Ich kenne Decent.
Und es ist für mich nicht mit Rollenspiel zu vergleichen.
Das beschränkt sich natürlich auf eine bestimmte Art von Rollenspiel, aber ich sehe da sehr starke Parallelen zum klassischen Dungeoncrawl.
Wo sind denn die großen Unterschiede?
Regeln zum freien Erstellen von Charakteren wären schnell gemacht (und von der großen Auswahl an fertigen Charakteren kann man die meisten Erschaffungsregeln ohne Weiteres ableiten - einigermaßen knifflig wird das höchstens bei den Sonderfertigkeiten), ebenso wie "richtiges" Leveln. Gerade bei Letzterem war es für viele Rollenspieler in meinem Umfeld kurz nach Erscheinen von Descent geradezu ein Automatismus, mehr oder weniger komplexe Hausregeln flott zu machen.
Größere Handlungsfreiheit hat man im Rollenspiel je nach System und Situation nicht; ein grundlegendes Fertigkeitssystem und minimalistische Regeln für Dinge abseits der Dungeoncrawlerei wären aber auch schnell angeflanscht, wenn man das will. Das bewegt sich ohne großen Aufwand auf dem selben Niveau wie zu oD&D oder DSA1-Zeiten und geht schnell darüber hinaus.
Ich sehe den größten Unterschied tatsächlich nicht in der geringeren Handlungsfreiheit für die Spieler, sondern in der eindeutigen Regelung dessen, was der Overlord, also der "SL", den SCs in welcher Weise unter welchen Umständen entgegenwerfen darf.
Und gerade das könnte man umgekehrt in sehr ähnlicher Form in ein herausforderungsorientiertes RPG einbringen - gerne auch etwas weniger "brettspielig" als weit gefasste, aber dennoch recht klare Handlungsanweisung.
Das gibt es ja in rudimentärer Form in vielen Systemen, aber teils aus anderen Gründen und meistens nicht klar benannt vor dem Hintergrund solcher Überlegungen.
Z.B. gibt es in Shadowrun den Vorschlag, dass Gegner je nach Professionalitätsstufe bei einem Verletzungsgrad X den Rückzug antreten oder aufgeben.
Aus solchen banalen Sachen könnte man da schon gut was stricken, wenn man das ordentlich strukturiert zusammenschreibt - sowohl auf der Achse "was kann da überhaupt an Gefahren kommen" als auch in Richtung "wie darf dieses Gefahrendings agieren (sofern das jeweils eine sinnvolle Frage ist) und wann ist es überwunden".
Zugehörig zu dem Vergleich RPG und Descent (u.Ä.):
Steve Jackson meinte aber auch mal, dass jedes Brettspiel eigentlich auch ein Rollenspiel ist.
Gerade für ältere Rollenspiele gilt das um so mehr in der Hinsicht, dass dort i.d.R. der komplette Part des "eigentlichen" Rollenspiels unverregelt und damit völlig frei in Spieler- und SL-Hand bleibt.
Das kann man dann natürlich ebenso in einem RPG-nahen Brettspiel unterbringen.
Den dann aufkommenden Zwiespalt zwischen Aufgabenerfüllung und Charaktermotivation und -verhalten etc. hat man ja im RPG in genau gleicher Form.
Und umgekehrt sind es gerade die Rollenspiele, die weniger herausforderungs- und aufgabenorientiert, also weniger "brettspielig" sind, welche diese Bereiche sehr strukturiert mit Regeln versehen.