Gegenfrage: Was soll am "tiefen" Rollenspiel (oder wie immer man den Gegensatz zum "oberflächlichen" nun nennen möchte) denn eigentlich so toll sein? Ist das nur wieder so ein -- ich möchte fast schon sagen: typisch deutsches -- "wenn's keinen Anspruch hat, ist es auch nix wert"-Syndrom, oder steckt da tatsächlich mehr dahinter?
Nein, mit Anspruchsgehabe hat das doch gar nichts zu tun, es geht um Details und Eintauchen in die Spielwelt. Ich bin sogar sehr dafür, dass auch detaillierte Settings möglichst nicht anspruchsvoll sind. Das hängt dann auch sehr damit zusammen, welche Informationen gegeben werden und in welcher Form das geschieht. Man kann es dem Leser ja schwer machen oder ihn mit überflüssigen Informationen zuknallen, das ist dann natürlich schwierig. Ein gutes detailliertes Setting macht mir das Spielleiten eigentlich einfacher, weil ich den Kram der im Setting fixiert ist nicht erst selber erstellen muss und mich auf andere Sachen konzentrieren kann, etwa interessante NPC erstellen oder zu überlegen, wie ich die Settingdetails nun im Spiel umsetze. Wo genau da der Sweet Spot liegt, ist sicher auch individuell verschieden. Und manchmal wird auch vorbei geschrieben. Earthdawn liefert schon super viele Details zur Immersion, aber gleichzeitig habe ich da immer viele harte Fakten vermisst. Eine gute Settingdichte bietet mir z.B. Arcane Codex, wo das Grundregelwerk und die Quellenbücher auch noch fast wie zugeschnitten auf meinen SL-Stil sind, mit einem Fokus auf Konflikten, Fraktionen, aktuellen politischen Veränderungen in dem Gebiet usw. Ein anderes für mich super gemachtes Setting ist Iron Kingdoms nach der alten D20-Ausgabe.
Ich muss dazu sagen, dass ich ein gutes Setting immer auch
interessant finde und es mir daher nicht schwer fällt, so ein Setting zu lesen und ich es auch gerne mit Spaß dabei mache. Wenn ich das Gefühl habe, mich da
durcharbeiten zu müssen, liegt das entweder am Stil (definitiv bei Shadows of Esteren der Fall, das ist quasi genau das Gegenteil von dem, wie ich ein Rollenspiel geschrieben haben möchte) oder das Setting macht mich einfach nicht neugierig genug (definitiv Splittermond).
Aber wie gesagt, ich kann auch den leichten Settings etwas abgewinnen, für mich ist das kein "entweder oder" und ich finde auch, dass manche Core Storys keine 10 Bände Fluff benötigen. Ich denke gerade über Cortex Prime Ghostbusters nach, da setze ich mich ja auch nicht ran und schreibe erstmal 1000 Seiten Settingmaterial, sondern gebe meinen Spielern so ungefähr die Prämisse "wir spielen Ghostbusters, ihr kennt ja die Filme".
Bei Rollenspielen mit aufwändiger Settingbeschreibung ist der Einstieg nicht leicht, also hat man hier eine eher hohe Hürde.
Wenn man genug Erfahrung beim Spiel sammelt, kann es nun sein, dass diese Hürde einem immer niedriger vorkommt.
Du nennst da einen wichtigen Punkt - je länger man spielt, desto geringer ist der Anteil der Einstiegshürde. Wenn ich damit rechne, ein Setting nur 6 Monate zu bespielen, ist es nicht sonderlich ökonomisch, dafür 500 Seiten Material zu lesen. Wenn ich damit rechne, dasselbe Setting 6 Jahre zu bespielen, ändert sich die Rechnung.