Autor Thema: Was will ich und wenn ja, wie viel? Motivationen als Abenteuergrundlage  (Gelesen 2620 mal)

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Offline Lichtbringer

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Nachdem meine letzte These hier so wundervoll zerpflückt wurde, wollte ich meine neuste Idee hier mal zur Diskussion stellen, bevor ich in den Urlaub verschwinde.
In einer der nächsten Ausgaben der Anduin möchte ich einen ganzen Artikel daraus entwickeln (vielleicht kann ich eure Anregungen ja dazu nutzen).
Hier vorerst ein kurzer Abriss:

Ich messe den Motivationen von SC und NSC in meinem Spiel große Bedeutung bei. Sie machen die Welt nicht nur glaubwürdig, sondern dienen auch als Quelle und Aufhänger von Abenteuern. Ich habe schon ganze Spielabende improvisiert, ausgehend von dem Interessenskonflikt zweier NSC. Deshalb wollte ich dem ganzen etwas System geben.

Dazu finde ich die Maslowsche Bedürfnispyramide (http://de.wikipedia.org/wiki/Bed%C3%BCrfnispyramide) hilfreich. Eine Abbildung habe ich an den Beitrag angehängt.

Die Pyramide beschreibt, in welcher Reihenfolge die meisten Leute ihre Bedürfnisse sehen. Körperliche Grundbedürfnisse (Essen, Trinken) legen das Fundament und Selbstverwirklichung kommt erst an der Spitze. Je weiter unten eine Bedürfnis steht, desto wichtiger ist es für gewöhnlich.

Aus diesem Konzept kann man Elemente des Rollenspiels ableiten.
So ist ein Held jemand, der sich einsetzt, um die Bedürfnisse Anderer zu befriedigen. Je weiter unten die Bedürfnisse in der Pyramide stehen, desto heroischer die Tat. Man gilt auch als Held, wenn man die Bedürfnisse einer Gruppe auf Kosten einer anderen erfüllt, so die Bedürfnisse der ersten Gruppe fundamentaler liegen als die der zweiten.
Robin Hood beispielsweise hat den Reichen genommen und den Armen gegeben. Die Armen brauchten das Geld zum überleben (Körperliches Grundbedürfnis), für die Reichen war es bloßer Wohlstand (Individualbedürfnis).

Ein Bösewicht hingegen wäre jemand, der anderleuts Bedürfnisse einschränkt, um seine eigenen oder die seiner Gruppe zu befriedigen. Dabei gilt dann: je größer die Diskrepanz zwischen Gewinn und Schaden nach unten ist, desto diabolischer. Jemand, der jemand anders das Essen stiehlt, weil er selbst sonst verhungerte, den kann man noch verstehen (beides Körperliche Grundbedürfnisse). Wer hingegen jemandem das Haus anzündet (Sicherheit), weil das seiner heiligen Zenerleuchtung dient (Selbstverwirklichung), der ist derart furchtbar, dass wir solche Taten nur von Geisteskranken erwarten würden.

Auf diesen Grundlagen kann man Abenteuer entwickeln. In einer perfekten Welt, muss nichts geschehen - es gibt keine Geschichten. Damit die SC aktiv werden müssen, muss ein Bedürfnis unerfüllt sein. Entweder ein eigenes (z. B. die SC werden bedroht) oder ein fremdes (z. B. das Dorf wird vom Grafen ausgebeutet). Ich könnte mir also Abenteuer daher ableiten, welche Bedürfnisse befriedigt werden.

Man kann Abenteuer danach auch klassifizieren. Dabei stellt man rasch fast, dass der überwiegende Anteil der Abenteuer nur die beiden untersten Ebenen der Pyramide ansprechen. Bei Kaufabenteuern ist das verständlich, denn die unteren Bedürfnisse sind universeller. Wer sollte schließlich vorausahnen können, was die SC als Selbstverbesserung empfinden werden, die das Abenteuer am Ende spielen?
Wer aber für seine Gruppe Abenteuer entwickelt, der kann auch höhere Ebenen ansprechen. Ich persönlich habe es (wenn auch selten) geschafft, bis zur fünften Ebene hochzugehen. Und es waren ein paar der besten und lohnenswertesten Abenteuer, die ich je geleitet habe.



Was denkt ihr zu diesen Überlegungen? Sind sie richtig und wenn ja, sind sie nützlich?
(Hier sollte darauf hingewiesen werden, dass es für die Rollenspielpraxis eigentlich egal ist, ob das psychologische Modell sinnvoll ist. Entscheidend ist eher, wie überzeugend es ist. Im Rollenspiel wird auch viel mit Es, Ich und Überich gearbeitet, obwohl diese Thesen falsch sind.)

