Oh, jetzt kommt's ...
Erst einmal vielen Dank für diesen Thread. Da hast du das Glück, dass ich an beiden Editionen mitgewerkelt habe, zuerst als Playtester, dann als Co-Autor und
de-facto-Redakteur der meisten Texte. Ich bin der Erfinderin von Cartoon Action Hour, Cynthia Celeste Miller, mittlerweile seit neun Jahren befreundet. Deswegen kann ich wohl kaum ein unparteiisches Urteil abgeben. Aber ich erkäre dir das Spiel gerne.
Zunächst mal: Beide Editionen (die Z-Man Games Edition von 2003 und die Spectrum Games "indie" Version von 2008) sind von vornherein für das Spielen von 80er-Jahre-Spielzeug-Kindercartoons geschrieben, mit besonderem Augenmerk auf He-Man, She-Ra, Bravestarr, G.I. Joe, Transformers, MASK, Thundercats und was uns diese verrückte bunte Ära noch alles beschert hat.
Man kann die Regeln mit wenig Anstrengung auch für andere Settings und Epochen benutzen (ein Freund von mir hält es heute noch für ein hervorragendes Universal-Fantasy-System und hat DSA-artige Abenteuer dafür geschrieben), allerdings ist das vom Buch empfohlene und überall vorausgesetzte Setting das einer Cartoon-Serie im Stil der 80er Jahre.
Beide Editionen gehen als rules-lite durch, aber die zweite Edition hat fast alles aus der ersten abgeschafft, was noch an herkömmliche GURPS/Hero-ähnliche Punkteverteilungssysteme erinnerte.
Beide Editionen verwenden als einzigen Würfel den W12. Hoch würfeln ist gut, Ergebnis des W12 wird zu einem Eigenschafts- oder Attributswert addiert - fertig.
Ich versuche mal eine Übersicht auszudrücken:
In der ersten Edition gab es vorgegebene Traits - Athletics, Body, Coordination, Riding, Driving, Ranged Combat und vieles mehr. Diese waren dann außerdem unterteilt in die drei Kategorien Physical Traits, Mental Traits und Social Traits.
Alles, was dann nicht von einem Trait allein ausgedrückt wurde, konnte als Spezialfähigkeit - "Special Ability" gekauft werden und diese Special Abilities wurden aus Bauteilen zusammengefügt: z.B. Schaden, Reichweite, Dauer, Schutz. Wollte man einen Superschild für seinen Helden erschaffen, konnte man dazu einfach "Protection", also Schutz, wählen und dazu vielleicht die Einschränkung "Item", wodurch der Schild zu einem physischen Gegenstand erklärt und ein paar Punkte gespart wurden. Für eine Laserpistole brauchte man in der Regel Schaden+Reichweite+Gegenstand und konnte auch festlegen, wie oft man mit der Pistole normalerweise feuern konnte usw. Außerdem brauchte man für jede Special Ability noch ein Power Level (niedrig, mittel oder hoch), das nur dazu diente auszudrücken, wie mächtig und wie selten diese Fähigkeit in dem Setting sein würde.
Ansonsten gab es relativ normale Rollenspielvorgänge: Initiative bestimmen, Wurf auf eine Angriffsfähigkeit, Gegner würfelt auf eine Verteidigungsfähigkeit, Angreifer darf Schaden auswürfeln, wenn er trifft, dann wurde für Rüstung/Schutzschild wieder etwas abgezogen und der Rest ging von den "Hurt Points" des Charakters weg. Hurt Points wurden aus den beiden Traits "Body" und "Willpower" bestimmt. Also relativ normale Trefferpunkte.
