Was habt ihr denn immer?
Was ist in euren Augen falsch dabei, einen Retroklon zu spielen?
Falsch ist nichts dabei. Es gibt viele Spiele, die ich nicht anrühren würde, die aber von vielen Spielern gemocht werden.
Speziell LL finde ich einfach unsagbar mühsam zu lesen. Es ist sehr tabellenlastig. Wenn ich mich recht erinnere gibt es darüberhinaus ganz abstruse Tabellen, was welcher SC auf welcher Stufe würfeln muss, um welche AC treffen zu können. Ich kenne auch einen Spieler, der genau diese Tabelle ganz toll findet, weil sich so der Angriffswert nicht-linear verbessern kann. Mein Ding ist das nicht.
Da sind mir die weiter entwickelten Nicht-Retroklone schon eine Wohltat. Aber natürlich ist auch da nicht alles Gold was glänzt. So halte ich Stars Without Number für stark überschätzt, jedenfalls hat es meine Erwartungen nicht erfüllen können. Und auch BTW hat einige Schwächen und bei manchen Dingen fragt man sich, was die sich dabei gedacht haben (oder ob die sich überhaupt etwas dabei gedacht haben). Aber auch diese Spiele sind einfach auf eine Art und Weise aufbereitet und präsentiert, dass sie hundert Mal zugänglicher sind als jeder Retroklon. Speziell LotFP ist für mich das bestgeschriebene Rollenspiel, das ich im Schrank habe, von der Regelprägnanz und Struktur/Aufbau her. Dazu mag ich einige Detailaspekte von LotFP sehr, z.B. den Umgang mit der AC.
Dazu muss ich sagen, dass ich nicht mit D&D groß geworden bin: Ich bin ein DSA-Kind. Erst irgendwann Mitte der 2000er habe ich mit D&D 3.5 angefangen, was mich etwa 5 Jahre wirklich begeisterte, bis es mir zu mühselig wurde, was aber auch an der extrem regelversessenen Spielrunde lag. Hätte ich Spieler, mit denen ich D&D 3.5 nur mit den Core Books spielen könnte, würde ich es vielleicht immer noch spielen. Jedenfalls habe ich mir die OD&D-Spiele quasi von grundauf neu aneignen müssen. Retroklone waren dafür einfach nicht meine erste Wahl.
Und da ist nun mal was dran. Klar können Retroklone und Pseudoklone immer noch erhebliche Leistungen in den Formulierungen, dem Layout, den Illustrationen etc. beinhalten, die auch anerkennenswert sind. Aber die kreative Leistung im Regeldesign ist gering bis nicht vorhanden.
Da wären wir die Frage, was wir kreativ nennen und was nicht und ob Regeldesign überhaupt Kreativität in hohem Maße erfordert bzw. sich gutes Regeldesign durch kreative Lösungen ausdrückt. OSR-Spiele gehen bei Regeln ja eher so dran, dass da ein "Problem" ist und man eine Regel braucht, die vom Problem zu einer Lösung führt. Darum sind ja z.B. auch die Kampfregeln so abstrakt. Von diesen abstrakten Problemlöser-Regeln ist dann der Übergang fließend zu Regeln, die Handlungen in einzelne Schritte zerlegen und für sich regeln.
Es gibt auch OSR-Spiele wie BTW, wo viel verloren geht und man nicht einmal weiß, wie weit man sich in einer Runde bewegen kann oder welche Handlungen man auf einmal in einer Runde ausführen kann. Dass so etwas nicht exakt geklärt ist führt dazu, dass ein Kampf schnell anders läuft als in einem OSR-Spiel, in dem du weißt wieviel Meter du gehen kannst oder dass du definitiv nicht angreifen kannst und gehen in einer Runde etc. Da verändert man was, Regeln sind nicht nur anders der anderen Regeln wegen, sondern es werden gezielt Freiräume geschlossen oder neue Freiräume geschaffen, die das Spielgefühl teils sehr verändern. Wenn ich z.B. sage, dass ich lieber neue OSR-Titel als Retroklone spiele, ist das ja schon sehr pauschal. Aber vergleicht man zwei konkrete Titel, können die Spieler sicher schon sehr differenziert sagen, was sie an dem einen Spiel konkret bevorzugen oder wenn sie beides mögen, warum sie beide mögen. Und man muss sagen, dass die Autoren von OSR-Spielen ja mit Fesseln arbeiten. Sie sind ja auch extrem eingeschränkt in ihren Möglichkeiten und dann das zu erreichen, was sie wollen, erfordert schon manches Mal "kreative" Lösungen.
Ein komplett neues Spiel ist vielleicht "kreativer", aber das heißt nicht, dass es ein besseres Spiel ist. Außerdem ist das ja auch keine allgemeine, universale Tatsache. Für Retroklone oder OSR-Spiele bekommt man ja auch nur in der OSR Anerkennung. Außerdem bekommen doch viele Autoren für ihre kreativen, neuen Spiele viel Anerkennung. Ich finde es aber auch nicht verkehrt, sich erst an etwas kleinerem zu versuchen. Wer mal einen OSR-Klon geschrieben hat (man muss ja immerhin jede einzelne Regel von grundauf neu formulieren), der lernt dabei sicher einiges, was auch beim Schreiben eines eigenen, kreativen, innovativen Rollenspiels nützt.