Alex, meistens lässt sich das einfach lösen indem in einer Runde alle dran sind und verletzungodifikatoren erst Ende der Runde geltend werden. Ja dann können sich zwei Gegner gegenseitig ausschalten, aber das ist ja ok.
Das ist deswegen nicht ok, weil man dann niemanden sinnvoll in seinem Tun stoppen kann, "nur" weil man schneller ist - davon ausgehend, dass man wenigstens dann die Aktion des Gegners ausfallen lässt, wenn er diese Runde ausgeschaltet wird.
Macht man das nicht, wird das Problem noch ausgeprägter.
Ich finde es schwer einen guten Weg zu finden, denn was ist wichtig?
Das Attribut oder die Kampffertigkeit, die Wahrnehmung oder geistige Attribute beim Zaubern?
Das ist ja quasi meine Steilvorlage
Der Initiativebegriff begegnet einem im Rollenspiel zwar ständig, aber sonderlich gut definiert ist er meistens nicht - speziell bei den altmodisch aufgebauten Rollenspielen wird er oft genug mit keinem Wort der Erklärung bedacht oder wenn, dann kommt da irgendein recht knapper Absatz von wegen Reihenfolge und Aktionsgeschwindigkeit etc. pp.
Als Minimaldefinition mag gelten, dass die Initiative die Handlungsreihenfolge der Charaktere und damit zusammenhängend der jeweiligen Spieler und des SL bestimmt.
Laut Duden ist Initiative der Anstoß zu einer bzw. der Beginn einer Handlung.
Genau genommen hat das also mit Handlungsreihenfolge oder gar der Abfolge von abgeschlossenen Handlungen nicht viel zu tun.
Um das mal etwas eingehender zu beleuchten, greife ich das Konzept des sog. OODA-Loop auf.
Der Begriff kommt eigentlich aus der Jagdfliegerei, lässt sich aber auf vieles anwenden, von kleinen Einzelhandlungen bis zu Struktur und Handlungsweise von Organisationen (da ist er mMn sogar am Besten aufgehoben).
OODA-Loop bezeichnet die Entscheidungs- und Handlungsschleife aus:
Observe - die Umgebung wahrnehmen, entweder mit den eigenen fünf Sinnen oder durch technische Sensoren, ggf. auch durch abstrakt abgeleitetes Wissen.
Orient - sich überlegen, was gerade passiert, was die eigenen Ziele sind, welche Faktoren entgegenstehen und welche Optionen man dementsprechend hat.
Decide - aus den verfügbaren Optionen eine auswählen.
Act - die getroffene Entscheidung umsetzen.
Diese Schleife muss man für jede Handlung durchlaufen, auch wenn manche Phasen sich nicht groß ändern.
Man agiert dann effektiver und i.d.R. schneller als der Gegner, wenn man diese Schleife schneller durchlaufen kann und somit Tatsachen schafft, die ihn dazu zwingen, seine Schleife neu zu starten (sog. OODA-Loop-Reset).
Alternativ dazu kann man gezielt auf die einzelnen Phasen des Gegners einwirken und sie verlängern oder sogar unmöglich machen.
Bis hier hin ist das erstmal ziemliches Bullshit-Bingo, deswegen will ich mal schauen, das etwas mit Leben zu füllen.
(Pauschaler Disclaimer: Bei allen im Folgenden verlinkten Videos bekommt irgendjemand auf die Schnauze oder Schlimmeres)
1. Observe
Man kann logischerweise nur auf Dinge reagieren, die man überhaupt wahrnimmt.
Wie das z.B. bei einem Angriff aus dem Hinterhalt funktioniert, kann sich jeder vorstellen: Ohne Wahrnehmung keine eigene vorhergehende Aktion.
Als etwas besseres Beispiel für die folgende gegenteilige Darstellung nehme ich aber mal einen Sucker Punch, also einen ansatzlosen Angriff aus dem Gespräch o.Ä. heraus.
Der funktioniert deswegen, weil auf kurzen Distanzen die Reaktionszeit länger ist als die Ausführungszeit des Schlages.
Das Opfer wähnt sich in einem Gespräch, während der Angreifer seine Entscheidungsschleife schon bis zum A durchlaufen hat: Er hat sein Opfer direkt vor sich stehen und erkannt, dass die Distanz passt (Observe). Seine Zielsetzung ist ein überraschender Angriff, sobald die Voraussetzungen eingetreten sind - das kann auch unbewusste Anteile haben, das führt hier aber erst mal zu weit - (orient) und er ist von Anfang schon entschlossen, das auch umzusetzen (decide).
