Ich hatte es in einem anderen Forum gepostet, da mir langweilig war, ich den Film vermutlich nochmal im Kino schauen werde. Einmal eine genauere Betrachtung. Weil ich finde, das mir die gelungen ist, poste ich sie auch hier.
Ich persönlich finde das der Film eine ausgezeichnete Erzählweise hat und die unterschiedlichen Zusammenhänge sehr interessant vermittelt.
Man hat mit Alita einen Charakter, welcher der Welt ähnlich unwissend wie der Zuschauer begegnet.
Dementsprechend braucht es weder einen Opening Crawl noch einen Erzähler, sondern man verfolgt wie ihr andere Charaktere die Welt erklären.
!MEGA-SPOILER PANZERFAUST VORRAUS!Was einerseits eine angenehm organische Heranführung bietet, andererseits Aspekte wie die Motivation und damit Unzuverlässigkeit der entsprechenden Personen betont. Obwohl Figuren wie Ido und Hugo in fast allen belangen sympathisch gezeichnet werden, entsprechen ihre Schilderungen teilweise nicht den Tatsache.
Hugo, sowie dessen Freunde, hat bzw. haben eine stark idealisierte Sicht dessen wie sie sich Salem vorstellen, ungeachtet dessen das sie nie in Salem waren und es kaum Personen gibt die in Salem gewesen sind und ihre Erfahrungen teilen. Sie haben auch feste Meinungen zu einem Krieg, welcher über ein halbes bis ganzes Dutzend Generationen vor seiner bzw. ihrer Geburt stattfand. Zum Vergleich, dass ist ein wenig so als wenn amerikanische Ureinwohner 2019 den Sezessionskrieg schildern, nachdem sie seit dem in einem Ghetto festgesetzt wurden.
Ido wiederum hat Kenntnisse wie Salem aussieht und weiß was bei dem Krieg vor 300 Jahren vorgefallen wird, wird allerdings mehrfach innerhalb der Geschichte des aktiven Lügen und Verheimlichen bezüglich Informationen entlarvt. Er hat jeweils nachvollziehbare und durchaus sympathische Gründe für sein Handeln, ist jedoch in mehreren Punkten unzuverlässig. Er hat Probleme damit gegenüber Shirin einzugestehen das er Alita aufgrund der Erinnerung an seine Tochter wiederherstellte und räumt dies gegenüber Alita auch erst später ein. Er versucht Alita zu einem normalen Teenager zu formen und lügt deshalb zunächst bezüglich ihrer Herkunft - die ihm von Schrottplatz an klar war - , er belügt sie bezüglich ihres eigenen Charakter und gewalttätigen Tendenzen weil er hofft ihr so eine normale Jugend zu geben und er hat direkte, massive Angst davor was passiert wenn er Alita wieder in den Körper einer Kampfmaschine steckt - was Angesichts Alitas direkten Wutausbruch bei der Weigerung sehr nachvollziehbar ist.
Normalerweise mag ich "unzuverlässige Erzähler" als Stilmittel in Erzählungen so gar nicht. Gerade wenn es erst nachdem Film eingebracht wird.
Dadurch das in Alita die Figuren direkt als in gewisserweise unzuverlässig entlarvt werden, wird es jedoch sympathischer.
Damit kommt man direkt zu dem Setting. Der Müllstadt respektive dem Scrapyard.
Zunächst einmal hat mein Auge ganz allgemein erquickt, dass auch in der Cyberpunk-Zukunft es den Tag gibt, die Sonne scheint, der Himmel blau ist und es nicht regnet. Nach einem wortwörtlich düstern Cyberpunk-Film und Serie nach der nächsten eine willkommene Erfrischung.
