Sobald du aber bei einem Darsteller, der dir nicht gefällt, vermutest, dass er "wegen Quote" gecastet wurde, ist plötzlich die "Quote" schuld und nicht einfach das schlechte Casting. Dabei gibt's auch ganz ohne Quote mehr als genug miese Besetzungen.
Die gibt es zweifellos, aber in Fällen wie Rings of Power ist die Reaktion der Macher auf Kritik und deren offizielle Begründung für Castingentscheidungen schon ein sehr starkes Indiz, und das bevor man (zumindest als Außenstehender) überhaupt irgendeine schauspielerische Leistung bewerten kann.
Die "Quote" ist in diesem Sinne eigentlich keine Beschränkung der Casting-Möglichkeiten, sondern der Aufruf, beim Casting über den Tellerrand zu schauen und damit das Feld der Möglichkeiten zu erweitern.
Das ist eine sehr optimistische Perspektive, die ich so in der Praxis leider nicht wiederfinde. Die Goldene Mitte verpasst man regelmäßig, nur jetzt eben in beide Richtungen statt nur in eine wie früher.
Gab es nicht vorher in den Comics schon den Ultimates-Nick-Fury, der tatsächlich in Anlehnung an Jackson gezeichnet war? Oder kam der erst nach den Filmen?
Ja, den gab es zuerst und der war dann natürlich auch die Steilvorlage dafür, Mr. Jackson für die Verfilmungen zu casten.
Es ist noch nicht so lange her, da war allein schon der Umstand, dass eine Frau Regie bei einem Big-Budget-Actionfilm führt (Kathryn Bigelow bei Strange Days) ein echtes Novum.
Joah - ich habe Arbeitskollegen, die noch nicht geboren waren, als Strange Days rauskam...
Point Break war noch etwas früher, zwar mit kleinerem, aber immer noch für damalige Verhältnisse ordentlichem Budget und kein wirtschaftlicher Fehlschlag.
Und zumindest zeitlich gesehen kam kurz darauf der große Dammbruch und seither eine ganze Menge weibliche Action-Regisseure in Film und noch mehr Fernsehen.
Da kann man schon von einer längst eingekehrten Normalität sprechen.
Das Risiko wird aber größer man darf nicht vergessen, dass es im Filmteam weitergeht. Hier werden Positionen vielfach vorrangig nach Hautfarbe und Geschlecht vergeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass dabei die Qualität leidet ist durchaus da.
Repräsentation kann da ja kein Thema sein, "nur" noch Teilhabe - da ist man dann aber wieder bei der Frage, ob man gleiche Chancen oder gleiche Ergebnisse will, mit den entsprechenden Auswirkungen.
Ein Modell wie hierzulande im öffentlichen Dienst könnte funktionieren:
Bei gleicher Eignung fällt die Entscheidung zugunsten der benachteiligten Minderheit.
Hat natürlich in der Praxis auch seine Fallstricke und kann immer noch am angepeilten Ergebnis vorbei führen, wenn andere Faktoren als die betrachtete Benachteiligung stärker sind (wie das im öffentlichen Dienst ja auch ist) - aber mehr als versuchen kann man es nicht.
Die Möglichkeit, dass die Macher einer Serie oder eines Films, die diverser besetzen das aus guten Gründen tun, eben weil sie dabei primär Repräsentation im Sinn haben und sonst wenig besetzten Schauspielern eine Chance geben wollen. Nein, das wird nicht in Betracht gezogen.
Das ist doch bei Rings of Power explizit genau damit begründet worden, man muss also nicht mehr spekulieren oder etwas vorsichtig in Betracht ziehen.
Nur heißt das nicht, dass damit automatisch alle anderen Aspekte außen vor sein können oder gar müssen - und Ansätze, die beidem Rechnung tragen, hätte es ja spätestens da gegeben, wo man die geplante Handlung zeitlich extrem staucht, um Menschen und Hobbits unterbringen zu können.
Alte Geschichten haben das Problem auch nicht: Gerade Märchen, Legenden und Mythen sind zeit- und farblos, denn diesen Arten von Erzählungen ist es sogar zu eigen, dass sie immer wieder interpretiert und in neue Kontexte gesetzt worden sind. Und wenn es Tolkien wirklich darum ging, einen Mythos zu schaffen, dann ist es nur recht und billig, dass wir den neu interpretieren.
Ich hatte ja weiter oben schon gesagt, dass man das durchaus sehen kann wie im Theater, wo immer wieder neu interpretiert wird.
Das setzt zwei Dinge voraus: Zuerst muss das Material so weit Allgemeingut sein, dass man es in jeder Interpretation erkennt* und zweitens muss dann jede Interpretation auch ein bisschen Bescheidenheit mitbringen - was sich mit aktuellen Marketingstrategien und dem ganzen Drumherum vorsichtig formuliert nicht so gut verträgt.
Und manche Stoffe sind von Anfang an (etwa durch das Worldbuilding) oder im Laufe der Zeit (etwa durch die Fans) quasi erstarrt und lassen eine erfolgreiche "radikale" Neuinterpretation kaum noch zu. Da braucht man sich nicht weit strecken, um den Herrn der Ringe in eine Liste solcher Stoffe zu packen...
*Mein Paradebeispiel ist
Elementary. Da kann man auch mit verlegtem Handlungsort und Liu als Watson sowie Dormer als Moriarty völlig unbedarft draufzappen und merkt nach kürzester Zeit: Das ist Sherlock Holmes (genau so ging es mir damals).