Autor Thema: Wieso sind in Fantasysettings so oft so wenige Bewohner vorgesehen?  (Gelesen 8787 mal)

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Pyromancer

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Hier nochmal ein Link auf die Einwohnerzahlen 100 A.D., weil hier schon wieder mit "Heute ist nicht damals" und "Große Städte sind nicht so ohne weiteres zu unterhalten" argumentiert wird:
*Behold the Giant Cities 100 A.D.!*

Ja. Das unterstreicht das doch. Nur große Imperien haben große Städte, weil nur große Imperien die Logistik gestemmt kriegen. Das muss man beim Weltenbau bedenken, und viele Weltenbauer machen das auch richtig. Mir ist da zumindest nie ein Trend aufgefallen, dass alle Fantasy-Settings zu kleine Städte hätten. Bei Midgard und Warhammer z.B. erschienen mir das immer gut getroffen.

Offline KhornedBeef

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Ich glaube, dass sich kleine Orte besser für das Rollenspiel eignen. Es bleibt überschaubar und kann trotzdem alles geben, was der Spielleiter und die Spieler in einem Ort vorfinden wollen. Irgendwann wäre eine Stadt ansonsten halt so groß wie eine ganze Rolllenspielwelt - und dann wäre der Spielansatz ggf. ein anderer, zB ein immer fortdauerndes Erkunden und Entwickeln der Stadt. Das passt wohl nicht dem Mainstream . . .
Hm. Wieso? Also mal ganz unvoreingenommen gefragt. Auch die Leute in den antiken Megastädten haben ja irgendwie ihr Leben überschaut. Vermutlich, indem sie den Großteil ihrer Stadt nie gesehen haben. UNd "Fortlaufendes Erkunden und Entwickeln" ja, klingt gut. Sehe keine Unterschied zwischen "Megapolis" und einer dicht besiedelten Grafschaft Pusemuckel.
Der Haken ist halt dass man unter Umständen mehr Improvisieren muss, weil da implizit etwas ist unterwegs. Auf einem Weg durch die Stadt kann ein Spieler sagen "Ich hüpfe inden nächsten Ramen-Stand un jongliere Suppenschüsseln!". Auf dem Weg übers Land geht man halt davon aus, dass da nur ein paar Bäume und Felsen sind...
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Offline Crimson King

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Hier nochmal ein Link auf die Einwohnerzahlen 100 A.D., weil hier schon wieder mit "Heute ist nicht damals" und "Große Städte sind nicht so ohne weiteres zu unterhalten" argumentiert wird:
*Behold the Giant Cities 100 A.D.!*

Du kannst in der 1000 AD-Tabelle darunter aber auch gut sehen, dass es 900 Jahre später in Europa keine Stadt mit über 100.000 Einwohnern gab.

Die Bevölkerungsdichte korrelliert stark mit dem Maß an Kontrolle durch eine militärisch starke Zentralmacht und die für die Kontrolle notwendige Infrastruktur. Ist diese nicht gegeben und sind die durch Zivilisation erschlossenen und kontrollierten Gebiete entsprechend klein, können große Städte nicht versorgt werden.

Spiele, die sich das europäische Mittelalter als Vorbild nehmen, dürfen deshalb realistischerweise von Aventurien-typischen Zwergstädten mit ein paar größeren Städten dazwischen ausgehen, ggf etwas dichter als im aventurischen Setting. Points of Light-Konzepte bedingen aber im Grunde genommen eine noch geringere Bevölkerungsdichte. Schließlich hatte das europäische Mittelalter keine marodierenden Ork-Banden, Drachen etc. Auch Aventurien hat Landstriche, in denen kein Mensch lebt. Zählt man dagegen Orks, Goblins, Oger und andere Spezies mit grundlegenden kulturschaffenden Fähigkeiten hinzu, sieht es ggf. ein bisschen anders aus.
« Letzte Änderung: 13.12.2017 | 14:24 von Crimson King »
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J.W. von Goethe

Offline CK

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Der aktuellste Anlass war jetzt der Städtebauer im DS-Kalender, bei dem dann gesagt wird, der Autor hätte nicht so Wert auf irdischen Realismus gelegt.

