Kleiner Nitpick zum Einstieg: Rein verhandelte, im Gegensatz zu durch Zufallselement ermittelte, Ergebnisse gibt es ja nicht nur in erzählerisch orientierten Runden. Auch und gerade Runden, die auf Simulation Wert legen, honorieren oft eine Verhandlungserfolg, indem dann eben kein Wurf für den Erfolg erforderlich ist, weil die Vorgehensweise des Charakters so gut geplant ist, dass sie vernünftigerweise nicht scheitern kann. In der erzählerisch orientierten Runde wird hingegen oft dann auf das Zufallselement verzichtet, wenn eine bestimmte Wendung einfach dramaturgisch so schön „passt“, dass alle am Tisch sich einig sind, dass sie genau diese Wendung jetzt haben wollen und dann lassen sie sich von den Würfeln auch nicht dazwischen funken.
Leute, die erzählerisches Spiel nicht verstehen, meinen hier dann oft einen Widerspruch zu erkennen, wenn man es manchmal einfach entscheidet und an anderer Stelle den Zufall entscheiden lässt. Das geht aber an der Sache vorbei. In jeder Situation, die an einem Rollenspieltisch, egal in welchem Spielstil, entsteht, erfolgt eine
Beurteilung der Situation durch die Spieler, und aus dieser Beurteilung erfolgt dann eine auf die individuelle Situation bezogene
Entscheidung, wie diese Situation zu handhaben ist. Eine funktionale Runde ist dann eben eine, wo die Spieler sich über die Beurteilung und Entscheidung der auftretenden Situationen in der Regel einig sind. Man wird üblicherweise erkennen, dass in einer solchen Runde prinzipiengeleitet entschieden wird. Prinzipiengeleitet heißt aber noch lange nicht schematisch. Andere Situation, andere Beurteilung.
Natürlich folgen aber unterschiedliche Spieler, die alle für sich in Anspruch nehmen, erzählerisch zu spielen, unterschiedlichen Prinzipien. Das hat dann was mit – genereller oder momentaner – Präferenz zu tun. Ich habe z.B. bei vielen Spielern eine „over the top“ Phase beobachtet, in der sie Spaß daran hatten, ihre Charaktere einfach nur alles wegrocken zu lassen. Umgekehrt habe ich aber auch oft die Beobachtung gemacht, dass gerade, wenn man das Regel-/Zufallselement rausnimmt, die Spieler besonders bescheiden werden und ihre Charaktere eher kleiner machen, als sie es beim Spiel nach harten Regeln tun würden. Anderer Spieler würden von sich aus sagen: „Das möchte ich jetzt lieber würfeln.“ Das hat alles auch viel mit der Chemie der Gruppe und der Dynamik der Situation zu tun.
Ein Sonderfall ist noch die PvP-Situation, wenn die Charaktere also gegeneinander agieren. Hier gibt es einerseits Spieler, die dann bei einer erzählerisch verhandelten Fiktion am Spieltisch die Ellbogen ausfahren, laut und schnell reden, anderen ins Wort fallen, die Situation so auslegen, wie es ihrem Charakter am besten passt, usw. Und es gibt andere, die ein extrem ausgeprägtes Fairplay-Bedürfnis haben, die zwar ihren Charakter knallhart agieren lassen, aber am Spieltisch besonders großen Wert darauf legen, sich keinen unfairen Vorteil zu verschaffen, alle zu Wort kommen zu lassen, im Zweifel bei der Auslegung/Beurteilung des fiktionalen Kontext eher zugunsten des Gegners entscheiden, etc.
Es sind also zwei verschiedene Ansätze, aus denen so ein „Powertelling“ meiner Erfahrung nach entsteht, nennen wir sie mal „dicke Hose“ und „Ellenbogen“. Ich kann aber nicht sagen, dass ich da irgendeine Form von Zusammenhang zu Fantasy-Settings und -Geschichten entdecken könnte, das ist mir alles schon in diversesten Settings begegnet. Ich kenne hier jeweils sowohl Spieler, die einfach immer so agieren, als auch solche, bei die nur mal so eine Phase hatten bzw. nur in Gesellschaft bestimmter anderer Spieler so sind.
Seid ihr der Meinung, dass Rollenspiele ohne oder mit nur geringen Zufallselementen in der Konfliktresolution keine Spannung aufweisen? Wenn nein: Worin liegt für euch der Spannungsaspekt?
Ich verstehe, dass viele sich das wirklich fragen, auch wenn mir die Frage absurd vorkommt. Du hast eine explosive Situation in der Fiktion und du weißt noch nicht, was dabei herauskommen wird, das ist doch immer das, was spannend ist, am Rollenspiel. Ob diese Lösung, also was dabei am Ende herauskommt, mit oder ohne Würfel verhandelt wird, ist doch eine nachgeordnete Frage.
Oft trifft man so die Vorstellung an, wenn es keine Würfel gibt, dann ist doch eh schon allen klar, wie es ausgeht, und die erzählen es nur so runter; ich frag mich manchmal, auf was für einem Planeten die Leute leben, die so was denken. Alter, wir verhandeln das doch, wir
spielen das doch, ich weiß vielleicht selber noch nicht mal, wie mein Charakter reagieren wird, ich warte drauf, was der SL vielleicht noch für Geheimnisse enthüllt, ich warte drauf, was meine Mitspieler sich einfallen lassen, oft ist es ein IC-Dialog, an dem alles hängt, das spielen wir doch in wörtlicher Rede, da muss ich die richtigen Worte finden, die richtige Präsentation finden, und dann sind da noch andere dabei, die sich einmischen, die mit etwas kommen, womit ich gar nicht gerechnet habe, das ist doch die Königsdisziplin! Wir sind dann vier, fünf, sechs Leute, alle sind involviert, alle reden durcheinander, alles ist wichtig, alles fließt zusammen und, mal Push mal Pull, wie ein Tanz, wie kann man denn denken, dass das langweilig, nicht spannend, nicht überraschend sei, nur weil vielleicht nicht gewürfelt wird?