verfassung für ihre Schmeichelei. Aufgebracht stellte er sie wegen der Misshandlung seines Bruders zur Rede.
„Wisst Ihr, was ich am liebsten täte?“ rief er schließlich voller Wut. „Am liebsten würde ich mein Schwert ziehen und Euch erschlagen. Verdient hättet Ihr es!“
Da löste sich mit einem Male Fornax' Schatten von seinem Körper. Vor des Ritters entsetzten Augen tat er genau das, was Fornax gesagt hatte: Der Schatten ergriff Fornax' Schwerthand, schwang die Waffe und durchbohrte die Kehle der Lady.
Geschockt floh Fornax nach Hause, wo sein Bruder auf ihn wartete. Aufgewühlt erzählte der Ritter, was geschehen war. „Es sind die Schatten!“ Doch Menkalinan wollte ihm nicht glauben, konnte sich nicht vorstellen, was sein Bruder wohl meinte. Solange jedenfalls nicht, bis Fornax' Schatten sich wieder von ihm löste, Menkalinan angriff und diesen verwundete. Auch von Menkalinan ergriff eine Wut Besitz, und er versuchte, seinen Bruder zu erwürgen, und auch sein Schatten löste sich von ihm. Während die beiden Brüder so im Kampf miteinander gefangenen waren, kam Fornax wieder zu sich, schüttelte den Einfluss seines Schattens ab, riss sich los und flüchtete. Und auch Menkalinan kam wieder zu sich, als sein Bruder fort war, entsetzt über das, was er beinahe getan hätte. Der junge Ritter war wieder bei sich, doch eine weiße Strähne durchzog jetzt sein Haar. Fornax jedoch suchte Zuflucht bei Senator Crux Australis, seinem Mentor.
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Nach Alcyones Zusage, den Prinzen zu heiraten, wurde Eridanus tatsächlich wie vereinbart freigelassen. Und so machte er sich, so bald er konnte, wieder an das Studium des verbotenen Buches. Eine Stimme schien aus dem Speicherkristall zu kommen, während er darin las, und beinahe schien es dem Ritter, als könne er das leise Wispern verstehen, nur ein einzelnes Wort hier und da zuerst, dann immer mehr, ganze Sätze beinahe, und im selben Maße schienen die fremdartigen Buchstaben vor seinen Augen immer mehr Sinn zu ergeben. Eridanus legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen, um die Schriftzeichen zu entziffern, lauschte angestrengt dem Raunen aus dem Kristall. Etwas von einem Ritual... von einer bestimmten Konstellation, von Blut, das fließen musste...
So konzentriert versuchte er, den Sinn der leise gemurmelten Worte zu verstehen, dass er nicht bemerkte, dass sich draußen vor dem Fenster etwas bewegte. Es war ein Schatten, der Schatten des Bibliothekars Al Bali, der nun durch den kristallenen Bogen des Fensters ins Zimmer floss und sich auf ein Bücherregal hockte, wo er weiter herumtollte, winkte und Eridanus' Aufmerksamkeit zu erlangen suchte. Schließlich, aufgrund einer Bewegung in seinem Augenwinkel, blickte der junge Ritter doch auf. Erschrocken bemerkte er den Schatten und war von dem Anblick derart abgelenkt, dass ihm der ehemalige Besitzer des Schattens entging, Bibliothekar Al Bali selbst, der Eridanus nun, wo der Ritter nicht auf ihn achtete, angriff: mit einem langen, scharfen Brieföffner, beinahe ein Dolch zu nennen bereits. In letzter Sekunde fuhr Eridanus herum, und die Klinge, die sonst sein Herz durchbohrt hätte, rammte sich ihm in die Seite.
Verwundet oder nicht, im Handumdrehen hatte Eridanus sein Sternenschwert gezogen und streckte den Bibliothekar nieder. Dann verband er mit einem Streifen seines Hemdes notdürftig die Wunde, ergriff das Buch und verließ den Raum, eine Hand auf seine Seite gepresst.
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Zur selben Zeit befand Fornax sich weiterhin im Hause des Senators Crux Australis, seines Mentors. Plötzlich huschte plötzlich ein körperloser Schatten in den Raum und griff den Sternenritter an. Es war der Schatten des Senators Crux Australis, und vor den schemenhaften Schlägen, gegen die es keine echte Verteidigung gab, floh Fornax aus des Senators Haus.
Doch der Senator selbst, als er erkannte, dass sein Schatten ein Eigenleben entwickelt und welch großes Unheil er bereits angerichtet hatte, wurde wahnsinnig ob dieser Erkenntnis und nahm sich selbst das Leben.
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Verwundet, wie er war, erreichte Eridanus Alcyones Anwesen. Doch die Wachen des Prinzen waren vor dem Eingang des Hauses postiert, so dass er auf diesem Weg nicht ungesehen hineingelangen konnte. Doch war der Haupteingang ja nicht der einzige Zugang, den Eridanus kannte. Als er die Wachen bemerkte, zog er sich zurück, ehe sie wiederum ihn bemerkten, und nahm seinen geheimen Weg in Alcyones Garten. An einer schlanken Säule kletterte er empor in das Obergeschoss, wo ein Fenster offen stand, und durch dieses hinein ins Haus.
Von unten hörte Eridanus Stimmen, und so verhielt er sich ruhig, um nicht die Aufmerksamkeit der prinzlichen Wachen auf sich zu lenken, von denen er glaubte, dass sie sich im Haus befänden. Statt dessen holte er seinen Speicherkristall hervor und begann wieder, das Buch zu studieren. Wieder wisperte die Stimme, und immer mehr davon schien der Ritter zu verstehen... Die Wunde an seiner Seite war wieder aufgebrochen, doch das bemerkte er gar nicht, noch bemerkte er, wie sein Blut davon auf den Boden tropfte; auf den Boden tropfte und sich dort in einer blauen Lache sammelte, ehe es durch das Eis sickerte.
