Hallo,
ich gebe mal the forge wieder wie ich es verstehe und dann einige Gedanken dazu:
Also eine Definition von Simulationismus nach GNS ist schwierig, zu mal der zentrale Text
http://www.indie-rpgs.com/articles/15/ eine genaue Definition schuldig bleibt (oder habe ich diese überlesen ?).
The forge unterscheidet deutlich zwischen Realismus und dem, was simuliert werden soll -und nennt dieses Exploration.
Laut the forge gibt es fünf zentrale Arten von Exploration:
Character: Mage first edition
Setting: Earthdawn ,Space: 1889,Pendragon, Call of Cthulhu
Situation:
System: GURPS
Color:
Der Unterschied zwischen Setting und Color ist mir nicht ganz klar.
Call of Cthulhu wird in einem anderen Artikel von the forge dem Bereich Situation zugeordent. Ein RPG-System deckt in der Regel alle diese Bereiche unterschiedlich stark ab. Die obigen Angaben zeigen nur die Schwerpunkte.
Nun meine Thesen zum Thema Simulationismus:
1. Ein Regelsystem orientiert sich an Konfliktlösungsschwerpunkten und auch die Konsistenz der Spielwelt (des Settings) wird danach bemessen.
Bei einem System wie DSA2 bis 4,wo 90 % der Abenteuer daraus bestehen,das mehrere kleine Gegner überwunden werden um dann ein großer Endgegner bezwungen wird, ist Kampf eine wichtige Sache.
Pendragon scheint viel mehr Wert auf höfische Kommunikation zu legen,und kommt auf diesem Gebiet mit Rules light aus.
Bei Vampire hat man seine Vampirfähigkeiten und kommt daher mit wenig Kampfregeln aus. Ausserdem ist "Das Vampier sein" (Bewältigung des Blutdurstes,Interaktion mit der Vampiergesellschaft etc.) ein viel stärkerer Fokus des Spiels.
Bei einem Science Fiction System erwartet man Regeln zum Raumschiff-Luftkampf und Schusswaffen während die Regeln mit Nahkampfwaffen häufig weniger detailliert ausfallen.
Auch werden Regeln ,die eigentlich für die Konsistenz der Spielwelt wichtig wären ,manchmal weggelassen. Ich habe jedenfalls bei Pendragon keine Regel gefunden,die festlegt wieviel ein Ritter tragen,oder wie hoch er springen kann. Es ist also nicht das gesamte Setting teil der Exploration.
Der RPG-Systemautor hat hier schon Einfluss,wie das System bespielt wird.
2. Viele Regeln sind im Simulationismus dazu da,die Exploration (das was simuliert wird) in die Vorstellung (der Immersion) der Spieler zu bringen.
Ein Beispiel hier für sind die Alchemieregeln von DSA. Diese sind sehr detailliert und voll mit Beschreibungen von Materialien,Allegorien,Zauberzeichen etc.). Während der DSA-Alchemist sich überlegen kann ob das Tatzelwurmblut als schwacher Drachenblutersatz taugt, oder der Magier sich einen Zauberstab zusammen baut der Feuerzauber begünstigt - während der Spieler sich auf Grund der Beschreibungen sich diesen bildlich vorstellen kann.
Bei dem gamistischen Shadowrun hingegen wird dies einfach unter Reagenzien zusammengefasst und abgehakt. Die Immersion des DSA-Spieler ist in der Regel detaillierter als die des Shadowrun-Spielers. Dies ist ein wesentlicher Punkt,die den Simulationismus als eigene Geschmacksrichtung ausmacht, und ein wesentlicher Grund warum viele Simulations-RPGs Rules heavy sind.
Ein anderes Beispiel ist eine eigene Regel,die ich für Scharfschützen bei Shadowrun entwickelt habe. Hierbei wird in einer Tabelle aus Hand der Entfernung eine Dezibel Zahl ermittelt,mit Modifikatoren versehen und aus einer weiteren Tabelle der Mindestwurf abgelesen. Der Spieler muss also eine genaue Vorstellung davon haben wie weit das Ziel entfernt ist,ob eine andere Geräuschequelle die Schussabgabe überdeckt,ob andere Personen in Hörweite sind etc.
Ein weitereres Beispiel sind Regeln zu Kampftaktik. Taktiken brauchen ein bestimmtes Maß an Vorhersagbarkeit und erfordern daher Regeln.
Für den gameistischen Buttkicker sind diese Regeln eher hinderlich,denn sie stören seinen Anspruch auf Transparenz und Balancing. Er wird daher Rules light bevorzugen. Der gamistische Taktiker hingegen freut sich über neue Handlungsmöglichkeiten,bevorzugt daher Rules heavy. Diesem sind aber durch die Ansprüche an Transparenz und Balancing Grenzen gesetzt. Für den simulationisten Taktiker ist Taktik wichtig,weil er sich des Umfeldes seines Characters bewusst wird. Es ist ein Unterschied ob man auf offenem Feld,im Wald oder im Schlamm kämpft. Es ist wichtig ob es Deckungsmöglichkeiten gibt und wo die Mitstreiter stehen. Zeit und Raum spielen plötzlich in der Immersion des Spielers eine Rolle.
