Necropolis 2350: Spielen wir durchgehend seit 7 Jahren mit kleineren Pausen (die längste war 6 Monate) dazwischen. Kaum haben wir mal ein paar Monate was anderes am Spieltisch kommt von meinen Stammspielern sofort die Frage: Wann gehts wieder nach Salus? Eines der wenigen Settings bei denen ich mehr Material echt brauchen könnte. Warum ich Necropolis so mag?
1. Realweltlicher Bezug: "Waas? Untote gegen Ritter mit Schwertern und Thars labert etwas von realweltlichem Bezug??"
Ja, schon richtig, der Anstrich ist weit weg von jeder Realität und man kann Necropolis by the book sicher ähnlich abgedreht wie WH40k spielen. Hinter dem Anstrich befinden sich aber aktuelle, politische und gesellschaftliche Themen und Fragen (Religion als Mittel zur Kontrolle, totalitäre Staatssysteme, auf wieviel Freiheit muss ich verzichten um Sicherheit zu haben?, kalter Krieg zwischen Staaten trotz ubiquitärer, globaler Bedrohung, Korruption, Terrorismus, soziale Ungerechtigkeit).
2. Es ist das einzige Kriegssetting, das ich gerne bespiele. Der große Antagonist sind die Rephaim, unmenschliche Feinde, die ein sehr einfaches Ziel vor Augen haben. Hier fallen einfach die Themen weg (oder treten zumindest in den Hintergrund), die ich bei einem "normalen" Kriegssetting (Mensch vs Mensch) nicht bespielen wollen würde.
3. Das Powerlevel der SC passt für meinen Geschmack perfekt. Oft werden mit SW "pulpige" Settings bespielt, mit super kompetenten SCs gegen minderkompetente Feinde. Nicht so jedoch hier. Klar kann sich Necro nach "Ritter schnetzeln sich durch die Untotenhorden" anfühlen wenn man es denn möchte. Spielt man die Feinde aber by the book, so werden die Spieler erfinderisch werden müssen, wenn sie am Leben bleiben möchten.
4. Die zu bespielenden Themen sind vielfältig. Eigentlich ist das Settingbuch als militärisches RP geschrieben und das sus gutem Grund: die SCs sind Ritter, Kommandosoldaten für die heiligen Orden die an vorderster Front mit ihren Entscheidungen für das Weiterbestehen der Menschheit sorgen und im Hinterland mit den Konsequenzen eben jener Entscheidungen und denen ihrer Organisationen konfrontiert werden. Instant Drama. Wenn man aber keine Lust auf Kriegsspiel hat, bleiben einem immer noch Themen wie Homeland Security (Ritter als Investigatoren vs "Häretiker"/Terroristen), Spionage und Undercover (Konzerne und andere Ordines), Entwicklungshilfe (siehe Todeszone Gamma im Kompendium), Crime/Detective (Drogenbekämpfung, Morde, siehe Abenteuer "Opener of the ways"). Selbst wenn das einer Gruppe nicht gefällt, kann man immer noch SCs abseits des Ritterkonzeptes erstellen und Themen aus Sicht der Konzerne oder Zivilbevölkerung bespielen.
Natürlich gibt es auch negative Punkte, die über die Jahre hinweg aufgefallen sind:
1. Regelfestigkeit: Necropolis ist Savage Worlds mit allem und scharf. Kampfregeln, Fahrzeuge, Verbündete, spezielle Situationen (Verfolgungsjagden, soziale Konflikte), Artilleriebeschuss, Minenfelder, hier ist alles dabei. Und wenn die SC am Leben bleiben wollen, sollte zumindest der Erste Ritter wissen was er tut, ansonsten macht das Setting nur halb so viel Spaß.
2. Kreative Spieler: Braucht man für jedes RPG schon klar. Necropolis ist da allerdings nochmal ne Nummer schwieriger meiner Erfahrung nach. Beim Charakterbau gibt es keine Hilfe dafür was für ein Mensch der zu bauende SC eigentlich sein soll. Man legt den Orden fest, die Waffengattung und das wars. Warum der SC Kommandosoldat wurde, was seine Einstellungen zu gesellschaftlichen Themen sind, ob er aus armen oder reichen Verhältnissen stammt, usw. das wird alles nicht behandelt. Da Necropolis aber vom Konflikt der SCs untereinander lebt (gerade in einer hoch-gespannten Situation wie einem Krieg), steht und fällt das Spiel mit den Charakterkonzepten.
3. Kommandostruktur innerhalb einer Lanze: Wer mit dem Gedanken nicht klarkommt, dass ein anderer Spieler vom Setting her befähigt wird dem eigenen SC Befehle zu erteilen, wird mit Necropolis vermutlich nicht warm. Generell würde ich das Setting im Kampagnenmodus auch nur mit Leuten zocken, die sich kennen und nicht gleich beleidigt sind wenn der 1. Ritter tragischerweise Opfer von friendly fire wird oder der befehlsverweigernde Ritter zu den Büßern gesteckt wird.
4. Die Themen können extrem heftig sein: Je nach Spielmodus muss das jedem am Tisch vorher klar sein. Salus ist ein totalitäres Kriegssetting und gibt reichlich Themen her, die die Schmerzgrenze vieler Spieler überschreiten.
Ich für meinen Teil liebe das Setting über alles, ich kenne kein anderes RP-Produkt, dass mir über die Jahre hinweg so viele spannende Stunden beschert hat. Gerade eben leite ich meine Gruppe durch eine "Homeland Security" Kampagne in der die Ritter als Investigatoren in einer großen Kirchenstadt einen Immortalisten-Ring sprengen müssen. Dabei erleben sie Themen wie soziale Ungerechtigkeit, Radikalisierung und Terrorismus, Drogen/Menschenhandel, politische Unterdrückung uvm. aus vielen Blickwinkeln und können am Ende (hoffentlich) die Reaktivierung eines Dunkelheitsgenerators innerhalb der Stadt verhindern.
Inspirationsquellen sind: The Wire, The Departed, Apocalypse Now, Blade Runner, Fight Club, Goodfellas
Grüße Tharsinion