Aber das hat ja gar nichts mit irdischem Realismus zu tun. Zum Einen gibt es eine Definition von "Stadt" und eine Reihe Faktoren, die eine Siedlung zu einer Stadt machen. Diese Faktoren können mit z.B. 250 Leuten (angeblich Kleinstadt) nicht mal im Ansatz erfüllt werden. Rein faktisch IST das dann einfach keine Stadt.

Also hierzu muss ich sagen, dass habe ICH behauptet, ich bin aber nicht der Autor des Stadtbaukastens.
War also nur eine Vermutung meinerseits.

Was irgendwelche Definitionsstandards behaupten ist da auch gar nicht der Punkt:
Es geht hier um ein 4free-Give-a-away, da muss man nicht zu viel reininterpretieren, problematisieren und durchdiskutieren mMn.
Mir ist klar, dass das jeder anders sieht und das Städte laut Lehrbuch erst ab Größe X anfangen, aber lasst doch die Leute einfach ihre Gratissachen anbieten ohne kommerzielle Standards darauf anzuwenden und so krampfig an die zweitschönste Nebensache zu gehen ;)
Wer mehr Einwohner für sinnvoll hält, haut halt den Faktor x10 oder x100 rein - ist doch an sich aber erstmal scheissegal.

@topic:
Ich selbst habe mich bezüglich der Größe Caeras recht ausführlich mal dazu geäußert, warum ich Realismus nicht für so förderlich in dieser Hinsicht halte - Fakten und Definitionen unserer Welt sind mir da recht latte, für das Rollenspiel messe ich schon lange mit gaaaaanz anderem Maaß, bei solch einer kleinen Welt ähnlich wie bei nem "Disney"film (was nicht heisst, dass es nicht auch viel ernsthaftere Setting- und Runden-Ansätze gibt).

"Wer die Maße Caeras mit unserer eigenen Welt vergleicht, wird feststellen, dass die Länder rund um die Innersee weitaus kleiner ausfallen und man innerhalb weniger Tagesmärsche die Klimazonen wechseln kann. Zwar entfallen dadurch langatmige, monatelange Märsche von A nach B und wer seine Charaktere schon immer einmal in der Wüste verdursten lassen wollte, wird hier ebenfalls  enttäuscht, doch abgesehen davon haben diese kleinen Ausmaße - gerade für das Rollenspiel - entscheidende Vorteile:

Zum Einen ist da der Umstand, dass Hintergrundkulissen und das umgebende Flair schnell ausgetauscht werden können - letztes Mal untersuchte man eine alte Zwergenbinge auf den verschneiten Gipfeln der Schimmerberge, heute erforscht man die Ruinen nahe einer alten Pyramide im Reich der Mumienfürsten von Shan’Zasar, während man das nächste Mal vielleicht schon im Piratennest Campiliona anlegt oder im Schattengrund von Sturmklippe Spione aus Schwarzwall jagt.

Dennoch versperren Meer und Berge noch häufig genug den direkten Weg, weshalb man immer wieder zeitaufwendige und dazu noch oft gefährliche Umwege in Kauf nehmen muss, ohne dass die Charaktere (und Handlung) dafür gleich monatelang Tausende von Kilometern zurücklegen müssen.

Zum Anderen ist die Kampagnenwelt dadurch kompakt und überschaubar - Charaktere können vielerorts Bekanntheit erlangen, ohne dafür gleich die ganze Welt vor dem Untergang retten zu müssen.

Damit einher geht die Möglichkeit, auf Caera wirklich noch etwas bewirken zu können, Einfluss zu nehmen und Veränderungen zu erreichen - und das auch schon im Kleinen. Die anderenAkteure und Darsteller neben den Charakteren sind in einer kleineren
Welt einfach weniger zahlreich, was den Helden auf der Bühne mehr Spielraum und Platz verschafft.

Und wer dennoch nicht darauf verzichten will, seine Charaktere ab und an verdursten zu lassen, schickt sie einfach in die staubigen Ascheweiten mit ihren verdorbenen Flüssen."


Wie gesagt - alles nur meine Meinung einer möglichen Vorgehensweise und daher nicht wirklich der Belehrung nötig.
« Letzte Änderung: 13.12.2017 | 14:50 von CK »

Maischen

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@kbeef: Genau wegen des Improvisierens - es macht halt einen Unterschied, ob man zB in Havena herumläuft oder - frei nach  Dungeon World - Lücken lässt und spielt um eine Stadt überhaupt erst aufzubauen.

