Du beziehst dich ja auf die Archipelago-Karten (Itras By). Mit denen habe ich nicht so viel Erfahrung, aber ich antworte trotzdem mal in Bezug darauf. Was Weltengeist meint, wäre natürlich interessant zu wissen. Ich vermute FATE, für das man die Diskussion hier ganz anders aufziehen müsste. [Mein Problem mit FATE habe ich erst nach der Lektüre von Eero Tuovinens
einsichtigen Beiträgen hier wirklich erkannt.]
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1.) In Love in the Time of Seid z.B. kam die Phrase "That Might Not Be Quite So Easy" als Aufforderung, eine Karte zu ziehen und nicht einfach so zu entscheiden, wie es ausgeht, eigentlich immer erwartbar, d.h. nicht um jemanden zu stoppen, der sich ansonsten einen billigen Erfolg herbeierzählt hätte, sondern, wie du sagst, einfach an einem spannenden Punkt, bspw. in einem direkten Konflikt zweier Figuren oder so. Aber selbst, wenn man davon absieht, dass es diese einfache Möglichkeit gibt, jemandem ins Wort zu fallen, denke ich nicht, dass man sich wegen herbeierzählter Erfolge übermäßige Sorgen machen muss. Mein Eindruck ist, dass die meisten Leute (mich eingeschlossen) im echten SL-losen Freiformspiel viel eher ein Problem damit haben, überhaupt Entscheidungen zu treffen, ohne sich dabei auf einen Zufallsmechanismus wie die Karten verlassen zu können. Nicht weil sie einen Drang unterdrücken müssen, immer nur Erfolge zu bringen, sondern, weil man ja nie weiß, was der Rest der Runde von der eigenen Entscheidung hält bzw. eine große Verantwortung hat. Bei einer eingespielten Gruppe gibt sich das aber bestimmt.
2.) Ich denke, um die Phrasen und Karten wirklich zu vollem Nutzen einsetzen zu können - ohne sie, d.h. in SL-losem Freiformspiel, erst recht - muss man eine Portion Selbstvertrauen mitbringen. Wer sich lieber im Hintergrund hält, andere ihr Ding machen und am liebsten die Würfel entscheiden lässt, wird es hier schwerer haben. Jemand, der sich wiederum voll reinhängt und dynamisch einen Erfolg nach dem anderen raushaut, hat da aus meiner Sicht schon bessere Grundvoraussetzungen, bzw. wird sich öfter Phrasen/Karten fangen oder in Freiform mit dem Rest des Tisches abstimmen müssen.
3.) Die meisten Rollenspiele haben irgendwo ein explizites Zufallselement wie z.B. die Archipelago-Karten. Ein schönes Beispiel für eine tolle Mechanik ohne Zufall ist Lovecraftesque, wo in einer Szene jeweils Hinweise beschrieben werden und danach jede(r) für sich aufschreibt, was wohl hinter diesen Clues steckt, um dann in der eigenen Szene Hinweise zu streuen, die auf die eigene Interpretation hindeuten. Was wirklich wahr ist, erfährt man erst ganz zum Schluss. Das ist Spannung.
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Für mich sind Erzähl(rollen)spiele am ehesten DSA und Cthulhu, so wie sie hierzulande gespielt werden. Eine(r) erzählt, der Rest hört zu, Regeln sind egal. Insofern finde ich Clausustus' Frage schonmal absolut berechtigt. Für mich ist der Begriff letztlich noch unglücklicher als das bisweilen in ähnlicher Absicht verwendete
story game. Kann man da noch behaupten, dass es sich um Rollenspiele handeln müsse, die einen bestimmten
Inhalt, nämlich die Geschichte, in den Mittelpunkt stellen - was auch wieder für ganz andere Spielweisen gelten kann - , ist erzählen als Verb der
Modus eines jeden Rollenspiels. Wenn ich nicht "schriftlich oder mündlich auf [mehr oder weniger, Anm.] anschauliche Weise darstelle", was (m)eine Figur tut, dann funktioniert das Spiel nicht.