Autor Thema: Das Klischee: Cui bono?  (Gelesen 1425 mal)

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Offline JS

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Das Klischee: Cui bono?
« am: 19.12.2016 | 16:22 »
Moin.
Seit fast 30 Jahren leite ich nun Rollenspielrunden und war immer ein Freund von Fertig- und Kaufabenteuern, die ich gerne nach meinem Gusto anpaßte. In diesen Rollenspieljahrzehnten hat sich ja so manches fortentwickelt und verändert, doch selbst in neusten (Kauf-)Kampagnen und Abenteuern begegnen mir immer wieder und immer noch die uralten Klischees aus dem Pleistozän der Abenteuergestaltung.

Ich nenne exemplarisch mal zwei:
- Die wenigsten Überlandreisen vor allem im Fantasy verlaufen glatt, meistens gibt es mindestens die Standardbanditen zum Würfelwarmkämpfen oder die erwarteten ernsten Ver- und Entwicklungen.
- U.a. bei Star Wars muß man gerne mal Waldsiedlungen besuchen, die selbstredend niemals einen Landeplatz in unmittelbarer Nähe haben. So müssen die SC auf der einzigen Lichtung 5 km entfernt landen und dürfen sich der Schlangen, Tiger und sonstigen Predatoren erfreuen, die sie auf dem Weg zur Siedlung treffen.
- Der Geheimeingang ist natürlich hinter dem Wasserfall.

Jeder von uns kennt diese und noch viel mehr Klischees, die nach wie vor zahlreiche Abenteuer verschönern oder verseuchen - je nachdem, wie man sie findet. Das führt nun zu meinen Fragen:
Wie geht ihr mir solchen Klischees beim Leiten um und wie bewertet ihr sie, wenn ihr bei der Plotvorbereitung (schon) wieder auf sie trefft?
Wir reagieren eure Spieler, wenn ihre Vorahnungen sie bereits wieder (korrekterweise) zu den üblichen Klischees führen?

Ich als SL versuche, zumindest die "billigen" Klischees möglichst zu vermeiden, weil sie die Spieler langweilen und ich mich nicht gut fühle, wenn die Spieler mir schon vorher den Plotverlauf verraten können. (Daher mag ich auch keine Kämpfe, deren Ausgang eindeutig ist.)
Kann oder möchte ich ein Klischee nicht vermeiden, passe ich es so an, daß es wieder eine eigene Note hat. (Kürzlich tauschte ich z.B. die allgemein erwarteten Überfallbanditen gegen einen - jungen - weißen Drachen auf Beutesuche, der den Spielern zunächst ordentlich Respekt einflößte und ihnen dann einen spannenden Kampf lieferte. Das Gefahrenniveau blieb dabei nach Zahlen gleich, aber der Gegnertausch brachte für meine Leute den Pepp in die Sache.)
Wer gern sagt, was er denkt, sollte vorher etwas gedacht haben.

vlyrr

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Re: Das Klischee: Cui bono?
« Antwort #1 am: 19.12.2016 | 16:44 »
Zitat
Wie geht ihr mir solchen Klischees beim Leiten um und wie bewertet ihr sie, wenn ihr bei der Plotvorbereitung (schon) wieder auf sie trefft?

Meine Erfahrung ist, dass Klischees vor allem bei Material auftritt, das sich bewusst an Anfänger richtet. Meine weitere Erfahrung ist dass sich leider der Großteil des verfügbaren Materials an Anfänger richtet.
Selten dass man mal was in die Finger kriegt, bei dem weitreichende RPG-Kenntnisse vorausgesetzt werden. Naja, und eben dieses hat dann keine Klischees.
Zitat
Wir reagieren eure Spieler, wenn ihre Vorahnungen sie bereits wieder (korrekterweise) zu den üblichen Klischees führen?

Ich habe festgestellt, dass es gar nicht darauf ankommt, dass Klischees faktisch auftauchen, sondern mehr um das Verhältnis der Spieler zu einer möglichen Klischeesituation.
Beispielsweise wird der obligatorische Raubüberfall bereits einkalkuliert, bevor man durch den Wald stapft. Dass ein solcher gar nicht auftaucht sei dahingestellt.
Insofern hat die jahrzehntelange Klischeekeule, die auf RPGler eindrosch (samt medialen Referenzen) positiv dazu geführt dass sie sich in gewisserweise settingkonform verhalten.