Die Stimmen, die Eridanus gehört hatte, waren die von Alcyone und Menkalinan gewesen, denn nach dem Kampf mit seinem Bruder hatte der junge Ritter sich eilig zu Alcyones Haus begeben, um ihr zu berichten, was geschehen war und um sie vor den sich lösenden Schatten zu warnen. Und auch Fornax kam kurze Zeit später hinzu, denn er hatte nach seiner Auseinandersetzung mit des Senators Schatten genau denselben Gedanken wie sein jüngerer Bruder. Die drei Ritter sprachen gerade im Empfangszimmer miteinander, als Alcyone plötzlich eine Flüssigkeit auf ihren Arm tropfen fühlte, erst einen Tropfen, und dann, als sie hinsah, einen weiteren. Blau waren die Tropfen, und es war Blut, und es kam von der Decke!
Erschrocken rannte die junge Ritterin nach oben, mit der Sternenklinge in der Hand und gefolgt von Menkalinan. Doch noch viel größer war ihr Schrecken, als sie in dem Dachzimmer, aus dem das Blut heruntergetropft war, Eridanus vorfand, Eridanus, der in seinen Speicherkristall vertieft war und gar nicht bemerkte, dass sie hereingekommen war, noch dass langsam, aber stetig das Leben aus der Wunde in seiner Seite floss.
Sie rief seinen Namen, rüttelte ihn an der Schulter, um seine Aufmerksamkeit von dem Kristall weg und auf sich zu lenken, und endlich sah Eridanus auf und lächelte sie matt an. „Mein Stern“, murmelte er, und seine Stimme klang müde, so müde, „du bist hier...“
„Ja, ich bin hier“, erwiderte sie, ihre Tränen unterdrückend, „und du bist verwundet! Wir müssen dich zu einem Heiler bringen!“
Doch Eridanus hatte sich bereits wieder seinem Speicherkristall zugewandt. Die Stimmen lockten ihn, riefen ihn, und nun konnte er die Schrift vollständig lesen, verstand mit einem Mal den ganzen Plan.
Denn der Text sprach von Macht, beinahe unendlich viel Macht, über Feinde und über die Kräfte des Bösen, zu erlangen vermittels eines alten, machtvollen Rituals. Dieses Ritual musste abgehalten werden, wenn die Sterne eine bestimmte Konstellation am Himmel einnahmen und die Sonne zu sehen war, wie dies in einigen Wochen, bei Frühlingsbeginn, der Fall sein würde. Und das Ritual verlangte, dass ein Opfer gebracht werde, ein Leben genommen, und nicht irgendein Leben, sondern das des letzten Vertreters einer Blutlinie.
Alcyone! Deswegen also wollte der Prinz sie heiraten, oder besser, die geplante Hochzeit war nur ein Vorwand, um sie mit seinen Wachmännern umgeben zu können, sie, die letzte Erbin ihres Hauses, in der Hand zu haben! Dies also war von Anfang an die Absicht der drei Verschwörer gewesen!
Aus erschöpften Augen blickte Eridanus zu seiner Liebsten, die ihn voll Sorge ansah. „Ich weiß jetzt, was sie vorhaben“, murmelte er und umriss in kurzen Worten den Plan. „Wir müssen fort...“
„Fornax hatte recht“, drängte Menkalinan, „ihr müsst in den Süden!“
Vor der Eingangstür wachten die Männer des Prinzen, und nun klopfte es dort heftig, hatten die Wachen allem Anschein nach die Unruhe aus dem Haus bemerkt und wollten nachsehen kommen, was es gab. Schon hatte ein Diener ihnen die Haustür geöffnet und kam ein Trupp Wachen die Treppe hinauf...
„Schnell! Über den Balkon!“
In Windeseile wollten die vier Ritter sich daranmachen, über den Balkon und die daran angrenzende Säule hinabzuklettern in den Garten, doch mitten in der Bewegung erstarrten sie. Denn unten im Garten wartete bereits der Prinz, mit einem Trupp Männer und einem bösartigen Lächeln im Gesicht. „Wohin so eilig, meine Verlobte?“
„Wir haben dich durchschaut, du Scheusal!“, rief Alcyone hinunter und drehte sich dann eilig zu ihrem Ordensbruder. „Menkalinan! Das Lied der Wahrheit!“
Und Menkalinan begann zu singen, und das Lied der Wahrheit enthüllte den Prinzen als das, was er war, ein von den Dämonen des Makels korrumpiertes Ungeheuer, abscheulich anzusehen in seiner Gestalt und mit seiner verzerrten Fratze, und die Wachmänner des Prinzen erschraken und zogen ihre Waffen und machten sich bereit, auf ihren einstigen Herrscher einzudringen.
Und Eridanus hielt seinen Kristall fest umklammert und deklamierte aus dem Buch der Schatten, mit klarer, lauter Stimme, die seine Verwundung und Erschöpfung leugnete, und unter den Füßen des Prinzen tat sich ein Riss in der verschneiten Erde des Gartens auf, bodenlos und leuchtend und beinahe unerträglich anzusehen, und der Prinz wurde von dem Riss in die Tiefe gezogen.
Doch ehe der Spalt sich schließen konnte, züngelte ein Schattenfinger nach oben und riss Eridanus mit sich.Für einen winzigen und doch endlos erscheinenden Moment trafen sich seine und Alcyones Blicke, dann sprang die Ritterin ihrem Liebsten nach in die Tiefen des Netherrisses, trotz Eridanus' verzweifeltem „Neeeeiiin!!“ und Menkalinans vergeblichem Versuch, sie zurückzuhalten.