Moin
Ich versuche momentan einigen Leuten beim Schreiben von Abenteuern unter die Arme zu greifen. Dabei hat sich mir die Frage gestellt, welche Strukturen niedergeschriebene Abenteuer üblicherweise haben können. Bisher ist dabei folgendes zustande gekommen:
Die Abenteuerstruktur
Mit diesem Thema lassen sich ganze Bände füllen, aber der Einfachheit halber werden hier vier übliche Möglichkeiten aufgeführt.
1. Der lineare Plot
Der Klassiker unter den Abenteuern hangelt sich von einer Location oder Szene zur nächsten. Die treibende Kraft ist häufig eine Hinweiskette, die die Charaktere von A über B nach C führt. Sie sieht keine weiteren Abzweigungen vor, der Spielleiter wird daher durch die Abenteuerstruktur dazu gedrängt, die Spieler mehr oder weniger durch das Abenteuer zu führen. Auch wenn hier der Begriff „Railroading“ gerne ins Feld geführt wird, muss diese Struktur nicht per se schlecht sein. In Abenteuern kann Entscheidungsfreiheit bereits bedeuten, dass man will was man soll. Ist die Motivation der Charaktere also so deutlich durch das Abenteuer getriggert oder deuten alle Hinweise immer nur in eine Richtung, so dass sie chronologisch und räumlich eine Kette bilden, kann eine solche Struktur durchaus gut funktionieren. Sie trägt aber immer das Risiko inne, dass Spieler aus diesem Plot ausbrechen, daher ist der Abschnitt „keine Panik“ besonders wichtig.
Absolute NoGos hierbei sind Tipps, die darauf hinaus laufen, dass der Spielleiter gegenüber den Spielern schummelt, die Regeln einseitig auslegt oder Umgehungsstrategien einfach abbügelt.
Diese Struktur verführt oft dazu eine Hintergrundhandlung komplett vorzugeben und die Charaktere zu Statisten, Handlangern oder Claqueuren zu degradieren. Auch wenn es durchaus Spieler gibt, die sich mit einer solchen Rolle zufrieden geben, kann dies bei vielen Gruppen das Gefühl der Gängelung hervor rufen. Das sollte unbedingt vermieden werden.
2. Die Baumstruktur
Bei einer Baumstruktur überlässt das Abenteuer den Spielern in Schlüsselsituationen in einem gesteckten Rahmen die Entscheidung, in welche Richtung sie weiter spielen wollen. Wenn sie beispielsweise einen Exec extrahieren wollen, können sie dies in seiner Wohnung tun, an seinem Arbeitsplatz oder auf der Fahrt dazwischen. Da die Charaktere keine weiteren Informationen über sonstige Aufenthaltsorte bekommen oder der Zeitplan aufgrund des Aufhängers des Abenteuers so eng gesteckt ist, dass der Exec sich in diesem Rahmen nur an diesen drei Orten sein wird, haben die Spieler nur diese drei Optionen zur Auswahl. Von der jeweiligen Szene aus arbeiten sie sich dann in der Handlung vorwärts. Die möglichen Subplots treffen sich dann häufig wieder an bestimmten Endpunkten (der Exec wird nach der Extraktion an den Schmidt übergeben), können aber durchaus auch verschiedene Konsequenzen für den späteren Verlauf des Abenteuers haben. Auch hier wird mit einzelnen Szenen oder Locations gearbeitet, es bietet jedoch mehr Freiraum für die Spieler. Der Nachteil ist, dass bei jedem Abenteuerdurchlauf nur ein Teil der Szenen genutzt wird und daher ein Teil des Textes bei der jeweiligen Spielrunde keine Verwendung findet.
