Ich glaube, die Antwort auf die Eingangsfrage ist tatsächlich so einfach: Ahnenreihe Tabletop plus wild gewachsen aus verschiedenen Homebrews plus keine anderen Modelle verfügbar = Regelmechaniken, die nicht aus einem Guss sind, und den Anspruch auch gar nicht haben. Vermutlich ist es müßig, da jetzt im Nachhinein eine Designphilosophie reinlesen zu wollen. Manche Sachen funktionieren heute noch gut, manche sind total broken und manche haben einen eigenen Charme, den man mögen muss. Bei der OSR ist Vieles glaube ich wirklich glaube ich einfach Nostalgie "hach, so wie früher", und dann hat man Entwickler und Kunden, die jahrzehntelange Übung auch mit den umständlichen Sachen haben, und die das nicht stört. Manche Spiele glätten ja aber auch stillschweigend die schwer vermittelbaren Regelelemente.
Ich persönliche mag OSR-Spiele hauptsächlich wegen der "anything goes"-Ästhetik. Ebenso wie Regeln waren damals auch die Welten wild zusammengewürfelt, und so ein Fantasy-SF-Horror-Pulp-Surrealismus-Lovecraft-Hillbilly-Mix ist einfach mehr meine Idee von Fantastisch als Tolkien pur oder Ritterfilm-Mittelalter plus Elfen. An den Regeln gefällt mir, dass sie einfach sind und tatsächlich viel Flexibilität erlauben. Man kriegt mit diesen Regeln relativ leicht ein gemeinsames Fabulieren hin, in dem alle Elemente Platz finden und keine Spielerhandlung und keine Settingidee ausgeschlossen ist, eben gerade weil die Regeln darauf verzichten, das Spiel sehr stark zu lenken und zu formen, also zB die Spieler zu animieren, bestimte Themen oder eine gewisse Dramaturgie zu verfolgen. Umgekehrt bedeutet das natürlich, dass die Gruppe das selber können und wollen muss, aber da bin ich ja verwöhnt. Alte D&Ds oder DSA1 produzieren durch die Allgemeinheit der Regeln auch ganz gute Überraschungen, also Ergebnisse, die zu seltsamen und unverhofften Umsetzungen in der Fiktion animieren (Zauber vergeigt, Klettern nicht geschafft, abgestürzt -- warum? wieso? was passiert nun? Habe nur einen Zauber, mit dem ich eine rotierende Plattform beschwören kann, wie kille ich damit 25 Goblins?), was ich ganz gerne mag und sich wiederum gut mit den irren Settings verträgt.
Thematisch und dramaturgisch stärker lenkende Spiele kriegen es natürlich klüger hin, die Ergebnisse auch ins gewünschte Themenmaterial bzw. die Dramakurve fallen zu lassen, aber so sehr ich das auch wieder mag, so sehr liebe ich manchmal das Collagechaos, das Oldschool produziert. Andererseits wieder: das muss man natürlich auch kreativ nutzen können. Wenn man einfallslose Geschichten aus dem ganzen Kram macht, nützt es alles nichts ("Probe vergeigt? Ja, du rutscht so ein bisschen ab" Möööp! Oder: "Du hast da nur deine Zauberscheibe? Ja, dann kannst du halt nicht mitkämpfen!" Möööp!)
Vielleicht war das alles mal ein Bug und ist gar kein Feature, aber ich mag Oldschooliges, weil gerade die sehr globalen Regeln mich anregen, mir selbst was einfallen zu lassen, und zwar in der Regel sehr lustige, wilde, unverhoffte Sachen. Das ist so wie moderne Musik, wo auf den Notenblättern keine Noten stehen, sondern nur Zeitangaben und so Balken und Striche. Klingt halt dann nicht wie Bach, bzw. wenn man Bach will, ist man mit Bach besser bedient.
Nur dieses Mittelding gefällt mir halt gar nicht: Tausend Regeln, die so einen Anspruch auf Realitätsnähe erheben, aber weder thematisch fokussieren noch den Wahnsinn lostreten.
Bei aller Seltsamkeit finde ich aber, dass man nicht vergessen sollte, wie prägend die ersten D&Ds und DSA waren, weil eben viele Sachen doch funktionieren.