Kann jemand die wichtigsten Unterschiede zum Lovecraft´schen Horror / Mythos mal darstellen?
Uff. Ich würde sagen, der Hauptunterschied ist, dass die Geschichten fast gar nichts miteinander zu tun haben, außer dass Lovecraft Chambers' Werk kannte und mochte und einige Elemente (allen voran "das böse Buch") übernommen hat und einige Namen/Begriffe fallenlässt. Vor allem in "The Whisperer in Darkness" wird auf ein paar Namen (nicht Inhalte) Bezug genommen.
August Derleth, der Mensch, der Lovecrafts verschiedene Geschichten gern in einen Gesamt-Mythos einordnen wollte, war auch ein Fan und wollte aus dem Cthulhu-Mythos ursprünglich einmal einen Hastur-Mythos machen, wo der König in Gelb und die Stadt Carcosa eine wichtige Rolle spielen. Später hat man zumindest den König in Gelb als "Hastur" in den ganzen Mythos-Pantheon eingepasst. Diese Variante mit Tentakeln hinter der Bleichen Maske hat aber eigentlich nichts mehr mit Chambers' Geschichten zu tun.
Die Geschichten, tja. Die spielen in der Tat in den 1920ern. ABER sie wurden 1895 veröffentlicht, in einem Sammelband, mit dem Titel "The King in Yellow". Ich würde sie im Prinzip als Science Fiction klassifizieren, auch, weil es unter anderem um Dystopische Gesellschaftsvisionen und revolutionäre technische Entdeckungen geht. Aber gleichzeitig auch um Verfall, Irrsinn, Tod und alles mit einer irgendwie traumhaften Qualität. Im Gegensatz zu Lovecraft mit seinen Akademikern und anständigen neuenglischen Bürgern sind das Umfeld hier eher Künstler, Multikulti-Bonvivants und Adlige.
Ich persönlich würde den KIY-"Kanon" auf vier Geschichten beschränken - "
The Repairer of Reputations", "
The Mask", "
The Court of the Dragon" und "
The Yellow Sign", dazu das Gedicht "
Cassilda's Song". Chambers hat ein paar weitere "Weird Tales" geschrieben, die aber für mich nicht so 100% das Thema aufnehmen. Und Joseph Pulver Sr. (der Hauptbetreiber des "Yellow Mythos") kann noch so sehr Karl Edward Wagner's "The River of Night's Dreaming" und Blish's "More Light" und die ganzen (oft nicht schlechten) Stories aus seinen Kurzgeschichtenanthologien zum "echten" Teil des Yellow Mythos erklären, meiner Meinung nach trifft nichts den Ton und die Qualität der genannten fünf Titel, nichtmal Chambers selbst in seinen anderen Werken.
Ich werde mich jetzt hier nicht entblöden, die Geschichten nachzuerzählen. Einerseits, weil ich ihre Qualität vor allem in der Sprache und Präsentation sehe, nicht unbedingt im Plot. Andererseits weil sie für jeden problemlos
online verfügbar sind, sogar als
Ebook, so dass man sie im Bus oder Zug lesen kann.
Ich habe allerdings meine Bedenken, ob sich die wirklichen Geschichten als Vorlage für Rollenspiel eignen - dazu sind sie vielleicht zu vage, zu angedeutet, zu traumartig. Die Erzähler sind unzuverlässig, das Geschehen eine subjektive Wahrnehmung und der Knackpunkt des Ganzen eine Vermeidung des Konkreten. Etwa "Der König in Gelb" - das ist 1) der Name des Buchs, in dem alle Geschichten erschienen sind. 2) ist es der Name eines europäischen Theaterstücks, das eine dermaßen gefährdende und zerrüttende Wirkung hatte, dass die Behörden es beschlagnahmen und vernichten ließen (trotzdem haben alle Protagonisten das Ding gelesen). 3) ist es die namensgebende Figur aus dem Stück, die aber in den über die Geschichten verteilten Auszüge nie selbst vorkommt. Obwohl das Stück und der Name/Titel immer wieder auftauchen, erfahren wir nicht viel darüber. Der König in Gelb schweb sozusagen als ungreifbare Präsenz über den Erzählungen, ohne je wirklich greifbar aufzutauchen. Dass Chambers es schafft, dem Leser immer wieder Dinge vor der Nase herumbaumeln zu lassen, gerade um Haaresbreite außer Reichweite, macht für viele den Mythos und die Faszination dieser Geschichten aus.
Natürlich kann man es einfach wie Joe Pulver machen und einfach Horrorgeschichten, die einige Themen von Chambers aus ihrer dekadentent Fin de Siècle-Heimat reißen und in eine zeitgemäßere Horrorhandlung verpflanzen mit White Trash, Serienkillern, Sekten und moderneren Medien als Theaterstücke. Da gibt es hundert Autoren, die das gemacht haben und eine handvoll, die nichts anderes machen. Das ist der Weg, den die meisten Rollenspielabenteuer gehen (die es schaffen, den CoC-"Hastur Mythos" zu umschiffen) oder z.B. die Serie "True Detective".
Ich nehme an, das ist auch das, was wir zu sehen bekommen werden (für ToC gibt es mit "Soldiers of Pen and Ink" bereits ein KIY-Abenteuer, das die CoC-Hastur-Falle vermeidet).
Ich bin auf jeden Fall mal sehr gespannt, was sie draus machen.
Was mich allerdings schon wieder ein wenig stresst:
New GUMSHOE features include:
A completely new player-facing combat system.
A fresh, evocative approach to wounds, physical and psychic, inspired by the innovations of GUMSHOE One-2-One.
Linked character creation across multiple settings.
Ich mag GUMSHOE ja und halte es für ein exzellentes System für einen Spielstil, den ich als "Story Exploration" bezeichnen würde. Aber mir macht dieser "Rollig Release"-Stil zu schaffen, wo den Autoren bei jedem Spiel und jedem Buch noch etwas einfällt und keine zwei Spiele so 100% dieselben Regeln haben (wobei es mir jetzt nicht um settingspezifische Sonderregeln geht wie Badass-Kung-Fu, das NBA braucht, ToC aber nicht).