Jetzt zur zweiten Edition Season Two:
In Season Two sind die Komponenten und die gesamten Special-Abilities-Regeln abgeschafft. Auch die Liste der Traits kommt nicht mehr vor. Charaktere haben keine Trefferpunkte mehr. Stattdessen ist nun alles, was ein Charakter kann, ein "Trait" - offenes Trait-System! Die Traits werden i.d.R. vom Spieler selbst definiert und bekommen auch einen Namen von ihm. Damit sind Charaktere absolut individuell, nur die Rahmenbedingungen und die Regeln für Traits gelten für alle gleich.
Musste man also in der 1. Edition noch etwas blättern und passende Traits und Abilities aussuchen, wenn man sich He-Man oder Man-at-Arms bauen wollte, so kann man jetzt einfach die alten Cartoons, Comics oder Actionfiguren angucken und sich dabei fragen, "Was ist He-Man? - Was ist Man-at-Arms?", und somit seine eigenen Traits erfinden.
Bei He-Man zum Beispiel "Großer Kämpfer", "Superstark", "Schwert der Macht", "Anführer", "Macht von Grayskull" und so weiter.
Bei Man-at-Arms kann man "Wissenschaftler", "Technik-Freak", "Erfinder von Fahrzeugen", "Schutzanzug", "Atemgerät" und "Energie-Keule" als Traits (Merkmale) nehmen.
Jedes Trait, das der Charakter besitzen soll, bekommt einfach eine Zahl als Wert, die zu 1W12 hinzuaddiert wird: 1 gilt schon als "gut" (gelernt, beherrscht), 2 als "toll", 3 als "hervorragend" und 4 als "Weltspitze". Die Skala geht aber für Superhelden mindestens bis 8 und ist theoretisch nach oben offen. Es ist nicht ungewöhnlich, Waffen und magische Gegenstände mit dem Wert 10 und höher anzutreffen.
Es gibt auch "negative" Traits, also Dinge, in denen der Charakter oft Misserfolge hat. Dinge, die er garantiert nicht beherrscht und die ihn in Schwierigkeiten bringen können. So kann man leicht Ram-Mans Ungeschicktheit oder Orkos Zaubersprüche simulieren, die immer fehlschlagen oder lächerliche Ergebnisse hervorbringen. Nach dem Würfelsystem könnte ein Charakter aber selbst mit einem solchen Ungeschicktheits-Traits ab und zu einen Erfolg erwürfeln, ebenso wie ein Trait mit einem sehr hohen Wert nicht automatisch Garant für den Erfolg ist.
Auf einer natürlichen 1 (dem "Flub") passiert immer etwas Lustiges oder Verheerendes für den Charakter, auf einer natürlichen 12 (dem "Boon") passiert dagegen etwas besonders Gutes.
Für die Charaktererschaffung gibt es einige grobe Richtlinien, damit es auch für Neueinsteiger schnell möglich ist, sich in wenigen Zeilen einen kompletten Charakter zu erstellen. Ganz praktisch finde ich zum Beispiel das hier:
Die Spieler schreiben die folgenden Dinge auf:
• 8 Sachen, die ihr Charakter (gut) kann.
• 3 Sachen, die ihr Charakter besitzt.
• 2 Sachen, die ihr Charakter nicht gut kann.