Offline KhornedBeef

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@kbeef: Genau wegen des Improvisierens - es macht halt einen Unterschied, ob man zB in Havena herumläuft oder - frei nach  Dungeon World - Lücken lässt und spielt um eine Stadt überhaupt erst aufzubauen.
Jo, stimmt.
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Offline Sashael

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Du kannst in der 1000 AD-Tabelle darunter aber auch gut sehen, dass es 900 Jahre später in Europa keine Stadt mit über 100.000 Einwohnern gab.
Bereits die von mir weiter oben angegebenen Einwohnerzahlen im 12. und 13. Jhd in deutschen Städten sprengen die Zahlen, die von diversen Settings für die prosperierenden Hauptstädte angegeben werden. ;)

Mir ist klar, dass nicht jede Stadt mit 100k+ lebt, aber wenn die größte Stadt nicht mal 10k Einwohner hat, dann passt das einfach nicht. ;)
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Supersöldner

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Offline Crimson King

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Bereits die von mir weiter oben angegebenen Einwohnerzahlen im 12. und 13. Jhd in deutschen Städten sprengen die Zahlen, die von diversen Settings für die prosperierenden Hauptstädte angegeben werden. ;)

Mir ist klar, dass nicht jede Stadt mit 100k+ lebt, aber wenn die größte Stadt nicht mal 10k Einwohner hat, dann passt das einfach nicht. ;)

Zumindest Gareth und Havena in Aventurien haben schon ordentliche Größen.

Dass man Fäntelalter-Settings finden wird, die es in dieser Hinsicht etwas untertreiben, ist sicher korrekt. Dass das jetzt ein flächendeckendes Problem ist, glaube ich nicht. Wie gesagt, in Fantasy-Settings gibt es üblicherweise wesentlich mehr echte Wildnis und gefährliche Kreaturen, die die Bevölkerungsentwicklung hemmen.
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J.W. von Goethe

Offline Grimtooth's Little Sister

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Einige Settings nehmen durchaus eher die antiken Stdädte als Vorbild.

Bei Kingdoms of Kalamar, was ich grad aktuell wieder lese, sind Städte mit 12.000+ Einwohner normal, es sei denn, ein Krieg hat die entvölkert. Die Hauptstadt hat 300.000 Bewohner. Mehr gibt die Versorgung nicht her. Das ganze ist aber auch mehr an Rom orientiert.

Bei Scarred Lands sieht es ähnlich aus, ich hab zumindest Burok Torn mit um die 200.000 Zwergen in Erinnerung. Bei Mithril ist die genaue Zahl glaub ich nicht angegeben, aber auch die waren in dieser Größenordnung.

Sharn in Eberron hat auch über 200.000 Einwohner.

Dagegen ist in der Tat Waterdeep in Faerun mit glaub weniger als 150.000 Leuten ein wenig untervölkert. Vor allem für die Häuserdichte. Bei Greyhawk macht die niedrige Bewohnerzahl eher Sinn, weil da deutlich mehr Grünflächen sind.
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Offline ghoul

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Die Frage nach der Größe von Städten habe ich mir auch gestellt, als ich mein Fantasy-Setting Tarnowo 1277 entworfen habe - Bulgarien im Jahr 1277 halt. Dazu habe ich u.a. eine Dissertation über die Wirtschaft Bulgariens im 13. Jahdt ausgewertet.
Schwierig ist es offenbar, Bevölkerungszahlen der Städte in der Zeit vor 1348 (Pestepidemie) zu finden.
Für zwei Städte in meinem Setting konnte ich Berechnungen verwenden, in welche Ausgrabungsergebnisse bez. Bebauungsdichte und Stadtfläche eingingen. So kam ich ziemlich zuverlässig auf 10'000 Einwohner für die größte Stadt Bulgariens im Jahr 1277: Tarnowo, die Zarenstadt. Für Tscherwen 4000 Einwohner, das war die zweitgrößte bulgarische Stadt in meinem Setting. Für die auf meiner Hexkarte (klick mich) eingezeichneten Städte habe ich 1000 bis 4000 Einwohner festgelegt, wobei im Flachland, besonders an den Straßen und Flüssen, nicht verzeichnete Zwergstädte und Dörfer sind (1 Hex = 20 km, da passt auch bei einer geringen Bevölkerungsdichte viel hinein).

