Ich glaube, wir reden aneinander vorbei.
Ich mache das ganze mal deutlich am Design eines Flugzeuges:
Designziel: Ziviles Flugzeug, das bis zu 200 Passagiere auf Langstreckenflüge transportiert
Design: Konkrete Eigenschaften, z.B. Aerodynamik, 2 Ebenen mit je 100 Sitzen (Obere Etage 1st class, untere Etage 2nd class), Ladefläche, Treibstofftanks unter der Ladefläche, 10 Mann Crew (inkl. Service-Personal).
Blaupause: Konkrete technische Daten.
Prototyp / Beta-Spiel: Umsetzung der Blaupause.
Das Beispiel hilft: Ich glaube, wir reden wirklich aneinander vorbei. Aber nicht in erster Linie, weil wir unterschiedliche Ansichten darüber haben, was Design ist, sondern weil wir unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wieviel planbar ist — also wie weit Rollenspieltheorie bereits ist.
Wenn jemand ein Flugzeug designt, dann hat er/sie üblicherweise über ein Jahrhundert an Luftfahrtgeschichte und Naturwissenschaftlichen Grundlagen aus mehreren tausend Jahren studiert, und zusätzlich Informationen von Marktforschern, die wissen, welche Flugzeugtypen gebraucht werden und was Passagiere für Anforderungen haben. Dadurch lässt sich halbwegs vorhersagen, welcher existierender Motortyp für welche Anforderungen gebraucht wird, und wo noch Entwicklungsbedarf ist.
Wenn dagegen jemand ein Rollenspiel designt und über Würfel nachdenkt (also kein etabliertes und bereits halbwegs getestetes Design verwendet), gibt es kaum Informationen darüber, wie das Würfelsystem das Spielgefühl beeinflusst (das Äquivalent zum Motordesign bei Flugzeugen), und auch nicht dazu, was Leute sich eigentlich wünschen (also Marktforschung), geschweige denn Studiengänge in denen man einen Überblick über Rollenspielsysteme und welche Mechanismen welche Auswirkungen haben.
Ich kenne eine Handvoll an veröffentlichten Arbeiten zu Rollenspielen, aber die sind noch auf dem Stand der ersten Luftschiffe: Beschreibung von Dingen, die mal funktioniert haben, und viele Vermutungen.
Vielleicht sind wir außerhalb akademischer Veröffentlichungen sogar schon beim ersten Dieselmotor: Unterschiedliche Gruppen nutzen ihre Designs, um bestimmte Ziele zu erfüllen und versuchen dabei, die Zielgruppen zu erreichen, die von den Stärken ihres Systems am meisten profitieren. Und dann doch immer wieder überrascht werden, wo welches Konzept funktioniert. Ein Beispiel ist Shadowrun mit Fate.
Denkst du, dass du, ohne einen existierenden Würfelmechanismus zu nutzen, ein vollständiges Rollenspiel so entwickeln kannst, dass dein Design aufgeht und die Anforderungen der anfangs definierten Zielgruppe besser erfüllt als ein anderes Design?
Ich denke, dass dazu in Deutschland höchstens eine Handvoll Leute in der Lage sind.
Mich zähle ich nicht dazu — nicht mehr, seit ich gesehen habe, welche Ziele ich mit dem EWS erreichen konnte und welche eben nicht. Ich könnte beim Design aktuell nicht vollständig abschätzen, welche Ziele ich wirklich gleichzeitig erreichen kann und wo ich Designziele aufgeben muss. Man lernt mit der Zeit etwas Bescheidenheit. Um an diesen Punkt zu kommen, müsste ich meiner Ansicht nach mit etwa 5 unterschiedlichen Regelwerken je zwei Rollenspiele komplett entwickeln (mit Gurps habe ich eins, mit dem EWS habe ich fast zwei, fehlen z.B. noch DSA-Ableger, W6-Pool oder W20-Pool-Systeme, FATE-Systeme und Systeme mit verschiedenen Würfeln wie Earthdawn oder Savage Worlds; vielleicht noch zwei Kartensysteme und D20). Und auch dann könnte ich nur für diese Regelwerke abschätzen, wie sie sich verhalten. Weißt du, was sich am Spielgefühl verändert, wenn beim EWS statt W6 ein W4 genutzt würde?
Sind wir so weit, dass vor dem ersten Beta-Spiel gesichert ist, dass ein Austausch des Würfelsystems keinen Vorteil bringen würde? (dieser Austausch würde weitreichende Änderungen erfordern — also vermutlich Jahre an Entwicklungsarbeit zunichte machen)
EDIT: Das Design sollte die Anforderungen nicht nur erfüllen, sondern besser erfüllen als ein anderes Design.