Ich mache mich gerade daran, halbwegs ernsthaft die Arbeit an meinen Setting-Heartbreaker anzugehen: Stolen Gods , eine Weird Low Fantasy Welt, zu der ich in einem anderen Thread schon eine kurze Zusammenfassung gegeben habe(
http://www.tanelorn.net/index.php/topic,100210.msg134430854.html#msg134430854).
Eine Sache, die mich schon seit langem an einer genaueren Ausarbeitung hindert (neben dem Mangel an Playtesting, wobei einiges schon in abgewandelter Form in meine Numenera-Kampagne eingeflossen ist), ist meine Unentschlossenheit bezüglich des Systems, das ich für die Ausarbeitung verwenden will. Lange Zeit habe ich mich mit dem Gedanken getragen, Gumshoe anzupassen, da die Core Story des Spiels – die SC als Feldforscher/Geheimagenten einer Universität in einer politisch prekären Situation – zum Ermittlungsschwerpunkt passt; letztendlich erscheint mir das aber einerseits zu aufwändig (da ich das Magiesystem dann von Grund auf selbst entwickeln müsste) und andererseits zu eingeschränkt (da mir inzwischen auch einige alternative Kampagnenmodelle für die Welt vorschweben, die nicht gut zu Gumshoe passen).
Nach Ansehen mehrerer Systeme bin ich inzwischen bei den Klassikern gelandet: OSR und BRP. Beide haben ihre Problemchen in Bezug auf das Setting, und bei OSR kommt hinzu, dass es evtl. einige meiner Probleme gut lösen könnte, ich aber nur sehr wenig damit vertraut bin (eigentlich nur über DCC).
Erst einmal nenne ich die Gründe, die für mich für diese beiden Systeme sprechen: Dann komme ich auf problematische Aspekte zu sprechen, und dann wüsste ich gerne von euch, ob die evtl. bereits durch Systeme der jeweiligen Familie gelöst sind bzw. ob ihr Ideen habt, wie sie sich leicht lösen lassen.
Das erste Argument für OSR und BRP ist für mich die hohe Verbreitung und die gute Möglichkeit, erst einmal Abenteuer als Standalones zu veröffentlichen. Mein Plan ist, zwei bis drei schon weitgehend ausgearbeitete Abenteuer in dem Setting zu schreiben und (über Drivethru o.Ä.) zu veröffentlichen, um zu sehen, ob das Setting überhaupt eine Chance hat. Die Abenteuer möchte ich dafür so aufziehen, dass sie sich gut auch in andere Weird-Fantasy-Kampagnen einpassen lassen. In dieser Beziehung würde sich wohl die OSR am stärksten anbieten, da ist die Präsentation von kleinen, abgedrehten Mini-Settings und Einzelabenteuern ja schon eine ziemlich etablierte Sache. Mit BRP spricht man natürlich ein etwas kleineres und für mein Gefühl auch bezüglich der Inhalte konservativeres Publikum an. Andererseits hat BRP für mich den Vorteil, dass ich mit dem Regelkern deutlich vertrauter bin als mit dem von OSR-Spielen; bei OSR-Spielen habe ich nach wie vor einen gewissen Inneren Widerstand gegen das System, während mich viele publizierte Settings und Abenteuer ungemein reizen (und ich mich auch immer wieder Frage, warum die ausgerechnet die D&D-Basis verwenden).
Soviel zu den rein äußerlichen Gründen für die Systemsuche. Jetzt mal zu den settingspezifischen Gründen, die manches Ausschließen und manches interessant machen. Dazu die Anmerkung: Ich will ein System, dass unterschiedliche Fähigkeitstypen und Magieformen und regeltechnisch ausgestaltet (bzw. mir ein gutes Gerüst für die eigene Ausgestaltung gibt); Systeme, die nach dem Motto: „Hier sind die Fähigkeiten, die kannst du jetzt passend re-skinnen, spielmechanisch funktionieren sie aber immer gleich!“ - also z.B. Savage Worlds, Fate und Cypher System – helfen mir also nicht weiter.
Erst einmal gibt es in dem Setting zwei relevante Nicht-Menschliche Spezies, die sich in ihren Fähigkeiten und Potenzialen deutlich von Menschen unterscheiden: Die Melekim (so etwa: tragische unsterbliche Elben meets Saiteninstrument-Golems meets biblische Seraphim) verfügen beispielsweise über eine eigene Elementarmagie (die von Menschen mittels magischer Musikinstrumente allerdings in schwächerer Form nachgeahmt werden kann); Die kopflosen, moosäugigen Acephalen haben wegen ihres höchste ausgeprägten Geruchs- und Geschmackssinns ein ganz besonderes Alchemie-Talent. Beide Spezies (vor allem die Melekim) sind sehr fokussiert in ihrer Rolle und ihren Fähigkeiten, weshalb sie sich wahrscheinlich sehr gut in Form einer OSR-race-class umsetzen ließen. An diesem Punkt hat also die OSR einen klaren Vorteil. BRP steht eher schlecht da, weil ich da die Behandlung anderer Spezies (die ja vor allem andere Eigenschafts-Erschaffungswürfe haben) relativ unbefriedigend finde.