Folglich ist die erste Wahrnehmung, die das Opfer zu einem OODA-Loop-Reset bewegt, der beginnende Angriff. In der Zeitspanne bis zum Einschlag muss das Opfer den Angriff erkennen, die komplette Situation neu bewerten, sich für eine Abwehr entscheiden und die umsetzen.
Das funktioniert natürlich nicht, weil die verfügbare Zeit viel zu knapp ist.
Sieht dann z.B. so aus.Hierbei setzen übrigens viele Selbstverteidigungskonzepte an der falschen Stelle an, weil sie hier nach irgendeiner Technik suchen, die das verhindern könnte - Technik ist aber bei den Phasen D und A zu Hause, während hier schon die zwei Os völlig verpasst wurden. Hier kann es also keine Lösung geben, die auf einer Technik basiert.
Als Gegenbeispiel mag einmal diese
erfolgreiche Abwehr dienen.
Wichtig ist hier zu verstehen, dass der Verteidiger nicht deswegen erfolgreich ist, weil er so viel schneller reagieren kann als der Ausgeknockte im ersten Video, sondern weil er weiß, auf was er zu achten hat.
Er kennt offensichtlich die Indikatoren für den bevorstehenden Angriff (werden im Voiceover angerissen, führt hier aber auch zu weit) und wartet selbst nur auf den Schlüsselreiz, um in Aktion zu treten.
Im Vergleich zu dem Opfer im ersten Video und auch im Vergleich zu seinem Angreifer hat er also einen deutlichen Informationsvorsprung. Er ist ebenfalls schon mit OOD fertig und wartet nur auf den Auslöser, um sich zu verteidigen.
Obwohl also der im weißen Shirt beginnt, ist der Verteidiger Herr der Lage und agiert "vor ihm", nämlich an der gleichen Stelle im OODA-Loop mit einer zeitlich schnelleren Aktion.
In Sachen Observe nehmen wir also mit, dass es nicht nur darauf ankommt, etwas überhaupt wahrzunehmen, sondern auch, es bewerten zu können.
Damit sind wir bei
2.+ 3. Orient and Decide
Ich fasse die zwei Punkte zusammen, weil sich eine Unterscheidung in diesem Kontext nicht so recht lohnt.
Hier dient als Beispiel ein Klassiker:
Happy slap goes wrong.Die zwei Besoffenen (gibt auch eine längere Version, wo das etwas deutlicher wird) stehen beisammen und der eine entscheidet sich aus Jux und Dollerei, der Dame des vorbeigehenden Pärchens mal ein bisschen ins Gesicht zu schlagen.
Weiterführende Gedanken hat er sich dazu offensichtlich nicht gemacht, denn ihr Freund ist ziemlich flott fertig mit seiner OODA-Schleife und schaltet auf Vorwärtsgang. Die zwei Besoffenen sind damit völlig überfordert und nehmen das zwar wahr, können sich aber nicht mehr orientieren oder gar eine sinnvolle Entscheidung treffen. Bis der Boxer aus eigenem Willen von ihnen ablässt, finden sie überhaupt nicht mehr ins Geschehen.
Zweites Beispiel:
Räuber im Rückwärtsgang.Die Angreifer kommen rein, haben ihren Tatablauf im Kopf und müssen das dann ganz schnell revidieren, als direkt Gegenwehr kommt. Immerhin treffen sie im Gegensatz zum vorherigen Video direkt eine neue Entscheidung und setzen sie um.
Und noch zwei aus dem sportlichen Bereich:
MMA Wall Jump KOAls Henderson am Zaun steht und Pettis Gas gibt, geht er seitlich raus und nimmt die Arme kurz zur Deckung hoch. Da Pettis an ihm vorbei rennt, glaubt er sich sicher und lässt die Deckung wieder fallen. Den hohen Kick hatte er nicht als mögliche Gefahr auf dem Schirm und trifft daher auch keine Maßnahme dagegen - mangelhaft orientiert und aufgrund dessen falsch entschieden.
Spin Kick KOMarshall ist offensichtlich mit dem eher exotischen Kampfstil seines Gegners überfordert. Als er in die Ecke gedrängt wird, geht der erste Kick daneben, aber er hat keine Vorstellung davon, was als Nächstes kommt und dementsprechend unbeholfen ist seine Bewegung nach dem ersten Kick. Über ein intuitives Schutzverhalten mit Vorstrecken der Arme und Anheben eines Beines kommt er nicht hinaus, was ihm aber gegen den zweiten Kick nichts hilft. Hier wieder: Fehlbewertung der gegnerischen Möglichkeiten und daraus folgend falsch agiert.
