Ach Mist, hättest du gesagt, dass der Link zum doxenden, publikumsbeschimpfenden und die wohlkalkulierte Ausdefinierung eines künstlerischen Stils zur Mehrung der eigenen Vermarktbarkeit (Sido, Somuncu, et. al.) als "die Gesellschaft drängt diese armen Künstler in eine Schublade" missverstehenden Hofrat führt... Dazu wollte ich mich eigentlich nicht mehr äußern (da es dem besagten Blogger in erster Linie um Aufmerksamkeit zu gehen scheint, weswegen er sich an jeden Trend anwanzt, auf der anderen Seite aber zu feige ist, wirklich kontroverse Positionen zu beziehen).
Aber jetzt habe ich halt darauf geklickt, da kann ich ebensogut auch antworten:
1.)
Eine emotional ansprechende Geschichte muss nicht "polished" sein! Ich kennen einen Haufen Filme, Bücher und Serien, welche sicher keine Preise gewinnen werden (zu Recht), aber trotzdem ihre Wirkung entfalten. Der Gedanke, dass eine spontan entstehende Geschichte hinter einer sorgsam Konstruierten zurückstehen muss ist schlicht nicht haltbar.
2.)
Klischees gibt es überall! Nicht nur in Storyrunden, sondern so gut wie jeder Film, jedes Buch und jede Serie ist voller Klischees - einfach weil es nur eine begrenzte Anzahl von Erzählmustern gibt. Auch das klassische Rollenspiel ist voller Klischees und stößt früher oder später an die Grenzen dessen, was innerhalb des Spiels möglich ist (irgendwann sieht jedes Dungeon irgendwie bekannt aus und auch die Traveller-Planeten wirken ziemlich same-y). Wo aber die Storygamer sich dieses Faktums bewusst sind und regelmäßig Genre, Spielwelt oder Charakterkonstellation variieren, versuchen einige klassische Rollenspieler ihre Kampagnen weit über deren Halbwertszeit zu verlängern - Kampagnendauer wird irrtümlicherweise mit Kampagnenqualität assoziiert und der unweigerliche Zusammenbruch nach (je nach Frequenz der Runden und in wie weit zwischendurch "frisches Blut" diese bereichert) Monaten oder Jahren des gemeinsamen Spiels ist dann um so gravierender (siehe die unzähligen Threads bezüglich Runden, die "einfach nicht mehr funktionieren", ohne dass die entsprechenden Spielteilnehmer genau sagen können, woran es liegt).
3.)
Keine Anspielungen, sondern Anleitung! Der gravierendste Fehler in der Argumentation des Hofrats besteht in der folgenden Aussage:
Man spielt sich improvisierte Bälle zu, die aus Versatzstücken von Genremedienanalyse und Genremedienerfahrungen besteht. Der Spaß und die Aufregung die dabei kurzzeitig den Raum erfüllt, beruht darauf, sich gegenseitig mitzuteilen, daß man die gleichen Sachen kennt und die jeweiligen Anspielungen versteht.
Ähm, nö. Wenn man ein Klischee oder ein bestimmtes Genreelement benutzt, dann muss eben NICHT jeder andere am Spieltisch mit diesem vertraut sein. Wichtig ist lediglich zu verstehen, dass dieses Element eine Bedeutung für den Spieler hat, welcher es eingebracht hat (was einige Storygames auf verschiedene Weise signalisieren) und man gerne hätte, dass der (die) andere(n) Spieler irgendwie darauf reagieren soll(en). Es ist wichtig deutlich zu machen, dass man etwas damit bezweckt und dieses Detail eben nicht komplett unmotiviert und interessenlos ist - es ist nicht einfach Teil der Spielwelt oder Auswurf irgendeiner Zufallstabelle, sondern ein
Spielangebot. Gerade wenn das Gegenüber nicht mit den in dieses Spielangebot geflossenen Erfahrungen, welche niemals wirklich deckungsgleich sind, vertraut ist, findet hier ein
Erschließensprozess statt, während dessen eigene, bekannte Erfahrungen und Erzählmuster benutzt werden, um dieses (unbekannte) Spielangebot "abzuklopfen" und zu sehen, was für Möglichkeiten dieses bietet. Auf diese Weise entsteht eine Story, welche zumindest für die Spielteilnehmer neu und überraschend ist (wenn auch nicht notwendigerweise für jeden anderen, der die Runde beobachtet).
Ich denke daher, dass Story keine Sackgasse sein muss, sondern ein Anspruch ist, welcher durchaus einige Möglichkeiten zur Bereicherung des gemeinsamen Spiels bietet. Das bedeutet auch nicht zwingend, dass man unbedingt Storygames spielen sollte - einige der intensivsten Storyerlebnisse hatte ich bisher in eher klassischen Systemen, wie Savage Worlds oder #PDQ. Auch die sehr storyorientierte Online-Runde um Matt Mercer nutzt dafür D&D5 und es funktioniert anscheinend wunderbar (eines der wenigen Rollenspiel-Let's Plays, welches ich tatsächlich aktiv verfolge - bin jetzt gerade mit Folge 105 durch und immer noch begeistert).