Alita fragt durchaus nachvollziehbar weshalb die Stadt derart Multikulturell ist, respektive wortwörtlich danach weshalb so viele verschiedene Sprachen gesprochen werden. Es wird ihr daraufhin erklärt, das es vor langer Zeit einen riesigen Krieg mit dem Mars bzw. der technokratischen Union des Mars gab. Dieser führte dazu, dass die Welt weitestgehend vernichtet wurde, bis um die Ebene um die Müllkippe Salems herum. Wohin sich diejenigen, die es schafften hin flüchteten. Zwar hätte es andere Plätze wie Salem gegeben, die seien aber im Krieg gefallen. Die Menschen in Salem betrachten die Technokratie des Mars weiterhin als Feind, allerdings scheint es seit dem Kriegsende keinen Kontakt mehr mit dieser gegeben zu haben. Man erfährt ebenso das die marsianische, technokratische Union der Erde meilenweit technologisch überlegen war. Soweit das Alitas Cyborg-Herz die ganze Stadt versorgen könnte und soweit das selbst Ido behauptet ihren Berserkerkörper nicht reparieren zu können.
Was dem geneigten Zuschauer merkwürdig erscheinen mag, weil wie Gewinner sehen die in Müllstadt nicht aus.
In dem Kontext, erschließt sich meines Erachtens das es sich um Müllstadt um ein riesiges Flüchtlingslager handelt. Was über die Zeit autark geworden ist und sich selbst erhalten kann. Was jedoch weder zum Mars noch zu Salem technologisch aufschließen kann. Die Umstände sind Elend, man hat nicht einmal eine Regierung oder ein Gesetz - über das von dem Despoten Viktor hinaus - aber man kommt nicht zu Salem da es wortwörtlich über den eigenen Kopf geht. Es gibt etwas das Versprechen nach Salem zu kommen, aber es ist eine Lüge. Respektive kommt allenfalls das eigene Gehirn, Augen und Hände nach Salem. Das auch nur, wenn einen Nova für hinreichend spannend hält.
Dahingehend ist es eine deutliche Flüchtlings-Metapher, allerdings auch eine bezüglich Klassen
Meines Erachtens ist der Konflikt als solcher durchaus interessant, und etwas das man in der normalen Welt nicht so einfach erzählen kann. Respektive nicht ohne den Aspekt, dass die Figur welche Alita entspricht auch keinerlei Chance hat.
Jetzt kann man sich Fragen: Wieso laufen die Leute nicht in den Kabeln oder auf den Kabeln hoch?
Eine Frage, welcher der Film tatsächlich sehr deutlich beantwortet. Das heißt, in den Kabeln weil Salem bezüglich der Kampfroboter über deutlich bessere Kampf-Technologie verfügt respektive einfach die Schotten dicht machen kann. Über das Kabel geht es nicht, weil Salem über ich nenne es mal das "rotierende Stachel-Inferno der Vernichtung" verfügt, und damit etwaige Angreifer einfach zerschnitzeln und runterwerfen kann. Was man recht deutlich beim Angriff des Mars sieht.
Ein aufmerksamer Zuschauer kann sich hierbei fragen: "Halt! Wieso greift der Mars über das Orbital-Kabel an?"
So zeigt ein kleiner Blick auf die Planeten, dass der Mars hinter Salem liegt und man sieht ein Raumschiff der Technokratischen Union des Mars. Das relativiert die Überlegenheit des Mars recht stark. Offensichtlich konnten sie Salem nicht von oben mit Bomben eindecken und dann drauf springen. Scheinbar war ihre einzige Hoffnung in Cyborg-Körpern das Orbitalkabel hoch zulaufen.
Weshalb war es ihre einzige Hoffnung und nicht nur ein 2-Frontenkrieg?
Weil sie mit Alita eine Person mit einem Berserker-Körper und wohl einer von sehr wenigen Berserker-Körpern mit auf den Orbitalkabel-Angriff genommen haben. Wobei so so wichtig war, das ihr ihre Commander explizit das Leben rettet, damit sie Salem niederbringen kann.