Orient und Decide sind übrigens auch die Phasen, auf die SWAT & Co. mit Blendgranaten einwirken. Wenn der Täter schon mit der Waffe im Anschlag im Zimmer sitzt (OOD...) und direkt durch Tür und Wände schießt, sobald sich die Tür einen Spalt öffnet, funktioniert es nicht.
Aber wenn man ihn unvorbereitet erwischt, muss er erst mal seine fünf Sinne wieder sortieren und sich klar werden, was das überhaupt war - und bis dahin stehen 5 Mann im Raum und rennen ihn platt.
4. Act
Ich fange hier mal mit dem Video, der für uns relevante Teil geht bis ca. 1:05.
Einer gegen mehrere.Hier sind alle Beteiligten auf Augenhöhe unterwegs; alle wissen, was Sache ist und haben ihre Entscheidungen getroffen - nur bei der Umsetzung dominiert der Einzelne.
Im Grunde gibts hier nicht viel zu sagen; er bleibt schön mobil, lässt sich nicht einkesseln und versteht es, immer möglichst wenige Gegner vor sich zu haben, die er dank deutlich besserer Fähigkeiten auch direkt effektiv bearbeiten kann.
Der Knackpunkt ist hier, dass keiner der Angreifer wirksam gegen ihn handeln kann, weil er besser manövriert und kämpft und nicht, weil er einen Informationsvorsprung oder sonstwie einen OOD-Vorteil herausgearbeitet hat.
Was heißt das alles fürs Rollenspiel?
Natürlich muss man jetzt nicht hergehen und komplette Kampfsysteme am OODA-Loop ausrichten.
Aber man erkennt aus den Beispielen hoffentlich, dass das, was im Rollenspiel unter Initiative verstanden wird, kein Zufallsprodukt ist.
Am Besten klappt das in vielen Regelwerken noch beim Thema Hinterhalt, weil dort auf Wahrnehmung gewürfelt wird; bisweilen sogar mit der passenden Kampffertigkeit als unterstützendem Einfluss.
Wer den Hinterhalt erkennt, kann noch rechtzeitig agieren. Wer ihn nicht erkennt, ist dem ersten Angriff ausgesetzt.
Aber wenn eine pauschal gewürfelte Initiative z.B. in der Form 1W20 plus Dex-Attributsbonus (in Höhe von -2 bis +2) stattfindet, ist das völlig Banane.
Wo kommt denn dieser gigantische Zufallseinfluss her und was soll hier überhaupt noch in irgendeiner relevanten Form abgebildet werden (können)?
Ja, man braucht am Tisch irgendeine Reihenfolge. Die ist aber unterm Strich völlig beliebig und braucht mit der Abfolge, in der Ereignisse in der Fiktion eintreten, nichts zu tun zu haben. Es ist halt nur einfacher, wenn das zusammenfällt.
Orient und Decide sind weitestgehend in Spielerhand und obendrauf haben die Spieler meist mehr Informationen als der SC erwarten dürfte. Auf Regeln, die hier Einschränkungen bringen, reagieren die meisten Spieler recht allergisch, aber im Grunde sollte man sich klar machen, dass es auch in diesen Phasen hauptsächlich um Eigenschaften, Fähigkeiten und Erfahrungswerte des Charakters geht.
Wenn man das übergeht, dann doch wenigstens bewusst.
Die Act-Phase ist der Bereich, in dem die Initiative am Meisten unberechtigt wildert.
Nehmen wir mal als plakatives Beispiel zwei Nahkämpfer, die sich auf entsprechender Entfernung entdecken und als Gegner erkennen. Einer der beiden stürmt nun vor, meintwegen auch beide.
Was hat eine klassische Initiative hier noch zu suchen?
Beiden ist völlig klar, was abläuft. Wie zwei Boxer im Ring haben sie auf der Betrachtungsebene des gesamten Kampfes die Phasen OOD abgeschlossen und sind nun an der Umsetzung. Beiden ist klar, dass ein Kampf stattfindet, beide kennen ihren Gegner und alle Rahmenbedingungen.
Warum hier Initiative in einer Form würfeln, die daraus ein Glücksspiel macht?
In einigen obigen Beispielen habe ich weiter reingezoomt und den OODA-Loop in kleinerem Maßstab auf einzelne Aktionen angewendet.
Warum sollte ich fürs Rollenspiel hier eine Riesenkonstruktion zusammendengeln, wenn das Ganze im Grunde doch bei den Kampffertigkeiten sowieso schon abgebildet ist?
Wer hier im konkreten Einzelfall besser kämpft, setzt die erste
wirksame Aktion.
Wenn mein System fein genug auflöst, ergibt sich das ohnehin aus den gewählten Manövern - dann gibt es z.B. Ansturm und Gegenhalten o.Ä. mit entsprechend verregelten Proben.