Kopfzerbrechen hat mir Konstantinopel im Jahr 1277 bereitet, irgendetwas im Bereich von 20'000 bis 200'000 Einwohnern könnte korrekt sein - ich bin einfach mal von 40'000 ausgegangen (2. Byzantinisches Reich in seinen Anfängen, nach dem Lateinischen Reich).
« Letzte Änderung: 13.12.2017 | 18:44 von ghoul »
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PESA hilft!
PESA diskutiert.

Zensur nach Duden:
Zitat
von zuständiger, besonders staatlicher Stelle vorgenommene Kontrolle, Überprüfung von Briefen, Druckwerken, Filmen o. Ä., besonders auf politische, gesetzliche, sittliche oder religiöse Konformität.

Offline Aedin Madasohn

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ich würde die Aussage von Supersöldner noch um die Form der Nahrungs-Wirtschaft erweitern.

bei so klitzekleinen Städten (die rechtlich nur das Stadtrecht verliehen bekommen haben; ist keine echte Aussage über Größe) kann die Frage nach der Lebensmittelversorgung im Vorbeigehen mit umliegenden Feldern und fertig beschrieben werden.

verlässt man diese 350 Seelen-Ansiedlungen und geht gleich einen großen Schritt zur 100.000, so ist eine ausgeklügelte Logistik nötig, um den benötigten Vorrat herbeizuschaffen.
Außerdem der Flächenbedarf, so dass gewaltige Räume mit Feldern und Weiden benötigt werden.
Kurzum, 100 k Städte drehen gleich alles in einem Spiel, da sie nicht einfach 100 k Leute innerhalb einer Mauer sind, sondern auch noch zehntausende Landarbeiter in einer ganz klar durchstrukturierten Plantagenlandwirtschaft (punisches und später römisches Karthago in Tunesien; Ägypten mit Bewässerung etc.pp.) benötigen.
Ohne klare Struktur brechen diese System ezusammen - gleichzeitig wird eine straffe Staatsverwaltung wider zu etwas, was jetzt zwingend ins Setting gehört.
Also auch dort Beschreibungsaufwand.
Nehme ich eine gering-produktive Landwirtschaft mit wenig Verwaltung an, so brauche ich plötzlich eine Millionen auf dem Land, damit in der Metropole 100 k genug zu essen haben. Also schon mal 1,1 Millionen in einem Reich oder Provinz. Will man das wirklich schon so groß?
wenn ja, dann ist Antike mit seinen Strukturen der richtige Rahmen
bei kleineren Strukturen der Verwaltung und Logistik halt auch gleich klitzekleine Siedlungseinheiten wie im Frühmittelalter.

was die angenommene lineare Leistungssteigerung der Landwirtschaft angeht. Ägyptische Anbauerträge waren immer abhängig von dem Instandhaltungslevel der Bewässerung.
Verschlammt und verkommen gab es plötzlich nicht mehr die Möglichkeit, hundertausende Scheffel zu exportieren.
In der Wikipedia gibt es dazu Berechnungen (geh über die Staudammprojekte rein).
Persien ist ebenfalls ein gutes Beispiel, weil dort nach diversen Zerstörungsorgien durchreisender Turanier/Türken/Mongolen die in diesem Klima unverzichtbaren Bewässerunsganlagen verfielen und damit nach dem Schwert der Hunger wütete.

Europaisches Regelfeldbau-Fäntelalter mit geringen Erträgen und klitzekleinen Fitzelstädten ist da um Längen leichter zu händeln und ein Einstieg in die Materie.
aber nur zu. Bau dir deine SettingStädte größer und mit mehr Abhängigkeiten aus dem Wirtschaftsraum heraus und schon gibt es neue Aufhänger für das Spiel  :)
 

Offline Huhn

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Vielleicht hat ne Bibliothek in der Nähe ja das Buch von Herrn Isenmann zur mittelalterlichen Stadt, da dürften solche Fragen für Rollenspielbelange ausreichend beantwortet werden: Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150–1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Köln 2012.