3. Der Cluster
Besonders bei Detektivgeschichten bietet es sich an eine Reihe von Szenen, Locations oder NSCs anzubieten, die in fast beliebiger Reihenfolge von den Charakteren angelaufen werden, wobei es nicht zwingend ist, dass alle genutzt werden. So können die Charaktere erst die verschiedenen Tatzeugen befragen, in Archiven oder bei der Polizei nach Informationen suchen, den Tatort begehen, Tatverdächtige beschatten oder die Tat rekonstruieren. Es bietet sich an relevante Informationen und Objekte mehrfach über die Einzelszenen zu verteilen, da oftmals nicht alle Locations angesteuert werden. Der Vorteil ist eine große Handlungsfreiheit für die Spieler, als Nachteil kann sich eine gewisse Unübersichtlichkeit ergeben, da die Szenen in den seltensten Fällen in der gleichen Reihenfolge angelaufen werden, wie sie angegeben sind.
4. Die Sandbox
Eine Sandbox ist mit einem Cluster verwandt, aber deutlich aufwendiger. Hierbei wird eine größere Location, beispielsweise ein Dorf, eine Region, ein Kreuzfahrtschiff oder ein Galadinner, beschrieben mit allen spielrelevanten Details (Sicherheitsmaßnahmen, interessante Objekte und Informationen etc.), allen NSCs inklusive deren Motivationen, Zeitabläufen, Verbindungen zu allen anderen NSCs, Gruppenzugehörigkeit, Vorlieben und Abneigungen etc., einem Zeitplan wann was geschieht, so weit die Charaktere nichts an der aktuellen Situation ändern, und allen sonstigen Informationen wie Ortsbeschreibungen, Statistiken etc. Innerhalb dieses dynamischen Raums können die Charaktere frei agieren und die Details über Location und NSCs liefern dem Spielleiter alle wichtigen Informationen, um probat und schlüssig auf die Aktivitäten der Charaktere reagieren zu können. Gleichzeitig können innerhalb der Sandbox, den Motivationen der NSCs folgend, diverse Handlungen ablaufen, an denen die Charaktere sich beteiligen können aber nicht zwingend müssen. Diese sollten in einem Zeitplan angegeben werden.
Typische Anwendungsmöglichkeiten für Sandboxes sind Einbruchsszenarien, soziale Szenarien wie Detektivgeschichten und Szenarien mit einem Schwerpunkt auf Erforschung und Exploration.
Eine sehr interessante Variante der Sandbox ist die Verwendung einer Eskalationsskala statt oder neben eines Zeitplans. Hierbei werden die Aktivitäten der Charaktere mit Punkten bewertet und bei bestimmten Schwellenwerten spezifische Reaktionen frei geschaltet. Sollen die Charaktere beispielsweise unauffällig eine Sekte infiltrieren, so erhöht jede für ein Sektenmitglied untypische Handlung den Eskalationswert um einige Punkte. Wird ein Schwellenwert überschritten, entweder weil die Charaktere etwas offensichtlich unpassendes tun und damit jede Menge Punkte kassieren, oder weil sie bei ihrer Recherche immer wieder mit Fragen und Untersuchungen etwas anecken, kann ein gruppentherapeutisches Problemgespräch geführt werden, später folgt ein Screening, möglicherweise ein Verhör, vielleicht wird jedoch auch ab einem Schwellenwert ein Undercoveragent aktiv, der den Charakteren hilft.
Diese Herangehensweise generiert die größtmögliche Handlungsfreiheit für die Spieler, ist jedoch sehr platzaufwändig und fordert vom Spielleiter deutlich mehr Vorbereitung und Improvisationsvermögen ab als restriktivere Strukturen.
Diese Methoden sind natürlich auch frei kombinierbar. So kann von der Auftragsannahme über eine Recherche- und Vorbereitungsphase das Abenteuer linear ablaufen, um dann in eine Sandbox überzugehen, oder aus einem Cluster ergibt sich am Ende eine Wahlmöglichkeit, die in eine Baumstruktur überleitet.
Hab ich irgendwas total offensichtliches übersehen oder falsch ausgearbeitet? Fehlt etwas?
Ciao,
Eismann