Ebenso sollte wer damals aufgeschrien heute nicht auf colorblind machen, sondern stringent argumentieren.
Genau darum habe ich mich in dem von dir zitierten Beitrag bemüht. Klar ist das eine Mischung aus eher vage erinnerter Tolkien-Lektüre und meinem Kopfkanon und keine genaue Werkexegese, die belegt, dass dunkelhäutige Figuren in Mittelerde nördlich von Harad ihren Platz haben; aber ich sehe da ehrlich gesagt auch eher diejenigen in der Bringschuld, die finden, dass dem nicht so ist. Wenn Tolkien irgendwo explizit geschrieben hat, dass die Numeneoer keinerlei Kontakt mit dunkelhäutigen Völkern hatten und dass alle Zwerge und alle Hobbits einschließlich der anderen Halblingsvölker, die er erwähnt, durchweg hellhäutig sind, dann muss ich wohl akzeptieren, dass Rings of Power in der Beziehung nicht werkgetreu ist (was für mich zugegebenermaßen immer noch kein Beinbruch ist).
Zu Tolkien im Allgemeinen würde ich auch anmerken, dass er selbst offenbar überhaupt nicht diesen Fetisch der konsequenten Anlehnung an bestimmte historische Vorbilder für Mittelerde als Gesamtschöpfung hatte. Für den Hobbit hat er Elemente aus seiner Mittelerde-Mythologie verwendet, wahrscheinlich noch ohne die klare Absicht, den Hobbit wirklich zu einem Teil dieser Mythologie zu machen, aber dann hat er genau das im HdR getan, und plötzlich hat man englische Kleinbürger mit Taschenühren in einer Mythenwelt (was für mich ein viel gewaltigerer Bruch ist als dunkelhäutige Halbelben oder Zwerge - nur hat Tolkien ihn eben selbst begangen). Im HdR wechselt Tolkien also vom Kleinbürgeridyll über Fabelmomente (der denkende Fuchs) zur großen Kunstmythologie und dann - mit der Befreiung des Auenlands - zur Allegorie auf den Faschismus (die finde ich übrigens sehr interessant, weil hier die verarmte Version des mythischen in Form des gefallenen Sarumans auf das Kleinbürgertum triifft, und raus kommt eben etwas in Richtung Faschismus). Ist da irgendeine Konsistenz in der historischen Anlehnung erkennbar? Für mich nicht. Toll ist es trotzdem, weil Tolkien eben die Elemente genutzt hat, die es ihm ermöglicht haben, eine Geschichte zu erzählen, die inhaltlich dann eben doch durchaus vielschichtiger ist als "Wir stürzen den dunklen Herrscher".
Wenn jetzt eine Sekundärschöpfung wie "Rings of Power" erst einmal deutlich kleinere Brüche vollzieht, bei denen ich mir wie gesagt noch nicht mal sicher bin, ob es überhaupt Brüche mit dem sind, was bisher über Mittelerde etabliert ist (siehe meine Ansichten zum Thema Numenor), erkenne ich nicht, inwiefern das der Essenz der Sache zuwiderlaufen oder von vorneherein der Qualität der Serie einen Abbruch tun würde.
Letztendlich frage ich mich auch, warum viele unbedingt die Lesart von Mittelerde wählen, bei der PoC (als neu eingeführte Figuren, nicht als "blackwaching" bestehender Figuren) überhaupt einen Bruch darstellen. Vielleicht lässt sich der Bruch irgendwie an Tolkiens Werk belegen, vielleicht auch nicht, aber viel mehr Freude hat man doch mit der Haltung, die Tolkien selbst offenbar auch hatte: Elemente, die sich vielleicht auf den ersten Blick nicht einfügen, interessiert aufnehmen und sehen, was geschieht, wenn man sie in Beziehung zueinander setzt. Ich finde es jedenfalls anregender, darüber nachzudenken, was PoC in einer von der Seemacht Numenor dominierten Welt zu suchen haben (meine Antwort: Sehr viel, ihre Abwesenheit wäre befremdlich), als von vorneherein zu sagen: Das geht nicht, weil im Book of Lost Tales anfangs Aelfwine der Engländer die Hauptfigur ist.