Davon ab hab ich mich vor Jahren mal im Rahmen einer Hausarbeit unter anderem in die Bevölkerungszahlen bestimmter mittelalterlicher (Hanse-)Städte eingelesen. Tatsächlich werden die Zahlen immer ungenauer, je weiter zurück der betrachtete Zeitraum liegt. Während für Frühe Neuzeit und Spätmittelalter im Bestfall die städtische Verwaltungsbuchhaltung (die ja wiederum mit der heutigen absolut nicht vergleichbar ist) überliefert ist, wird's für die Zeit davor wirklich schwierig. Da läuft es am Ende auf Schätzungen aufgrund archäologischer Grabungen oder sonstiger Hinweise hinaus, die zum Teil stark auseinandergehen.

Für Novgorod etwa, den Sitz des Hansekontors in der Rus', wird die EW-Zahl vom Hanseforscher Rolf Hammel-Kiesow gegen Ende des 10. Jahrhunderts auf 2.000 geschätzt, in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts dann auf ca. 15.000 (das entspricht etwa der Lübecks um 1300). Für die Hochzeiten Novgorods im späten Mittelalter geht Stephan Selzer von 20.000 - 25.000 EW aus, sein Kollege Norbert Angermann von 30.000.  Andrzej Poppe kommt sogar auf 70.000 - 80.000 EW für das 14./15. Jahrhundert (für den gesamten Stadtstaat Novgorod, der immerhin 1,5 Mio qkm umfasste, schätzt Poppe die EW-Zahl auf 700.000 Menschen). Die Zahlen von Poppe sind aber die mit Abstand höchsten, die ich finden konnte und da das ein Lexikonartikel (Art. "Novgorod" im Lexikon des Mittelalters) war und ich mich nicht zu sehr reinvertieft habe, hab ich keine Ahnung, wie Poppe auf diese im Vergleich zu den anderen Forschern so hohen Zahlen kam.

Für Riga im heutigen Lettland habe ich für 1500 Bevölkerungsschätzungen von 6.000 - 10.000 Personen gefunden (Andris Šnē) und allgemein für das 16. Jahrhundert eine Angabe von 12.000 Personen (Heinrich von zur Mühlen im LexMA).
Für Reval, das heutige Tallinn in Estland, wird die EW-Zahl für 1600 mit 5.000 (unter Einbeziehung von Fischermy und Dom 6.500) angegeben (auch Heinrich von zur Mühlen im Artikel zu Reval).
Zugegebenermaßen lagen Riga wie Reval wohl auch eher im von uns aus betrachtet peripheren Bereich  - nichtsdestotrotz waren das zwei wirtschaftlich wie politisch einflussreiche und bedeutende Städte. Riga kontrollierte den Inlandhandel über die Düna, während Reval im Spätmittelalter Lübeck aus seiner Führungsrolle am Novgoroder Hansekontor verdrängte. Beide Städte, Riga und Reval, hatten großen Einfluss im gesamten livländischen Bereich.

Leider find ich die genauen Zahlen und die Literatur dazu gerade nicht mehr - aber als es darum ging, dass die livländischen Städte (neben Riga und Reval gabs da ja noch mehr) sich finanziell und personell an kriegerischen Auseinandersetzungen der Hanse beteiligen sollten, konnte man anhand der Summen, die aus den Städten gegeben wurden, deutlich sehen, dass Riga und Reval mit irgendwas um die 200 deutlich mehr gaben als die nächst-kleinere livländische Stadt, bei der die Summe einstellig war. Klar, hat auch was mit Wirtschaftsmacht, nicht nur Bevölkerungsmenge zu tun, aber ich denke, solche Zahlen veranschaulichen schon auch Größenunterschiede. Und nachdem wir jetzt wissen, dass schon Reval aus heutiger Sicht keine Metropole war, können wir uns vielleicht vorstellen, wie es in Städt(ch)en wie Narva oder Fellin aussah.

So große Städte wie wir sie uns heute unter einer mittelalterlichen Stadt vorstellen (Lübeck etwa, Nürnberg, Brügge oder eben auch Novgorod) sind wirklich die Ausnahme. Dass die unser Bild vom Mittelalter so dominieren, liegt vermutlich an der Überlieferungslage, die es uns schwerlich erlaubt, uns mit kleineren Siedlungen in solcher Ausführlichkeit zu befassen.  (Zu dem Thema gibt es einen tollen Artikel von Arnold Esch: Überlieferungschance und Überlieferungszufall als methodisches Problem des Historikers (aufbrufbar von manchen Bibliotheksnetzwerken aus)).

