Das ist natürlich Geschmackssache. Das was du beschreibst macht halt tatsächlich schon große Teile des Settings aus. Mit einem guten SL sollen solche "Widersprüche" jedoch nicht zu Frust, sondern zu spannenden Moralischen bzw Gewissenskonflikten führen. Und es soll auch nicht dazu dienen sämtliche Lösungsansätze der Spieler zu torpedieren.
Exakt. Man kann natürlich noch hunderttausendmal schreiben, Rokugan sei nicht Japan – aber Rokugan ist zumindest 85%
Chanbara-Film. Und in dieses Filmgenre sind bestimmte Kernkonflikte und kulturelle Setzungen aus Japan eingebacken. Eines der Kernprobleme in Samuraifilmen ist der Konflikt zwischen "Ninjo", den persönlichen Emotionen (z.B. der Freundschaft zu einem anderen Samurai), und "Giri", den sozialen Verpflichtungen (z.B. der Treue zum Clan gegenüber). Hinzu kommt, dass Samurai bei all dem natürlich immer das Gesicht zu wahren haben (vgl. das "mentsu"-Konzept, dass es in vielen asiatischen Kulturen gibt). Im Grunde kann man das, mit Ach und Krach, als den Konflikt zwischen der eigenen Individualität und der eigenen Position im Sozialgefüge zusammenfassen – natürlich ist es im "realhistorischen" Japan alles nochmal deutlich anders gewesen, aber für das Spiel reicht es aus.
Was leider oft übersehen wird – und was "L5R" auch oft übersehen hat – ist, dass viele Samuraifilme vor dem Hintergrund sich verändernder sozialer Gefüge spielen, die das Samurai-Ehre-Konzept radikal infrage stellen. Der Bushido wird in vielen Samuraifilmen nicht idealisiert, sondern dekonstruiert, in seiner Starrheit. in "Yojimbo" tauchen beispielsweise plötzlich Schusswaffen auf, die den Ronin-Protagonisten vor eine neue Bedrohung stellen und das Samuraischwert überholt wirken lassen. In "Last Samurai" (um mal einen westlichen Film zu nennen, der kein Chanbara-Film ist, aber das Genre berührt) ist die Bedrohung für die Samurai eine politische, weil in der Meiji-Restauration die Kriegerkaste der Samurai ausgedient hat. Samuraifilme spielen oft mit der Aussage: "Hey, euer uralter Ehrenkodex ist schon etwas aus der Zeit gefallen". Ich weiß grade nicht, wie dieser zentrale Konflikt des Samuraifilms im neuen Rokugan aufbereitet ist, aber im alten hat das immer ein wenig gefehlt.
Ich kann einen Samuraifilm schauen und gut finden, ohne die historischen Gegebenheiten des Hintergrundes im Detail zu kennen – oder auch nur zu schätzen. Man schaut ihn dann halt wegen der schonungslosen Action. Aber letztlich sind ja nicht wenige Samuraifilme Tragödien... oder enden zumindest in melancholischen oder nachdenklichen Phyrrussiegen (muss natürlich nicht so sein, im Samurai-Anime etwa gibt es ja auch viele leichtherzige oder lustige Geschichten).
Und ja, ich bespiele Rokugan
genau dafür!
Wie hoch man diesen Aspekt in den individuellen Runden drehen will, ist eine Sache. Aber ich finde der muss schon da sein.
Wir müssen ja auch manchmal einfach zugeben können,
dass ein Setting nicht für alle ist. Rokugan ist speziell, und genau das macht seinen Reiz aus. Das macht es nischig, aber es gibt Märkte, wie zum Beispiel in den USA, die stehen da genug drauf, damit auch für uns hier was abfällt.
Wenn ich leichtherzige asiatische Fantasy habe, die völlig aus westlicher Perspektive betrachtet wird und wo ich mich nicht um solche Dinge wie einen asiatischen Ehrebegriff scheren muss, dann habe ich doch genug Auswahl: "Exalted" ist da beispielsweise sehr gut für geeignet. Oder der asiatisch inspirierte Raum bei "Splittermond".
Nach Rokugan gehe ich aber, wenn ich genau das will: Chanbara. Ninjo-Giri-Konflikt. Das rigide Klassensystem. Der enorme Leidensdruck der Gesellschaft. Und das alles angemalt in bunter pan-asiatischer Ästhetik. Also all das Zeugs, das wir in Standard-Fantasy-Runden geflissentlich ignorieren. Und das auch mit allem Recht tun. Ich muss das nicht immer haben, aber wenn ich das haben will, dann ist Rokugan für mich da.
Dabei will ich aber immer mit Leuten spielen, die auch genau das wollen. Es soll kein SL-Autoritarismus sein, wo der Richter hinterm Spielleiterschirm sitzt, mit kritischem Blick bemisst, wo Spielercharaktere ihre Ehre verletzen, und denen dann Seppuku reindrückt, weil ers grade gut findet. Alle am Tisch sollen beteiligt sein, diese Ehrkonflikte zu gestalten. Dazu gehört auch, dass allen klar ist, was der Tisch im Konsens als Samuraiehre definiert und welche Aspekte man nicht unbedingt bespielen mag. Sich einfach darauf zu verlassen, dass die Spieler "den Bushido" (ja klar, als ob der genau kodifiziert worden wäre) halt zu kennen haben.
Auf SL-Bushido-Egoveranstaltungen hätte ich auch keine Lust.
Ach ja, bei einem solchen SL würde ich dann aber auch das Recht des "Tötens im Vorübergehen" einfordern, d.h. einfach einen Bauern meine Schwertscheide in den Bauch rammen und ihn auf der Stelle enthaupten. Ist verbrieftes Recht - aber ob ihm das schmeckt?
Also, in unseren L5R-Runden kam das auch mal durchaus vor. Natürlich gab es Charaktere, die das grundsätzlich nicht getan haben (immerhin ist "Barmherzigkeit" auch eine der Samurai-Tugenden) und solche, die wegen der politischen Implikationen davon absahen (Daimyo: "Wer läuft da rum und tötet
meine Bauern..."). Aber doch, sowas gab es bei uns auch damals.