Ich erwarte mit Spannung eure Ansichten.

[gelöscht durch Administrator]

Achamanian

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Das sieht auf den ersten Blick ziemlich klasse aus! Werde ich mal ausprobieren. Man könnte wahrschainlich auch versuchen, ein paar der Pyramidenfelder bei der Charaktererschaffung ausfüllen und später auch ändern/ergänzen zu lassen. Schon auf der Ebene des Sicherheitsbedürfnisses kann das ja konkret ganz unterschiedlich ausfallen: Der eine Charakter will eine Unterkunft, der andere einen Leibwächter, der nächste will niemals unbewaffnet sein ...

OT:
Allerdings ist das mit Es, Ich und Über-Ich nicht "falsch". Es ist nur eher von der psychologischen Praxis zu den erkenntnistheoretischen Modellen rübergewandert ;)

Offline Lichtbringer

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Man könnte wahrschainlich auch versuchen, ein paar der Pyramidenfelder bei der Charaktererschaffung ausfüllen und später auch ändern/ergänzen zu lassen. Schon auf der Ebene des Sicherheitsbedürfnisses kann das ja konkret ganz unterschiedlich ausfallen: Der eine Charakter will eine Unterkunft, der andere einen Leibwächter, der nächste will niemals unbewaffnet sein ...

Ist alles schon für den Artikel geplant. Aber schön, dass ich nicht der Einzige bin, der das Prinzip gut findet.


OT:
Allerdings ist das mit Es, Ich und Über-Ich nicht "falsch". Es ist nur eher von der psychologischen Praxis zu den erkenntnistheoretischen Modellen rübergewandert ;)

Mag sein, ich bin kein Psychologe. Ist aber, wie gesagt, auch unbedeutend für den Einsatz im Rollenspiel.

Offline Beral

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Was denkt ihr zu diesen Überlegungen?
Ich finde es toll, dass noch jemand außer mir die Bedürfnisse als Angelpunkt für Rollenspiel in Betracht zieht! :d
Dein Blickwinkel ist für mich zunächst mal ungewöhnlich, das muss ich noch etwas sacken lassen.
Spielertyp: Modellbauer. "Ich habe das Rollenspiel transzendiert."

"Wir führen keinen Krieg...sind aber aufgerufen eine friedliche Lösung auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen." Gerhard Schröder.

Offline Merlin Emrys

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Der Ansatz kann durchaus tauglich sein. Mir wäre allerdings wohler dabei, wenn es nicht schon gleich wieder so klingen würde, als ob es alles bis zur Verfälschung vereinfachen würde...

Ein Beispiel:
So ist ein Held jemand, der sich einsetzt, um die Bedürfnisse Anderer zu befriedigen. Je weiter unten die Bedürfnisse in der Pyramide stehen, desto heroischer die Tat. Man gilt auch als Held, wenn man die Bedürfnisse einer Gruppe auf Kosten einer anderen erfüllt, so die Bedürfnisse der ersten Gruppe fundamentaler liegen als die der zweiten.
Wenn (Gedankenspiel, unplausibel, ich weiß, ich weiß...) ein König in einer kleinen Provinz vorbeikommt und dem örtlichen Baron so richtig den Kopf wäscht, so ginge das aber nicht mit dem Ausplündern der Bauernschaft, ist der König kein Held. Er tut seinen Job, und das ist auch lobenswert. Aber selbst wenn es nicht der König ist, sondern nur jemand mit größeren Einfluß als der Baron, ist er kein Held. Er ist nett zu den Leuten, zweifellos, aber... es kostet ihn (so über den Daumen und alles in allem) nichts.
Das heißt, als wesentlichen Aspekt müsste man mindestens mit einbeziehen, daß der Möchtegernheld ein Risiko eingeht, und je weniger Nutzen er selbst daraus vermutlich ziehen kann, desto heldenbesser. Wobei bei letzterem Punkt das "vermutlich" nicht ganz unwesentlich ist, denn erstmal reicht es für das Heldenwerden, wenn die andern annehmen, daß man allenfalls einen inadäquat kleinen Nutzen daraus ziehen wollte und konnte, also sowas wie "das Dorf vor dem Drachen retten, um die hübsche kleine Gretel zu beeindrucken". Noch besser kommt es, wenn es nicht ohnehin sein Job ist, weil er halt der vom König geschickte Held vom Dienst ist, der sich bei wenige als vier Drachen pro Monat eh nicht voll ausgelastet fühlt. Dorfnarren haben es da viel leichter, zum Volkshelden aufzusteigen, bei denen rechnet nämlich keiner damit, daß sie 1. irgendwas können und 2. sich für irgendwen nützlich machen. Die "Überraschungshöhe" spielt also bei der Bewertung eine ziemlich erhebliche Rolle. 