Insofern find ich es jetzt nicht unrealistisch, wenn Städte nur ein paar hundert Einwohner haben. Stadt bedeutete im Mittelalter ja primär (zumindest für das Hl. Röm. Reich), dass das Stadtrecht erwirkt wurde, nicht, dass die Siedlung eine bestimmte Größe gehabt hätte.

Offline Olibino

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Fantasy orientiert sich doch eher an Märchen als am echten Mittelalter. Man braucht Platz für finstere Wälder, vergessene Ruinen, Riesen usw..

Offline KhornedBeef

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Offline nobody@home

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Wie gesagt, in Fantasy-Settings gibt es üblicherweise wesentlich mehr echte Wildnis und gefährliche Kreaturen, die die Bevölkerungsentwicklung hemmen.

Wobei man mit denen auch aufpassen muß, sonst stellt sich irgendwann ein schlauer Leser bzw. Spieler die Frage, wie die Menschen in dem gegebenen Setting überhaupt jemals über das nomadische Jäger-und-Sammlerdasein hinausgekommen sind. ;) Nicht, daß sich das nicht auch begründen ließe (vielleicht hatten sie dabei Hilfe, vielleicht ganz einfach nur völlig unverschämtes Glück, oder vielleicht waren die Monster auch am Anfang schlicht noch gar nicht da und sind erst später in eine dann schon halbwegs zivilisierte Menschenwelt einmarschiert...), aber es ist halt wieder ein Stück Mehrarbeit, zumal die Begründung ja auch "stimmungsmäßig" einigermaßen zum Setting passen soll.

Offline Saftkraftscherge

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Fantasy orientiert sich doch eher an Märchen als am echten Mittelalter. Man braucht Platz für finstere Wälder, vergessene Ruinen, Riesen usw..
im Prinzip +1 aaaber
Fantasy braucht Türme, die sich absurd hoch schrauben, dazu Katakomben, gerne viele Etagen, die einer statischen Betrachtung niemals standhalten (Gruß nach NRW) würden. Ebenso Meisterhandwerker, die von irgendwem ja leben müssen und weitere Spezialisten in großer Zahl, die eben nicht jeden Tag die Hasenschlinge auslegen können. Brauche ich dafür logische Erklärungen? Im Leben nicht.

Ich bin da ganz beim Threadersteller. Warum immer zurückhalten bei schierer Größe? Metropolen haben den Charme, dass da alles möglich ist, solange keiner von mir als SL erwartet, dass ich das dann gleich abrufen kann.

Interessanterweise hat mir die DSA Box über Al Anfa die Augen früh geöffnet. Da wird man (offizieller Text im bösen DSA) aufgefordert seine Spieler zu fragen, was sie gerade sehen, hören, riechen. Mit einer aktiven Spielerschaft kommt man da mit Minimalaufwand zu neuen Aufhängern.
Ansonsten haben wir unsere Städte praktisch nur noch in klein, groß, sehr groß, übergroß unterteilt. Hat irgendwie nie einer gefragt, ob das jetzt 5000 oder 11000 EW waren.
skolko zhe gavná w tscheloveke

Offline KhornedBeef

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Wobei man mit denen auch aufpassen muß, sonst stellt sich irgendwann ein schlauer Leser bzw. Spieler die Frage, wie die Menschen in dem gegebenen Setting überhaupt jemals über das nomadische Jäger-und-Sammlerdasein hinausgekommen sind. ;) Nicht, daß sich das nicht auch begründen ließe (vielleicht hatten sie dabei Hilfe, vielleicht ganz einfach nur völlig unverschämtes Glück, oder vielleicht waren die Monster auch am Anfang schlicht noch gar nicht da und sind erst später in eine dann schon halbwegs zivilisierte Menschenwelt einmarschiert...), aber es ist halt wieder ein Stück Mehrarbeit, zumal die Begründung ja auch "stimmungsmäßig" einigermaßen zum Setting passen soll.
Ach da bietet sich doch immer eine Erlösergeschichte oder so etwas an.