Was einen weiteren, interessanten Aspekt nach sich zieht. Die Menschen von der Erde bleiben größeren Mars-Artefakten fern. Alita hat keinen Hass oder Auftrag bezüglich der Menschheit selber. Das Briefing und die Mission befasste sich nur mit Nova sowie Salem. Es war offensichtlich auch damals schon so das die technokratische Mars Union den Erd-Menschen total über war. Während man sich mit Salem und dergleichen einen direkten Kampf leisten konnte. Wenn der Mars gewonnen hat so haben sie sich nach dem Fehlschlag mit Salem komplett zurück gezogen. Wenn sie verloren haben, ist offenbar keiner auf der Erde geblieben.
Ergo: Die Menschheit auf der Erde war einfach nur Kollateralschaden in einem Krieg an dem sie nicht teilnahm. Gerade der Mars ist härter durch die Erde gegangen wie Deutschland im Weltkrieg durch Belgien. Nun und Salem wuppt ganz offensichtlich die Erd-Bevölkerung abseits der Unterhaltung am Hintern vorbei.
Wobei bemerkenswert ist, dass nicht nur Nova eine Geringschätzung gegenüber den Menschen auf der Erde hegt, sondern allgemein auch das Menschenbild von Ido einen kleinen Hang zum Pessismismus hat und Alita zwar nicht feindlich wirkte... aber ein wenig so als würde sie die Menschen der Erde ein wenig wie Steinzeitmenschen einschätzen (primitiv und gewalttätig).
Was wiederum, meiner Meinung nach, durchaus auch eine Kommentierung dessen ist, wie Industrienationen auf Nationen herabblicken die deutlich ärmer sind, wie Flüchtlinge wahrgenommen werden und wie man mitunter andere Kulturen einschätzt. Selbst wenn man sie nicht direkt mit Rassismus bedenkt oder verachtet ist da eine gewisse Geringschätzung.
Nun, und der Film dient in großen Teilen dazu aufzuzeigen wie Alita sich selbst findet und über diesen Aspekt erhebt - ohne als reines Kampfmonster stumpf ihren letzten Befehl zu erfüllen; was Idos ganz konkrete Befürchtung war.
Jetzt kann man sich natürlich fragen "Weshalb spielen die Motorball?".
Zunächst ist eine sehr einfache Antwort darauf, der Umstand das es Spaß macht. Man sieht Kinder und Teenager in der Strasse, die begeistert Strassen-Motorball spiel. Genauso wie Kinder und Jugendliche heute Fußball, Football, Basketball oder andere Sportarten machen. Wobei es eine recht interessante Mischung aus Basketball, Rollerderby, Football und so quasi Rennen ist. Die offiziellen Events sind dann auch so aufgezogen als würde das Endspiel der Fußball-WM und das Superbowl-Finale mit dem Nascar-Final zusammenfallen.
Plus, die normalen Events scheinen jetzt auch keine größere Todesrate zu haben als die Formel-1, eher niedriger. Der Kommentator stellt ja auch total irritiert fest, dass das Mörder-Event bei Alitas Qualifikation zwar schweinecool ist, mit Motorball aber nur noch peripher zu tun hat.
Das Motorball dabei gezinkt wird, und Victor schaut das es nicht langweilig wird. In dem einer keine solange Erfolgssträhne hat das es langweilig wird. Ist zwar etwas eklig, jetzt aber selbst bei normalen Sport-Veranstaltungen im Hier und Jetzt nicht ungehört. Heißt, der korrupte Box-Promoter oder der schickanierende Musiker-Manager sind sogar Spiel-Tropen.
Salem wiederum ist es auch ganz recht, wenn die Leute von Müllstadt sich mit Motorball beschäftigen und an Motorball zum Aufstieg glauben, als jetzt so mit der systemischen Ungerechtigkeit oder deprimiert weniger arbeiten.. Plus Nova kriegt mit einem etwaigen Motorball-Champion sicherlich ein Satz Augen und ein Gehirn das es spannend findet.
Vermutlich gibt es da auch noch das Internet - entsprechende Kommunikation gibt es und es werden Leute "mal so" übernommen - aber jetzt Leuten beim surfen zuzuschauen wäre langweilig. Zudem ist die Welt eine (wortwörtliche) Stadt und die Menschen haben existentielle Probleme. Was das Internet wohl auch wenig attraktiv macht. Die Leute in den Favelas von Rio De Janeiro haben ja auch andere Ideen als den ganzen Tag im Netz zu surfen.