Gamistische Spiele brechen mit der Immersion der Spieler. So gibt es in Shadowrun5 keine Gewichtsangaben mehr - ein Runner kann daher mit einem unbegrenzten Waffenarsenal umherlaufen. Der Pathfinder Barbar kann nur im Kampfrausch im Dunkeln sehen, und wohin ein Unterlaufflammenwerfer (Shadowrun5) seine Hitze ableitet bleibt wohl auf ewig ein Geheimnis.
Für diese Systeme ist das gut,denn sie bringen ihre Creative Agenda (Gamismus) damit voran. Auf Simulationisten wirkt dies verstörend.
3. Die Rolle des Spielleiters ist im Simulationismus eine andere als im Gamismus.
Aufgemerkt ! Dies ist eine der häufigsten Ursachen für Zoff am Spieltisch.
In vielen gamistischen Sytemen hat der Spielleiter die Aufgabe eines Schiedsrichters beim Kampf der SCs gegen das System und ist somit den Regeln unterworfen.
In einem simulationistischem System ist der Spielleiter der Plausibilität seiner Entscheidungen unterworfen.
Wie aus These 2 ersichtlich neigen viele simulationistische Systeme zu Rules heavy. Mehr noch, sie machen häufig Angebote optionaler Regeln.
Mit jeder neuen Regel erhöht sich die Entropie des Systems. Das heißt jede neuen Regel birgt neue potentielle Regellücken,Widersprüche oder Unausgwogenheiten.
Für gamistische Systeme bedeutet das,das man auf optionale Regeln weitgehend verzichtet und das richtige Maß an Regeln finden muss um den Ansprüchen von Balancing und Transparenz gerecht zu werden.
Für simulationistische Systeme bedeutet das,das eine Instanz da sein muss,die die Regeln bei Widersprüchen interpretiert und eine endgültige Entscheidung fällt.
Es läuft letzten Endes auf die goldene Regel hinaus. Oder um es weniger werbewirksam zu sagen: Der Spielleiter hat immer Recht !
Dies gilt auch für simulationistische Rules light Systeme. Hier wird vieles an den Spielleiter delegiert,gerade weil das System viele mögliche im Spiel auftretende Gegebenheiten nicht abdeckt.
Spieler simulationistischer Systeme sollte meiner Ansicht nach klar sein,das sie nicht auf Regeln bestehen können,- und Spielleitern sollte klar sein das sie jede Abweichung von den Regeln möglichst plausibel begründen können müssen.
Für die Autoren von Systemen bedeutet dies,das der begleitende Text einer Regel (Fluff) mindestens genau so wichtig ist wie der Regeltext selbst(Crunch) - da dies dem SL eine Vorstellung vom Sinn der Regel,was sie denn Abbilden soll,und wie sie auszulegen ist gibt.
Eines der größten Probleme ist meiner Ansicht nach,das gamistische Spieler ihren Spielstiel nicht reflektieren und immer wieder gamistischen Ansprüche an Spielleiter und Regelautoren herantragen. Ein simulationistisches System ist nicht Powergamer fest und sollte es auch nicht sein ! Der Versuch mit Regeln Powergamer abzuwehren würde aufgrund steigender Entropie des Systems zur Unspielbarkeit führen (dies ist im Übrigen eines der Hauptdesignfehler von DSA4,was viele fälschlicherweise dem Simulationismus zu schreiben).
Ein weiterer wichtiger Designfehler ist die Verwechslung von Simulationismus und Simulation der Realität.
Es scheint bei einigen Zeitgenossen, die Vorstellung zu geben,man könne alle physikalischen Gesetze in Regeln gießen und ein System schaffen das die Realität abbildet, und an das sich dann der Spielleiter sklavisch zu halten hat.
Ein solches System wird es niemals geben. Dies liegt unter anderem daran,das sich viele physikalische Gesetze nicht auf einfache Formel oder Regelmechanismen runter brechen lassen, so das das Spiel spielbar wäre. Simulatorische RPGs konzentrieren sich daher auf bestimmte Schwerpunkte der Exploration (siehe These 1).
Als letztes ist noch zu erwähnen das es in vielen simulatorischen RPGs darum geht das Setting zu entdecken. Hierbei geht es um Abenteuer wie die Orklandkampagne oder der Reise nach Uthuria - oder viele Star Trek, oder Traveller Abenteuer.
Es geht um die Expedition ins Unbekannte. Doch das Unbekannte (die unbekannte Magie,Kreatur,Technologie) will von den SCs erforscht werden und folgt eigenen Regeln.
Transparenz über diese Regeln zu fordern,würde auch bedeuten Transparenz über die zu entdeckende Welt zu fordern.
Gamistische Ansprüche sind auch hier völlig fehl am Platze.
Abschließendes:
So weit meine Thesen über Simulationismus.
Ich hoffe es ist auch deutlich geworden,das Rules light für sich kein Qualitätsmerkmal ist.
Die Frage ob Rules light oder Rules heavy ist eine Designentscheidung, die davon abhängt welche Ziele man mit seinem RPG verfolgt.
Ebenso ist mit der Frage,ob der Spielleiter immer Recht hat. Dies ist nun mal für viele Sim-Spiele eine Notwendigkeit.