Man sollte ich vergessen, dass man oft mehr in eine "Beziehung" hineininterpretiert als da ist.
Interpretieren gehört zum Privileg des Lesenden. Ja, es ist eigentlich sogar Pflicht des Publikums, das Werk zu interpretieren.
Selbst wenn Tolkien keine sexuelle Anziehung zwischen Sam und Frodo ins Werk geschrieben hat, so hat er eine Verbundenheit zwischen den beiden Figuren beschrieben, die weit über die Mindestbedingung einer ehelichen Liebe hinausgeht: Frodo hat sich als zu schwach erwiesen, den Ring heldenhaft zum Feuerschlund zu tragen. Er hat Sam verstoßen. Und doch trägt Sam Frodo zu beider sicheren Tod den Vulkan hinauf. Die Chance, dass Rosie sich einen anderen Mann als Sam wird suchen müssen, weil er nie wieder zurückkehren wird, ist überwältigend groß (wer rechnet schon mit Adlern?).
Wenn ich es richtig erinnere, dann hält Sam keine Rede, dass er den wohl sicheren Tod jetzt für Mittelerde sucht, sondern (das interpretier ich so) weil er den Willen des Freundes erfüllt, der Frodo einmal war. "Ich kann nicht für Dich den Ring zum Berg tragen. Aber ich kann Dich tragen." Wenn diese Verbundenheit nicht größer als das ist, was Leute als standardmäßige "Liebe zwischen Ehepartnern" definieren, dann weiß ich auch nicht.
Auch wenn es nicht meine Interpretation ist, so verstehe ich, wenn Menschen etwas Homoerotisches zwischen Sam und Frodo wahrnehmen. Diese Deutung schließt der Text für mich nicht aus - und manche können sich wohl keine rein platonische Liebe einer Tiefe, wie Frodo und Sam sie haben, vorstellen.
Viele haben zum Beispiel in der Beziehung von Frodo und Sam aber auch in der Freundschaft von Gimli und Legolas etwas homoerotisches wenn nicht sogar homosexuelles gesehen, so dass es damals in den 1990ern angeblich Überlegungen gab, das Geschlecht einiger Charaktere zu ändern, damit das Publikum erst garnicht auf diese Gedanken kommen kann.
Dass Geschlecht von Gimli oder Legolas zu ändern wurde angeblich überlegt? Wo kann ich diese Gerüchte nachlesen?
Entlarvend, was Shitstorms auslöst und was nicht - ich verstehe nicht, was den Filmschaffenden mal "durchgelassen" wird, wie sie das Buch umsetzen, und wofür sie mal angefeindet werden: Die 1000de Jahre alte Figur Galadriel wurde von einer Mitt-Dreißigerin gespielt - ist das werkgetreu? Wohl nicht. Hätten sie wie bei Gollum CGI nutzen können, um eine solche Figur werkgetreuer zu erschaffen? Sicher. Hat sich jemand darüber aufgeregt? Nein, weil die Interpretation der Figur durch Jackson und Blanchett nicht hinterfragt wurde. Hier ist Stretch of Imagination kein Problem.
Aber wenn eine Figur in einem Film mal eine andere Hautschattierung hat
als in unserer falschen Vorstellung der nordische Urtyp, dann geht die Post ab. Hier gelingt manchen partous der Stretch of Imagination nicht. Zuverlässiger kann die kritierende Person ihre Vorurteile nicht entlarven.