Obiges gilt natürlich nur für ordinäre Settings, die in etwa dem entsprechen, was man so als RPGler erwartet, wenn er in Wälder zieht.
Spielt man nun total abgefahrenes Zeug wie EXALTED dann ist die Spielwelt so extrem und unberechenbar fremd, dass die Frage nach Klischees gar keine Rolle mehr spielt.


Pyromancer

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Re: Das Klischee: Cui bono?
« Antwort #2 am: 19.12.2016 | 16:44 »
Ich hab unserer SL letztens Bescheid gesagt, dass ich es unter Realismus-Bedingungen (und wir spielen im europäischen Mittelalter) sehr merkwürdig finde, wenn wirklich auf jeder Reise entweder ein Räuberüberfall oder ein wildes Tier vorkommt, das bekämpft werden muss. Seither hat das nachgelassen.

Wenn ich leite, dann sind solche Überland-Begegnungen keine sinnlosen "Aufwärm-Kämpfe", sondern HINWEISE. D.h. sie passieren i.d.R. auch nur, wenn es dafür einen GRUND gibt. D.h. meistens passieren sie eben NICHT. Eine 08/15-Räubergruppe greift keine Abenteurer an, weil diese keine OPFER sind, sondern GEGNER, und das kann die 08/15-Räubergruppe nicht brauchen.

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Re: Das Klischee: Cui bono?
« Antwort #3 am: 19.12.2016 | 16:52 »
Ich hab unserer SL letztens Bescheid gesagt, dass ich es unter Realismus-Bedingungen (und wir spielen im europäischen Mittelalter) sehr merkwürdig finde, wenn wirklich auf jeder Reise entweder ein Räuberüberfall oder ein wildes Tier vorkommt, das bekämpft werden muss.

Stimmt, stattdessen müsste auf jeder Reise mindestens zigmal Brückenzoll oder so bezahlt werden! Das kann im Optimalfall dann zu Michael Kohlhaas Reloaded eskalieren. :)
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Offline Rorschachhamster

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Re: Das Klischee: Cui bono?
« Antwort #4 am: 19.12.2016 | 17:14 »
Klischees kommen meist nicht aus dem Nichts. Sie werden oft genug bestätigt, as sie eine scheinbare Allgemeingültigkeit erfahren. D.h. aber auch, das man etwas merkwürdiges hat, wenn man nie ein Klischee bedient, nämlich Spieler, die im Nichts herumstochern, bei dem nichts das ist, was es zu sein scheint. Klischees können insofern auch konstruktiv genutzt werden, um zum Beispiel Knoten in dem Ablauf aufzubrechen - der verhüllte Verfolger, die Augen im Schatten etc. pp.

Zufallsbegegnungen sollten wirklich zufällig sein, aber sich einer sinnvollen Verteilung bedienen, die den Gegebenheiten in der Landschaft entsprechen - und dabei auch Klischees bedienen. Wenn es nur Räuber gibt, dann hat das wahrscheinlich auch was zu bedeuten...   ;)
Was eine Zufallsbegegnung aber nie sein sollte, mMn, ist eine automatische Kampfbegegnung. Selbst ein hungriger Bär zögert bei offensichtlich vielen Gegnern...
Rorschachhamster
DMG Pg. 81 " The mechanics of combat or the details of the injury caused by some horrible weapon are not the key to heroic fantasy and adventure games. It is the character, how he or she becomes involved in the combat, how he or she somehow escapes — or fails to escape — the mortal threat which is important to the enjoyment and longevity of the game."