Hinsichtlich der sozialen Struktur merkt Ido direkt zu Beginn an das Müllstadt ein, naja, Scheißplatz ist zum leben.
Die meisten Menschen sind ziemlich arm und wenn Ido nicht da wäre, könnten sie sich auch keine (alten) Cyborg-Körper leisten. Ein gewaltsamer Streit unter Hunter-Warrior kann Ido mit dem Ruf "Wenn ihr nicht aufhört gibt es KEINE kostenlosen Reparaturen mehr!" mit einem Schlag beenden. Nun, und wenn wir uns richtig erinnern, ist Ido erst von Salem runter gekommen. Heißt, davor fehlte noch mehr Knowhow und Ressourcen.
Was wiederum auch ein Punkt ist.
Die Ressourcen zum Leute vercybern sind knapp. Ido plündert die Müllhalde, Loverboy plündert Cyborgs. Man kann nicht sagen "Ich hätte gerne die Peitschen-Killer-Teile wie der Motorballtyp". Man muss sie ihm schon wortwörtlich abreißen. Selbst Shirin, welche sie ursprünglich gestaltet hat, kann nicht einfach ein Satz neue machen.
Wobei Shirins Auto und Wachen wieder auf ein komplett anderes Level - der vermutlich 0,2% - innerhalb der Stadt verweisen. Das wirkte ja optisch als sei sie mit einem Elektroauto-Benz in die Favelas gefahren.
In dem Rahmen hat Nova halt Victor als Despoten installiert. Wobei "installiert" eigentlich nur heißt, dass er ihm ein doppeltes Dutzend Kampfmechs runter schickte. Damit er über Müllstadt herrschen konnte. Wobei Victor keine Ambitionen darüber hinaus hat(te). Was vermutlich ganz praktisch war.
Interessant ist hierbei auch, das Nova anmerkt das ihm Victor gerade eh anfing zu langweilen. Was er in aller seelenruhe erklärt, während Victor stirbt.
Dann ist da der Umstand das Alita mental eine Teenagerin ist. (Wobei ihre Commander jetzt nicht unbedingt Erwachsener schien - imho.
Was da eine weitere Facetten und Fragen bezüglich des Kriegs sowie des Konflikts aufwirft.
Einerseits wird Salem und gerade Nova fast durchgängig als negativ dargestellt. Manche glauben es ist ein Paradise, aber hoch kommt man nur in Einzelteilen. Ido will offensichtlich nicht wirklich zurück und selbst Shirin hält es später für eine schlechte Idee. Salem hat definitiv die Möglichkeiten Müllstadt zu helfen, unterlässt es aber. Der Grund weshalb Ido mit Shirin und Tochter runter musste war vermutlich kein netter. Nova erscheint von vorne bis hinten als psychopathischer Arsch.
Andererseits ist der Mars durch die Erdbevölkerung wie durch Butter. Sie haben den Menschen auf der Erde nichts an Technologie hinterlassen. Der "technokratische" teil im Namen wirkt jetzt nicht wirklich einladend. Zudem haben sie Kind-Soldaten bzw. Teenager Soldaten.
Damit man da mehr Informationen kriegt, muss man entweder sich selbst was ausdenken, auf einen zweiten Teil hoffen & warten oder die Manga lesen.
Meines Erachtens ist es jedoch ein ausgezeichnet und komplex ausgearbeitetes Setting.
Worin man auch gut spielen kann.
Nun, und es sollte ja normal sein, das man Sachen offen hat weshalb man einen neuen Film sehen mag.
Gerade nachdem die ganze Etablierung dessen was ich hier schrieb mit 2-Stunden schon sehr organisch war.
Alles was hier steht, ist rein auf Basis des Films.
Ich hab nur Battle Angel Alita und iirc Last Order gelesen. Vor mehr als zwei Jahrzehnten. Die Mars-Chronik ließ ich aus.