Andere wichtige Neuerungen oder Features in CAH Season Two sind meiner Meinung nach:
1. Das Spiel ermutigt die Spieler dazu, ihre Traits nicht geradlinig und immer auf die gleiche Weise zu nutzen, sondern kreativ und spielerisch, kindlich-naiv und ungewöhnlich. Außerdem soll Gewalt eingedämmt werden und Blutvergießen möglichst nicht vorkommen (es ist ja alles eine Kinderserie aus den 80ern!). Mit einem großen Schwert soll man nicht einfach auf den Gegner einschlagen, man könnte es doch auch dazu benutzen, sich mit der Waffe schnell im Kreis zu drehen und einen Wirbelwind damit zu erzeugen! Eine Laserpistole verschießt nicht einfach Strahlen. Man könnte sie auch auf die Schlammpfützen zu Füßen der Schurken richten, um diese Pfützen zu einer brodelnden kochenden Suppe zu erhitzen, über die die Schurken dann nicht mehr drüber laufen können. Wenn eines der Merkmale des Charakters z.B. "Ideenreich" heiß, kann man es auch mitten im Kampf einsetzen: "Ich habe gerade eine Idee, wie wir aus dem Sand und Geröll um uns herum ein Katapult bauen können, das Sand auf unsere Gegner wirft und sie ablenkt." Ich habe mal Cynthia Miller zu diesem Thema gefragt, als es um einen Charakter mit dem Trait "Architekt" ging, der in einem Kampf in einem großen alten Marmortempel ohne Waffen dasteht. Dazu meinte sie dann prompt, "Der Architekt könnte aber wissen, an welchen Stellen die großen gewaltigen Säulen in dem Gebäude empfindlich sind. Er könnte sich genau so dagegen lehnen, dass sie das Dach über den Feinden zum Einsturz bringen."
2. Das Spiel hat eine sehr schöne Punktewährung - das
Oomph, das man quasi als Heldenpunkte irgendwann im Spiel verbrauchen kann. Es bringt nichts, das Oomph aufzuheben oder zu sparen. Man SOLL es verbrauchen. Die Punkte in Oomph können dazu benutzt werden, Würfelergebnisse zu wiederholen (allerdings nicht bei einer natürlichen 1), einen Bonuswürfel einzusetzen, Verletzungen zu ignorieren, einen verletzten oder benommenen Charakter blitzschnell wieder zu heilen, vor dem nächsten regulären Zug zu kontern und auch dazu, "Kreative Kontrolle" zu gebrauchen. Die Kreative Kontrolle ist sozusagen die
Macht über das Drehbuch. Es passiert ja alles in der Folge einer Zeichentrickserie und wer etwas am Drehbuch dieser Folge ändert, kann bestimmen, wer oder was gerade in der Szene ist oder welche Späße und neuen Ideen sich die Drehbuchautoren gerade wieder ausgedacht haben. Damit erschafft nicht nur der SL das fiktive Drehbuch, sondern auch die Spieler können es laufend verändern.
3. Die Season Two enthält auch ausgearbeitete Regeln für das Spielen von Werbepausen - "We'll be back after these messages." Je nachdem, was in den Werbespots im Kinderprogramm gezeigt wird, kann sich auch die Lage der Charaktere in der nächsten Szene ändern. Das geht bis zu ganz absurden Konzepten wie der "Kid Power" - die Kinder, die sich gerade eure Serie im Fernsehen anschauen, "hassen" den Bösewicht so sehr, dass die Kraft ihrer gebündelten Gedanken den Bösewicht scheitern lässt beziehungsweise ihm Punkte entzieht usw.
4. Die Schurken sind unterteilt in die "richtigen" einflussreichen Schurken (solche, die immer wieder vorkommen und die es quasi auch als Actionfiguren zu eurer Serie gäbe) und die Horden von namenlosen inkompetenten Helfershelfern und Befehlsempfängern. Diese letzteren Horden und Truppen sind stets besonders leicht zu besiegen. Für sie gelten sozusagen nur die Regeln für "Aufgaben" oder "Hindernisse", man kann den ganzen Pulk aus Gegnern auf einmal weghauen oder austricksen, auch wenn es scheinbar viele Dutzend Gegner sind. Das erklärt zum Beispiel, weshalb Batman und Robin immer Dutzende Handlanger des Jokers verprügeln und dabei nie verletzt werden, oder warum Han Solo und Chewbacca zu zweit gegen Hunderte und Aberhunderte von Sturmtruppensoldaten kämpfen können.
Diese Liste ließe sich noch fortsetzen... Ich hoffe, das hat schon mal geholfen.
Ich freue mich sehr darüber, dass dich das System interessiert. Ich bringe es regelmäßig zu Conventions mit - und bald erscheint auch wieder ein neues PDF dazu.