Daran schließt sich gleich der nächste Punkt an, daß auch ein Held zuweilen auf jede Bedürfnispyramide pfeift und einfach für wichtig hält, was ihm passt, egal ob das dem Maslow nun graue, weiße oder grüne Haare macht. Das kann übrigens auch bei ganzen Gruppen passieren, wenn den Bedürfnissen was querkommt, beispielsweise der Haß auf den Erbfeind. Die eigenen Ernten lieber abzufackeln, als das Risiko einzugehen, daß sie einem andern zugutekommen, ist ein Beispiel dafür.

Motivationen neigen einfach dazu, ziemlich vertrackt zu sein... und das sollte man bei solchen Ansätzen nicht aus dem Blick verlieren, finde ich.

ErikErikson

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Maslow ist ja auch nur der Anfang. Man kann ja beliebig erweitern. Bsp. Leistungsmotivation, Zieltheorien oder Volition.

Offline Crimson King

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Zwei Aspekte:

1. Maslov ist sehr verallgemeinernd. Aus meiner Sicht kann man oberhalb der ersten, spätestens der zweiten Etage der Pyramide nur noch individuelle Pyramiden erstellen, keine allgemeingültige. Das ändert aber nichts am Ansatz, der für einen ersten Wurf gelungen und als Arbeitskonzept mehr als brauchbar ist.

2. Was der Ansatz übersieht, ist, dass man heroische Taten aus eigennützigen Motiven begehen oder als Held moralisch versagen bzw. in eine Lose/Lose-Situation kommen kann. Die gefährlichsten Schurken sind die, die langfristige Strategien verfolgen. Auf den ersten Blick sehen die oft wie Helden aus. Relevant ist somit vor allem die langfristige Motivation einer Person.
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

J.W. von Goethe

Offline Lichtbringer

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Also, bevor das hier ganz einschläft (gab ja nicht so rege Beteiligung), nochmal ein Schlusswort:

Ich hatte nie den Anspruch, alle Aspekte der Motivik von Charakteren beschreiben zu können. Es ging (wie der Titel ankündigte) darum, dieses grobe Modell als Abenteuergrundlage nutzen zu können.
Man könnte es auch gut auf einem Charakterbogen festhalten. Es ist zwar nach wie vor ein Konzept, das auf Gruppen und nicht auf Einzelpersonen gerichtet ist und daher nur das Mittel der Leute abbildet, aber genauer als rechtschaffen/neutral/chaotisch gut/neutral/böse ist es allemal.

Offline Merlin Emrys

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Etwas mehr Echo hätte ich jetzt von Dir schon erwartet :-o .

Aber es hat sich unlängst ergeben, daß der angehängt Text auf meinem Bildschirm erschienen ist, und vielleicht kann er ja als Anregung nützlich werden? Der Text ist übrigens als Teil einer Überlegung zu (m)einem SciFi-System entstanden; vor allem im ersten Abschnitt habe ich einige fiktionsspezifischen Erläuterunge herausgenommen. Ich konnte mich deswegen auch nur teilweise an Masow orientieren, da nicht alle Völker unbedingt dieselben Bedürfnisse in dieser Abstufung haben, aber die grundsätzlichen Muster dennoch gleich bleiben müßten. Und ich denke, es ist auch so verständlich geblieben, worum es geht. Die Formatierung ist, da es sich nur um einen Entwurf hndelt, noch etwas minimalistisch gehalten.

Zunächst aber noch eine kurze Begriffsklärung: Als Bedürfnisse bezeichne ich die Dinge, die Maslow auf der untersten, wesentlichsten Stufe einordnet, wobei „Wärme“ durch „erträgliche Umgebungsbedingungen“ ersetzt ist. (Ab 40 Grad im Schatten nicht mehr Wärme der Wert, sondern Abkühlung.) Alles weitere läuft unter „Ziele“, auch wenn es zugleich im maslow’schen Sinne weiterhin Bedürfnisse sind.


[gelöscht durch Administrator]

Offline Lichtbringer

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Was lange währt, wird endlich gut.

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