Auf die alle Jahre wieder aufkeimenden Unterscheidungsversuche von Hoch- und Schundliteratur lasse ich mich längst nicht mehr ein, nicht nur was einzelne Genres angeht. Es gibt ein gewisses Spektrum auf dem einen Ende, dass so ziemlich alle als Hochliteratur anzuerkennen bereit sind und ein Spektrum, das so ziemlich alle als Schundliteratur ansehen. Der dicke Block dazwischen entzieht sich der Eindeutigkeit und man muss schon ziemlich absolut sein, um eine saubere Trennlinie zu ziehen.
Der Knackpunkt ist: Man müsste womöglich immer bis auf auf den spezifischen Text heruntergehen. Ich greife mal das Beispiel von Perry Rhodan auf, einfach weil man es daran zu gut durchexerzieren kann: Als "Groschenroman" haftet dem Ganzen grundsätzlich erst einmal an, Schund zu sein. Allerdings unterzieht sich wohl kaum jemand der nicht unbeträchtlichen Mühe, das immens umfangreiche Gesamtwerk zu lesen, geschweige denn es zu untersuchen. Stichprobenartig gelesen ist die Chance recht hoch, die reflexartige Zuordnung bestätigt zu finden. Allerdings stößt man mit zunehmender Zahl der Stichproben auch immer wieder auf Passagen, die sich dieser Zuordnung thematisch und/oder stilistisch entziehen. Das wiederum führt unweigerlich zu der Frage, ob man die Einordnung eines Gesamtwerkes beträchtlichen Umfangs mengenmäßig herangehen kann bzw. will oder ob nicht schon anteilig geringe Abweichungen die Zuordnung als Ganzes in Frage stellen. Dem Perry-Rhodan-Leser ist diese Unterscheidung, ebenso wie die grundsätzliche Einordnung, noch herzlich egal, aber wenn man es auf ganze Genres anwendet, wird es kriminell: Ist meinetwegen Fantasy prinzipiell Schundliteratur, weil es überwiegend Schund ist?
Man verzeihe mir den teilweise geschmacklosen Vergleich: Scheiße ist ist Scheiße, aber Scheiße ist auch Dünger, und wie viel Scheiße man jeweils als Dünger nutzen kann, ändert nichts daran, das es Scheiße ist, aber es ändert etwas daran, wie man die Scheiße bewertet. Gold ist Gold, und auch wenn am Gold Scheiße klebt, bleibt es Gold - nur düngen kann man damit im Zweifelsfall trotzdem nicht.
Anders ausgedrückt: Es ist noch nicht einmal eine echte Debatte über den Wert. Es ist nämlich nicht nur *nicht* geklärt, ab welchem Punkt eines beliebigen definierten Stoffkreises die Grenze zwischen Hoch- und Schundliteratur zu ziehen ist, sondern auch auch völlig unklar, was man überhaupt mit der Zuordnung anfängt, wenn sie denn erst einmal getroffen wurde. Wenn ich jetzt einfach mal testweise Perry Rhodan als Hochliteratur einstufen würde und irgendwie die Autorität hätte, dass diese Einordnung auch ernstgenommen wird, wäre es für diejenigen, die es nicht als Hochliteratur sehen können, immer noch keine.
Literatur ist etwas sehr Persönliches, denn jeder liest für sich allein. Und wenn man sich mit Anderen über das Gelesene austauscht, dann doch darüber, was einem auf welche Weise etwas gegeben hat. Das Treffen von Zuordnungen von Hoch- und Schundliteratur könnte nicht weiter vom Lesen, Denken und Empfinden entfernt sein. Es geht nicht mehr um das Werk, sondern um die Deutungshoheit, um das Erringen und Bestätigen von Macht in Form der eigenen Autorität, was das Gelesene zum reinen, austauschbaren Mittel degradiert. Letztlich ist es nämlich gleichgültig, an welcher Zuordnung welchen Stoffs nun die vermeintlich intellektuelle und kulturelle Überlegenheit demonstriert wird.
Aber ich schweife ab: Deutsche Fantasy hat hauptsächlich das Problem, dass "Fantasy" eine importierte Schublade ist und kein Aas so genau weiß, welche Teile des heimischen (oder allgemeiner: des vor Besitz der Schublade bekannten) Stoffs man denn nun am besten hineinsteckt. Sprich, wenn Fantasy gleich Schund sei, muss man nur aufpassen, nicht in diese Schublade gesteckt zu werden, sofern man nicht möchte, dass das eigene Werk als Schund betrachtet wird, weil es das entsprechende Label bekommen hat. Das versuchen (nicht nur) deutsche Autoren mehr oder weniger verkrampft oder auch komplett unverkrampft zu vermeiden, manche legen es auch gezielt darauf an und manchen ist es auch herzlich gleichgültig.
Interessant ist ohnehin vielmehr, was und wie hierzulande geschrieben wird, das dann in dieser Schublade landen könnte. Meiner Beobachtung nach schreiben heutige deutsche Autoren gezielt für diese Schublade und bedienen sich der darin enthaltenen Motive. Wer schreibt denn bitteschön noch einfach drauflos und überlässt es den Rezipienten, sich über die Kategorisierung Gedanken zu machen? Michael Ende wollte mit der "Unendlichen Geschichte" sicherlich keine Fantasy und vermutlich noch nicht einmal ein Kinder-/Jugendbuch schreiben, aber das ist auch schon ein paar Jährchen her (Einmal ganz davon abgesehen, das ich das Werk ud nden Autor für überbewertet halte und hier nur der Bekanntheit wegen als Beispiel anführe, aber das ist eine ganz andere Baustelle ...) . Wer heute in die Tasten schlägt, hat in aller Regel eine recht konkrete Vorstellung davon, für welche Schublade er schreibt, weil davon bereits abhängt, bei welchem Verlag man es für welche Klientel anbietet. Und falls nicht, wird der Verlag oder spätestens der Buchhandel schon darum kümmern!
Das hat nicht nur Nachteile. Die Klientel weiß, in welche "Schublade" sie greifen muss, um das zu finden, was sie lesen möchte. Andererseits fällt dadurch viel unter den Tisch, dass sich einer klaren Zuordnung entzieht oder "falsch" zugeordnet wurde.
Ebenso wie Dolge habe ich als Kind der DDR eien etwas andere Prägung mitbekommen. Fantasy gab es in der DDR im Prinzip nicht, sofern man der nachträglichen Einordnung von Mythen und Sagen nicht folgen möchte. Eskapismus gab es offiziell auch nicht, da per Definition alles so gut war, dass man ihm nicht entfliehen musste. Andererseits gab es ihn aber doch, denn angesichts der nationalen und internationalen Entwicklungen war der in der phantastischen Literatur der DDR omnipräsente Traum des bereits etablierten real existierenden Sozialismus auch eine Art Flucht - nur eben weniger nach hinten auf der fiktionalen Zeitskala (im Fäntelalter war alles schöner) sondern nach vorne (im Weltall wird alles schöner).