Bei Warhammer40k z.B. litt die Heimatwelt der Dark Angels (Supersoldatenmönchskreuzzügler) immer unter unnatürlichen Monstern ( so in der Liga "Job für antike Heroen"), und dagegen wurden Ritterorden gegründet, die zumindest um menschliche Siedlungen herum die übelsten Viecher jagten. Und dann kam der unvermeidliche Primarch und hat einen Vernichtungskreuzzug geführt.
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Offline Huhn

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Ansonsten haben wir unsere Städte praktisch nur noch in klein, groß, sehr groß, übergroß unterteilt. Hat irgendwie nie einer gefragt, ob das jetzt 5000 oder 11000 EW waren.
Das find ich auch sinnvoller. Letztendlich geht es ja gar nicht drum, wie viele Leute nun da wohnen - sondern wie die Siedlung im Kontext der Spielwelt auf die Charaktere wirkt. Soll sie wie eine Großstadt wirken, hat aber nur 1.000 EW? Naja, dann wirkt sie vielleicht trotzdem im Vergleich zu den umliegenden Flecken und vor allem auf die eher ländlich geprägten Charaktere wie der Nabel der Welt! Ist ja alles relativ, hm?  :)

Außerdem hängt der "städtische" Eindruck nicht nur von der Anzahl an Menschen ab, sondern auch von urbanen Strukturen - was krieg ich da für Waren, wie gut ist die Infrastruktur, wie gut ist die Siedlung an andere angebunden, gibt es eine Ummauerung etc.

Ich persönlich mag es übrigens gar nicht, wenn irgendwelche Sachen im Rollenspiel damit rechtfertigt werden, dass es "in Wirklichkeit" so und so gewesen sein müsse. Wenn ich Wirklichkeit will, fahr ich Straßenbahn oder so - hier will ich ja spielen. ^^ Insofern war mein Beitrag oben auch kein Plädoyer für historische Korrektheit (tm) im RPG sondern einfach bloß ein kurzer Input dazu, dass wir einfach vieles nicht so genau wissen können und Aussagen dazu vorsichtig getroffen werden müssen.

Offline Sashael

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Eigentlich bestätigen mich so ziemlich alle hier, dass die Zahlen in so manchen Rollenspielen viel zu tief gegriffen sind. ;D

Die Einwohnerzahlen von den Metropolen in der Antike sind ja wirklich Ausnahmefälle von Imperien.
Aber Einwohnerzahlen von 10-40k Leuten waren eben zu keiner Zeit Exoten, sondern relativ normale Zahlen für große Städte. Wenn dann in manchen Settings für die echten großen Städte Einwohnerzahlen von unter 10k angegeben werden, dann merkt man halt, dass der/die Autor/en keine echte Vorstellung davon haben, wieviele Leute man auf wieviel Stadtfläche bringen kann und wie das aussieht.

"Ja! In dieser großen Hauptstadt gibt es alles zu kaufen, was man sich vorstellen kann und jede Dienstleistung gleich drei bis vier mal! Und hier leben 9.546 Menschen, Elfen, Zwerge, Halblinge und Goblins."

Äh ... nein. ;D
Da fehlt es eindeutig an Verständnis dafür, wieviel Infrastruktur und Versorgung eben benötigt wird, um jede Dienstleistung tatsächlich mehr als einmal anzubieten oder ein derartiges Handelsangebot zu unterhalten. Da zieht das Eine das Andere automatisch nach sich. Je mehr Angebot, desto mehr Versorgung der Anbieter wird auch benötigt.
Und spätestens wenn jemand das Wort Metropole in den Mund nimmt, sehe ich im Kopf nur noch eine 100k+ Stadt, die von umliegenden Dörfer und Städten versorgt wird. :D
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Offline Huhn