Offline Auribiel

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Re: Das Klischee: Cui bono?
« Antwort #5 am: 19.12.2016 | 17:36 »
- Die wenigsten Überlandreisen vor allem im Fantasy verlaufen glatt, meistens gibt es mindestens die Standardbanditen zum Würfelwarmkämpfen o

Ging uns ja auch so und nach dem xten Mal wird es auch langweilig - andererseits spielt man ja nicht 24/7 des Heldenlebens aus (hab ich jedenfalls noch nicht erlebt), dann sind die ereignislosen Reisen halt die, die keine Erwähnung finden (weil: wäre ja auch wieder langweilig, wenn man die Reise an-/ausspielt und dann... genau gar nichts passiert?). Dann überspringt man die Reise und macht gleich am nächsten Ort weiter und... hat erneut eine ereignislose Reise zu einer Fußnote degradiert. Ein Teufelskreis.

Was ich allerdings überhaupt nicht mag, sind NSCs, die lebensmüde sind. Wenn da eine schwer bewaffnete SC-Gruppe kommt, mit voll gerüstetem Krieger/n, einigen tough aussehenden Typen mit Waffen (Schurke, Jäger, etc.), ggf. noch einem Priester oder erkennbaren Magier und die 0815-Banditen sie dann trotzdem angreifen, verliert das für mich jegliche Glaubwürdigkeit - solange nicht ein gewichtiger Grund dahinter steckt.
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Re: Das Klischee: Cui bono?
« Antwort #6 am: 19.12.2016 | 21:34 »
Kultisten, die Tentakelmonster beschwören, ziegenbärtige Schwarzmagier, die "Du kannst mich nicht besiegen" schreien - es ist wie mit einem Witz. Der kommt beim ersten Mal vielleicht etwas seltsam rüber, aber wenn er das zweite Mal erzählt wird, wissen alle, wo sie lachen sollen. Irgendwann wird er natürlich dann auch wieder langweilig. Und so, wie es innerhalb einer Kultur immer gewisse Standardwitze gibt, die immer wieder variiert werden, z.B. Anwaltswitze in Amerika, so gibt es auch Fantasyklischees, die sich immer wieder verwenden lassen.
Und wenn ich mich im Zusammenhang
des Multiversums betrachte, wie oft bin ich?

Offline Feuersänger

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Re: Das Klischee: Cui bono?
« Antwort #7 am: 19.12.2016 | 22:40 »
Zitat
(Daher mag ich auch keine Kämpfe, deren Ausgang eindeutig ist.)

Echt? Was heißt für dich "eindeutig"? Oder anders gefragt: wie oft leben deine Gruppen lang genug, um den 10. Kampf zu bestreiten?
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Zitat von: ErikErikson
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"I blame WotC for brainwashing us into thinking that +2 damage per attack is acceptable for a fighter, while wizards can get away with stopping time and gating in solars."

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Offline JS

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Re: Das Klischee: Cui bono?
« Antwort #8 am: 20.12.2016 | 02:41 »
Sie leben lange genug für lange Kampagnen, und die Kämpfe sind i.d.R. dennoch gefährlich.
Eindeutig sind Ausgänge z.B. zwischen hochstufigen Chars und niedrigstufigen NSC bei D&D 3.5 oder bei Helden HG 3 und Gegnern für HG 1 bei Splimo; sprich: mächtige SC gegen die Raufboldbande aus dem Wald nebenan.
Aber das nur als kurze Antwort, damit die Diskussion nicht gleich wieder abgleitet.
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Offline Rhylthar

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Re: Das Klischee: Cui bono?
« Antwort #9 am: 20.12.2016 | 07:29 »
Ich mag eine gesunde Mischung aus klischeebehafteten Ereignissen und davon völlig losgelösten. Im Idealfall denken Spieler gar nicht mehr zuerst darüber nach, ob das Klischee in dem Moment zutreffen wird oder nicht.
“Never allow someone to be your priority while allowing yourself to be their option.” - Mark Twain

"Naja, ich halte eher alle FATE-Befürworter für verkappte Chemtrailer, die aufgrund der Kiesowschen Regierung in den 80er/90er Jahren eine Rollenspielverschwörung an allen Ecken wittern und deswegen versuchen, möglichst viele noch rechtzeitig auf den rechten Weg zu bringen."

Für alle, die Probleme mit meinem Nickname haben, hier eine Kopiervorlage: Rhylthar.