Bei der monatelangen Warterei, könnte man meinen, dass Syndikat hätte die Hand drauf gehalten, aber jetzt ist es mein: Das neue Umbra-Quellenbuch für Magus.
Das Buch ist wie gewohnt in stilvolles lila gehalten und das Cover weckt mit einem einsamen Wanderer vor einer anderweltlichen Festung Erwartungen.
Erwartungen, die der Inhalt aber nur teilweise erfüllen kann. Das Inhaltsverzeichnis ist wie bei WoD-Büchern gewohnt...ähm...übersichtlich und auf einen Index wurde zwecks besserer Lesbarkeit ganz verzichtet. Ein solcher zumindest war beim alten Buch der Welten noch vorhanden.
Und auch sonst fallen fast sofort Unterschiede zwischen dem BdW und Infinite Tapestry auf. Während das BdW fast komplett aus intime-Berichten bestand, ist Infinite Tapestry outtime geschrieben und enthält auch weit mehr Regeln als der Vorgänger.
Das erste Kapitel gibt einen groben Überblick über die Kosmologie, wobei was das mittlere und niedere Umbra angeht, geschickt auf Werwolf und Wraith verwiesen wird. Das scheint nicht nur merkwürdig, sondern es ist es auch. Insbesondere Anfänger werden mit diesem Arrangement wohl Probleme haben. Aber auch erfahrene WoD-Spieler dürften spätestens dann leicht verwirrt reagieren, wenn sie erkennen, dass sich Infinite Tapestry zufolge alle Umbrae ein einzelnes Penumbra teilen. - Eine Tatsache, die wohl allen anderen Büchern aus der Welt der Dunkelheit widerspricht.
Dieser interessante Trend setzt sich durch das Buch fort. Regeln werden völlig grundlos über den Haufen geworfen. So dürfen gläubige Magier nun für das Äther atmen einen Willenskraftwurf ablegen. Da überzeugte die alte Regelung - jeder kann Äther atmen, wenn er denn dran glaubt - irgendwie mehr.
Eine wirklich interessante regeltechnische Neuerung ist die seid '99 nach 3 Monaten eintretende Entkörperlichung, sowie verschiedene Formeln, um diesem Effekt entgegenzuwirken. Da dieser Effekt recht überraschend eintrat, können wir nun guten Gewissens davon ausgehen, dass fast alle im Umbra lebenden Magier ihr Leben jetzt als geisterhafte Reichsbewohner ihrer selbstgebauten Reiche fristen. Meines Erachtens eine wirklich interessante Idee, die Umbra Reisen das Feeling eines Sonntagsausflugs nimmt.
Aber nun doch kapitelweise durch das Zeilenwerk:
Die Kapitel 2 und 3 sind der Lichtblick des Buches und beschreiben in schönem Stil das Hohe Umbra, das Reich der Ideen. Größte Errungenschaft im Gegensatz zum BdW dürfte hierbei sein, dass dem Vulgate, der niedersten Schicht, ein einheitliches Orientierungssystem zu verpassen: Den Fluss der Sprache, ein riesiges Delta bei dem jeder Arm für eine Sprache steht, an den dann die zugehörigen Reiche angrenzen. Das löst auf recht elegante Weise die alte Frage "Und was ist jetzt zwischen den Reichen?".
(Ja, der Fluss war früher mal eine Epiphanie, aber zumindest dieser Punkt wurde im Text angesprochen.)
Zudem wird für jedes beschriebene Reich, ein sog. "Boon" angegeben. Also etwa die Kurzantwort auf die Frage "Was will mein Charakter da?".
Weiterhin warten die Texte mit so netten Ideen, wie abstrakt werdenden Ausrüstungsgegenständen und einer ganzen Reihe totem-verdächtiger Umbrageborener auf. Diese Tatsache hätten die Autoren denn gleich als Anlass nehmen können, die Regeln für Totems, die sich sonst nur im Trad-Book Traumsänger finden, nocheinmal abzudrucken. Das ist leider wie schon im Guide to the Traditions (wo Totems als großer Trend bei den Traditionen vorgestellt wurden) nicht passiert.
Ein weiterer Negativpunkt der beiden Kapitel ist die post-Reckoning Beschreibung des Inventiums und der Großen Halle (zweier Reiche, die erfahrene Spieler schon aus dem BdW kennen). Leider dürften die kryptischen Beschreibungen einem Neuling wohl gar nicht sagen. - Naja, 2004 ist das ja sowieso egal.....
Kapitel 4 behandelt denn Horizontreiche und das Sonnensystem. Einzig positiver Punkt an diesem Kapitel ist die melancholische Beschreibung von Victoria Station, einem ehemaligen, londoner Umbrabahnhof, der auf eine Mondumlaufbahn gehoben wurde und dessen Einwohner auf Grund von Entkörperlichung nun nur noch Geister sind.
Das einzige weitere Horizontreich (?!?), das in diesem Kapitel in absoluter Kurzform beschrieben wird ist die Hohlwelt. Es wird dann noch erklärt, dass die meisten Horizontreiche durch den Avatarsturm von ihren Versorgungsknoten auf der Erde getrennt wurden und der SL mit Horizontreichen so verfahren möge, wie es ihm beliebt.
Danach folgt eine ebenso kurze Beschreibung von Planeten und Schattenreichen, wobei auch hier jemand der das BdW nicht gelesen hat, den Inhalt mehr raten muss und gewisse Sachen einfach fehlen. Ergo das mieseste Kapitel des ganzen Buches.
Kapitel 5 gibt einen kurzen Überblick über verschiedene exotische Kreaturen des Umbras, wie die Chluroviah (u.U. bekannt aus Blood Dimmed Tides), den Acheri (aus Changling's Denizens of Dreaming) und einigen neuen Vertretern wie den Psychopomps - ausgedienten Geistern unbekannter Herkunft, die ihn alten Zeiten die Avatare zu ihren Körpern geleiteten. Abgeschlossen wird das Kapitel mit einer phasenweisen Beschreibung einer Beschwörung und zweier Beispielverhältnisse zwischen Beschwörern und ihren Hausgeistern. Insgesamt nett, aber nicht nötig.
Kapitel 6 gibt dem geneigten SL dann Antwort auf die Frage "Was soll ich eigentlich im Umbra?" sowie einer reihe erzählerischer Mittel. Wie bei so vielen SL-Kapiteln in Büchern der Welt der Dunkelheit überkam mich hier beim Lesen der frevlerische Gedanke "Darauf wäre ich auch selbst gekommen.".
Im Anhang finden sich dann eine Reihe von Formeln, für das Umbra, wobei ich mich bei einigen Sphären-Voraussetzungen frage, ob die Autoren nachgedacht oder gewürfelt haben. Als letztes wird der Leser dann noch mit einer Hand voll netter Spielzeuge aus den Weiten des Umbras bedacht.
Was lässt sich also abschließend zu diesem Zeilenwerk sagen? Das Buch hat ein paar nette Features aber auch nicht mehr. Bedauerlich ist, dass sich die Autoren scheinbar nicht entscheiden konnten, was sie wollten: Entweder ein neues Buch der Welten oder ein Update. In diesem Falle hätte man sich die Beschreibung des Sonnensystems durchaus sparen können und den Platz für Sinnvolleres nutzen. Damit: 4-.