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Aber Einwohnerzahlen von 10-40k Leuten waren eben zu keiner Zeit Exoten, sondern relativ normale Zahlen für große Städte.
Doch, waren sie - wenn du ins europäische Frühmittelalter (= bis ca. 1000) gehst, bin ich mir relativ sicher, dass du solche großen Städte nur äußerst selten finden wirst. Und noch im Hochmittelalter (= bis 1250) dürften sie eher die Ausnahme als die Regel sein. Nicht so verallgemeinern.
(Edit: 100k+ ist übrigens wirklich Humbug. Lübeck, als Handelsmetropole hatte *zitiert Tante Wiki* 1642 mehr als 30.000 Menschen. Das ist nicht mal nahe an 100k. Wie ich schon sagte, halte ich Poppes Schätzungen bezüglich Novgorod auch für zu hoch gegriffen - ich weiß nicht, inwiefern er das direkte Umland der Stadt mit hineinzählte. Rom hatte um 800 noch 20.000 EW, wobei das im Verlauf des MAs wieder mehr geworden sein dürfte.)
Ich gehe aber mit dir mit, dass für das Spätmittelalter wohl schon angenommen werden kann, dass große politische und wirtschaftliche Zentren mit überregionaler Ausstrahlung üblicherweise mehr als 300 EW hatten.
Ein gutes Angebot an Waren und Dienstleistungen in Städten hing aber nicht nur mit den dort lebenden Leuten zusammen, sondern auch mit dem großen Einzugsbereich und relativ vielen Gästen. Ich denke schon, dass eine Stadt mit <10.000 EW für mittelalterliche Verhältnisse ein sehr gutes Angebot haben konnte, wenn sie zum Beispiel verkehrsgünstig lag (Reval war so ein Fall, Dorpat wohl auch). Ob es da immer alles zu kaufen gab, ist ne andere Frage - bestimmte Luxusgüter wurden importiert - und da etwa in Novgorod nur alles halbe Jahr Kaufleute mit neuen Waren kamen, kann ich mir vorstellen, dass dort auch mal ein halbes Jahr auf etwas gewartet werden musste. Von den ständigen Handelsblockaden mal ganz abgesehen.

Und die hier im Thread geäußerte Idee, es wäre möglich gewesen, von einer Großstadt in die nächste in wenigen Stunden zu laufen... schonmal in wenigen Stunden von Lübeck nach Hamburg spaziert? Also so dicht mit kleineren und größeren Städten wie heute war das MA nun wirklich nicht besiedelt. o.O

So bei Lichte betrachtet ergeben doch voll viele Sachen in Rollenspielen wenig Sinn. Ein Kumpel von mir hat mal ausgerechnet, dass es in Pathfinder wirtschaftlich möglich und sinnvoll wäre, eine große Franchise-Wirtshauskette aufzumachen, weil Immobilien dort so komisch berechnet werden und die Abenteurer so viel Loot aus den Dungeons schleppten. Andersherum kenne ich nen Eigenbau von einem Waffenfanatiker, der auf ungefähr 200 Seiten Regeln und Werte für jedes nur erdenkliche Schussgerät bietet, weil er alles andere unrealistisch fand. Spaß macht beides nicht.

Ich glaube, wenn du wirklich Realismus willst, dann brauchst du einen Wirtschaftssimulator und kein Rollenspiel. Ich verstehe das Bedürfnis, auch mal größere Städte im Rollenspiel einzubauen - wieso das unbedingt historisch begründbar sein muss, verstehe ich hingegen nicht so ganz.  (Außer dem "Ich habs euch ja gesagt!"-Effekt) Warum dort plötzlich auf Realismus pochen und an anderen Stellen beide Augen zudrücken? An welchen Stellen wird überhaupt recherchiert und welche werden halt irgendwie so hingebogen?
« Letzte Änderung: 14.12.2017 | 08:30 von Huhn »

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Es ist halt eine Frage der willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit: Völlig irreales Ding, zu dem ich kein Erfahrungswerte habe, ist komisch - Okidoki!; reales Ding, zu dem ich Erfahrungswerte habe, ist komisch - Nope; Kurz gesagt, diejenigen, die sich gut mit Siedlungsstrukturen des Mittelalters auskennen, sind damit selbst schuld ;)
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Aber Einwohnerzahlen von 10-40k Leuten waren eben zu keiner Zeit Exoten, sondern relativ normale Zahlen für große Städte.

Ich weiß jetzt nicht, was du unter Exoten verstehst. In D gab es um 1000 keine 10 Städte dieser Größe. Die korrekte Formulierung wäre wohl, 10-40k Leute waren relativ normale Zahlen für große Städte, aber große Städte waren Exoten. Und du musst dann wie gesagt noch einberechnen, dass Fantasy-Welten und teilweise erschwerten Bedingungen funktionieren.
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