Ich halte die ganze Thematik "Railroading vs. Sandbox" für einen der unsäglichsten Hirn-Verdreher der ganzen RSP-Szene. Schon allein weil die beiden Kategorien in meiner Erfahrung gar nicht auf der gleichen Ebene angewandt werden. Angeblich wird da immer ein Leit-Stil bezeichnet - tatsächlich zeigt sich aber mMn:
- Railroading als empirisches Gefühl ("Oh mein Gott! Ich wurde soeben gerailroadet!!!" )
- Sandbox als Form der Vorbereitung ("Ich fülle den Bienenstock mit unzähligen Honigsorten - dann haben die Spieler ein 'possible thing at breakfast'!" )
Wenn die beiden Begriffe dann als beschreibende Modelle für Handlungsweisen bzw. Maximen am Tisch ausgegeben werden, fallen wir scharenweise in ein
falsches Dilemma. Wir meinen uns auf eine Seite stellen zu müssen, um bloß nicht der dunklen Seite der Macht anheim zu fallen.
Auf Deutsch:
Kuhkacke!
Halbwegs sinnig wäre es noch, die Railroad ebenfalls als Vorbereitungsform zu definieren (feste Szenen- und Ereignisabfolge, bis hin zum fertigen Drehbuch). Auch dann wären unendliche Variationen zwischen Gleisanlage und Sandkiste vorstellbar. Aber wenigsten hätte das Wort eine konkrete Bedeutung und würde auf der gleichen Ebene angewandt wie sein angebliches Antonym.
Viel sinnvoller fände ich es dagegen, sich zu vergegenwärtigen wie vielseitig die Fiktion im Spiel beeinflusst werden kann. Dann müssten wir uns nicht generalisierend für eine Partei entscheiden, sondern könnten situativ zwischen Momenten der Spieler- und SL-Lenkung* unterscheiden.
In meiner Wahrnehmung kommt durchaus echte Gängelung vor, sobald ein Moment der Spieler-Lenkung keinen Einfluss auf die entstehende Fiktion hat. Das Gefühl der Railroad, das sich dadurch einstellt, ist so negativ, dass wir es unbedingt vermeiden wollen. Als Schluss (im falschen Dilemma) ziehen wir daraus, die Spieler bräuchten das polare Gegenteil: die
absolute FreiheitTM.
Nur ist Freiheit eben ein ganz schön kniffliges Konzept. Scheinbar lohnt es darüber unzählige philosophische Wälzer zu verfassen...
Ron Edwards hat z.B. behauptet: SC-Handlung = Protagonisten-Handlung = Handlung des Plots (ein 1x1 der Drehbuch-Dramaturgie)
Daraus wurde dann gefolgert: SC-Handlung = Spieler-Entscheidung => Spieler = Autor => SL = reaktiver Zen-Bass-Spieler
Während die erste Behauptung mMn noch eine gewisse Rechtfertigung hat, ignoriert die Schlussfolgerung die Natur des zentralsten Begriffes: der Handlung (da steht eben nicht Protagonist=Plot). Handlung ist mMn kein Ding, das im leeren Raum und nur von Seiten des Handelnden initiiert wird. Vielmehr braucht eine Handlung ein Objekt oder Gegenüber, eine Motivation und vor allem auch Grenzen. Erst da wo Rahmen und Folgen absehbar sind, wird aus freiem Handeln auch sinnvolles Handeln. (Witziger Weise zeichnet sich sowohl Gängelung, als auch absolut ungebundene Handlung vor allem durch die Abwesenheit von Wirkung aus.)
Kurz und gut: SC-Handlung braucht lenkende Spieler
und lenkende SL bzw. Mitspielende mit entsprechenden Funktionen.
Unterstrichen wird dieser Gedanke noch von der Forderung nach starken Antagonisten. (Begegnet mir sowohl in der populären Dramaturgie als auch in der Erwartungshaltung der meisten mir bekannten Rollenspieler.)
Als SL versuche ich mir daher vor Augen zu halten:
- Meine Spieler wollen nicht Freiheit von etwas - sie wollen Freiheit zu etwas.
- Unser Spiel erschafft Fiktion - indem alle Spielenden sich ständig gegenseitig Stück für Stück die Freiheit nehmen, etwas Beliebiges zu erzählen.
- Gängelung entsteht erst da, wo ich eine Spieler-Entscheidung entwerte, die auf Basis von mir gesetzter Vorgaben getroffen wurde. (Sie entsteht nicht durch die Vorgaben selbst.)
- Hör nicht auf die "Railroad!"-Stimmen, sie beschreiben keine Wirklichkeit.
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*Streng genommen fehlt hier auch noch die Regelmechanik und Setting-Design.