Oder es ist wie z.B. in SR2 so pauschal, dass man einen einzelnen vergleichenden Wurf macht und der Gewinner macht Schaden - dann ist ohnehin egal, wer den Anstoß gegeben hat und es interessiert nur, ob zu Beginn des Schlagabtausches beide wussten, was abgeht und ob sie handlungsfähig waren.
Relevant wäre dann eher, was dieser aufgezwungene/anbenommene Schlagabtausch mit der Handlungsfähigkeit des Verteidigers macht, der ggf. noch gar nicht "dran" war. Die logische Antwort ist relativ klar, nur hat SR2 das nicht so gemacht...
Jetzt fallen die meisten Systeme in die Mitte zwischen diesen beiden Ansätzen und genau dann tappen einige in die Initiativefalle, weil man ja irgendwie bestimmen muss, wer jetzt den ersten Schlag setzt - oder?
Nein, muss man nicht. Jedenfalls nicht in einem eigenen Schritt, weil sich das auch da einfach aus dem Angriffswurf ergeben kann.
Der bessere Angriff trifft zuerst und wenn das den Kampf nicht beendet, kommt die Retourkutsche.
Nur weil sich viele Spieler daran stören, die Angriffe gleichzeitig zu würfeln und am Ende möglicherweise der schlechtere unnötig war in dem Sinne, dass er verfällt, wird die Initiative als Sortierung vorgeschaltet, obwohl das eigentlich die Lösung ist, die von den Abläufen am Weitesten weg ist.
Wie bei Nahkämpfen mit vergleichenden Proben ist es also im Grunde auch bei anderen Vorgehensweisen so, dass die Kontrahenten in ihrem Ablauf erst mal gebunden sind und das unter sich ausmachen.
Gedanken muss man sich da nur über den Fall machen, dass Dritte hinzukommen (ist ja weiter oben schon angeklungen) und in welcher Weise man dann überhaupt noch zulässt, dass die Kämpfer zeitnah darauf reagieren.
Auf Spielerebene findet jede Runde bzw. bei mehreren Handlungen pro Runde bei jeder Handlung ein OODA-Loop statt.
Die Entscheidungsschleifen des Charakters sind aber nicht unbedingt daran gebunden - je nachdem, was ich wie abbilden will.
In den meisten Systemen wird ja großer Wert darauf gelegt, dass jeder zumindest das Gefühl bzw. die Illusion bekommt, halbwegs auf Augenhöhe etwas versuchen zu dürfen.
Wenn man das Spielchen mit dem OODA-Loop weit genug treibt, kommt man aber schnell in Bereiche, in denen dem betroffenen Charakter keine relevante Handlungsmöglichkeit zusteht und sich das auch auf die Schleife des Spielers auswirkt - die fällt dann nämlich nicht mehr mit der Handlungstaktung zusammen.
In Rollenspielkämpfen ist das die Ausnahme, ansonsten aber eigentlich eher die Regel, weil sich die Handlungs- bzw. Entscheidungsmöglichkeiten eine Ebene höher finden. Also da, wo die Rahmenbedingungen für einen Kampf geschaffen werden und ab einem gewissen Punkt heißt es nur noch "Augen zu und durch" bzw. "leider schon verkackt, gehen Sie nicht über Los und ziehen sie keine 4000 XP ein".
Auch das darf man aus offensichtlichen und nachvollziehbaren Gründen ruhig anders angehen, aber wie die anderen Phasen auch besser bewusst und mit den Dingen, die man dann notwendigerweise übergeht, an anderer Stelle untergebracht.
Mit konkreteren Regelungsvorschlägen halte ich mich mal zurück, abgesehen von dem auch vor diesem Beitrag schon angeklungenen Gedanken, die Reihenfolge (auch) über die Kampffertigkeiten zu bestimmen.
Es spricht jedenfalls meiner Ansicht nach Vieles dafür, entweder die Initiative als Reihenfolgengenerator mit großem Zufallseinfluss möglichst weit zu begrenzen oder in die andere Richtung noch Faktoren in die Ini einfließen zu lassen, die traditionell woanders untergebracht sind.
Als Beispiel hat Millennium´s End Initiative mit mittelgroßem Zufallseinfluss und Abwarten bringt einen Ini-Bonus, der deutlich über der Standardbweichung liegt. Damit hat man sich dann die vergleichende Probe beim Unterbrechen gespart, weil sie schon automatisch beim Ini-Wurf gemacht wurde.
Ansonsten lasse ich diesen Brocken erst mal zur allgemeinen Verdauung hier liegen und warte auf Antworten