Dann und andererseits möchte ich mehrere sich mechanisch unterscheidende Magieformen, die allerdings trotzdem breit zugänglich sein sollen (mit gewissen Einschränkungen bei den nichtmenschlichen Spezies). Klassische „mystische“ (und eher subtile) Magie, potenziell machtvolle Elementarmagie, Göttermagie, die in erster Linie die Form von Gaben annimmt, welche dem Verwender besondere Fähigkeiten zur Verfügung stellen sowie eine quasi-magische Alchemie. Ist natürlich klar, dass ich Arbeit ins System investieren muss, wenn all das abgebildet werden soll – das ist allerdings auch ein späterer Schritt, erst einmal will ich ja Abenteuer produzieren, für die das noch nicht so relevant ist. Trotzdem würde ich gerne jetzt schon diesen Aspekt in den Blick nehmen. Hier würde sich jedenfalls eher das BRP, insbesondere Mythras, anbieten, dass mit dem Theismus und der Socery schon mal zwei recht passende Systeme stellt; über Legend gibt es auch eine kompatible Elementarismus-Erweiterung. Wie da die Möglichkeiten bei der OSR sind, weiß ich nicht so genau, ich denke aber, dass die da, wenn man etwas in die Breite schaut, auch einiges zu bieten haben dürfte.
Schließlich noch die Frage von Settingfokus/-atmosphäre. Ich stelle mir die typische Kampagne als nicht allzu kampffokussiert vor, es dürfte immer auch stark um soziale Interaktion und alternative Problemlösungen gehen. Ich habe es ganz gerne, wenn die Regeln so was auch unterstützen, und da scheint mir BRP (wieder vor allem Mythras mit seinen Passions) relativ geeignet zu sein, während ich von der OSR nach wie vor das Bild habe, dass regelseitig eigentlich nur der Kampf unterstützt wird und man, wenn es beispielsweise um Intrigen geht, im Prinzip freeform spielt. Außerdem verleiten D&D-basierte Spiele mit dem starken Machtzuwachs auf höheren Leveln ja gern zu Kampflösungen, während man in den prinzipiell auf jedem Machtniveau noch tödlichen BRP-Spielen da meistens vorsichtiger ist. Da es eher ein Low-Fantasy-Setting sein soll (Magie mit einigen Ausnahmen vergleichsweise subtil, auch sonst wenig Fokus auf tollen Kräften/Mächten), scheint hier wieder BRP das angemessene System zu sein.
Andererseits: Komischerweise scheint es ja haufenweise Settings für die OSR zu geben, die den Fokus nicht zwangsläufig auf Kampf legen, sondern für Intrigenspiel und ungewöhnliche Atmosphäre werben … eventuell muss ich mir auch mal welche davon näher ansehen (Slumbering Ursine Dunes klang interessant).
Schließlich kommt auch noch die Frage des Arbeitsaufwands ins Spiel: Wahrscheinlich wäre der mit OSR geringer, da die Regelbasis ja doch etwas schmaler ist …
Eine interessante Information in dem Zusammenhang wäre wohl auch das Abenteuermodell, dem meine ersten Abenteuer folgen, mit denen ich die Arbeit an dem Setting beginnen will: Es handelt sich weder um Hex- noch um Dungeoncrawls, sondern eher um etwas, das ich „Situations suggestive of Stories“ nennen würde: Alle bieten ein klares Mission Statement und eine begrenzte Menge von Elementen (Schauplätze und NSC). Mehrere Konfliktsituationen mit offenem Ende sind im Material angelegt, und die Mission der SC legt durchaus einige typische Verläufe nahe, die Abenteuer sind allerdings meiner mehrfachen Spieltesterfahrung nach alle relativ flexibel in den möglichen Verläufen. Material für moralische Dilemmata gibt es in der Regel auch, wobei ich da versuche, unaufdringlich zu bleiben; erfahrungsgemäß ist das, was die einen als moralisches Dilemma betrachten, für die anderen eine klare Schwarz-Weiß-Geschichte, deshalb halte ich es für unklug, so etwas im Abenteuerdesign zum Angelpunkt zu machen. Wenn die Spieler/SC etwas als Dilemma betrachten, ist das gut und interessant, wenn nicht, muss das Szenario aber trotzdem funktionieren. (die gleiche Philosophie habe ich übrigens in Bezug auf überraschende Wendungen. Ich liefere Material, dass sie wahrscheinlich macht, gebe aber keine konkreten Überraschenden Wendungen vor, die sich zu irgendeinem festgelegten Zeitpunkt ereignen soll.)
Evtl. ist das etwas, womit ich zu weit an den Erwartungen von OSR-Spielern vorbeischreiben würde – oder nicht?
Könnt ihr mir Argumente für die eine oder andere Systemfamilie nennen? Mich auf Irrtümer und Fehleinschätzungen hinweisen? Mir OSR-/BRP-Systeme oder -Abenteuer nennen, die meine Probleme mit dem jeweils einen oder anderen evtl. lösen?
EDIT: Ach ja, ein optionales magieverknüpfes Sanity-System brauche ich auch noch, da die Melekim beim Zaubern ihre geistige Gesundheit aufs Spiel setzen (nicht, weil ihre Magie moralisch besonders verworfen wäre, sondern weil sie quasi direkt mit der Substanz ihrer Persönlichkeit zaubern, die dadurch durcheinandergeraten kann ...). In der Beziehung warte ich gespannt auf Crypts&Things, das da dem Hörensagen nach wohl was zu bieten.
Allgemein auf meiner Anseh-Liste sind Mythras/RQ6, OpenQuest (kenne ich beide schon, muss ich aber noch mal genauer lesen), Swords & Wizardry, Crypts & Things sowie Slumbering Ursine Dunes.