Durch die bedauerliche Verzögerung des Projekts haben die deutschen Herausgeber möglicherweise die Gelegenheit, von den Übersetzungen in andere Sprachen zu profitieren, wo dann schon andere Leute vom Fach rübergesehen haben.
Warum ist RQG ein Nostalgieprodukt? Weil dadurch eine große Menge der RQ2-Spieler im englischsprachigen Raum zum Kauf angeregt werden konnte, was die Verkaufszahlen für Chaosium so hoch getrieben hat, dass die Erstauflage recht schnell vergriffen war. (Und das ganze ohne Kickstarter.)
Ein digitaler, vom Verlag gesteuerten Support von Fan-produzierten Szenarien ist angekündigt, zugänglich für Leute, die das System auf Cons oder in Läden leiten. Laut Jeff Richard "very soon".
Als jemand, der sich RQ3 mal durch eine selbstgemachte Übersetzung erschlossen hat, habe ich beim Lesen der Regeln eher das Problem, viermal "kenne ich schon" abgenickt zu haben, um dann über ein "wiebitte?" zu stolpern.
RQ (wie auch Midgard) leiden darunter, dass viele Fertigkeiten dazu führen, dass ein Charakter wenig beherrscht. Das führt dann leider zu gefühlt unrealistischen Ergebnissen, die nicht allzuweit von AD&D entfernt liegen. Ich hätte mir ein System mit Fertigkeitswerten für Kategorien und davon abgeleiteten Spezialisierungen gewünscht, gab es aber nicht, stattdessen die klassische Variante mit Rückwärtskompatibilität. (Bei HeroQuest waren die Systemänderungen deutlich weniger zimperlich.)
Das Kampfsystem mit Attacke - Parade - Trefferzone - Schaden an sich ist eigentlich gut bewährt und nach relativ wenigen Einsätzen auch von den meisten Spielern verinnerlicht. Klar, geht einfacher, hat aber seinen eigenen Reiz. Strike Ranks sind auch nur ein anderes Initiative-System, und jeder zweite Spielleiter ignoriert bestimmte Regeln (wie z.B. 5 SR zum Bereitmachen einer Waffe/eines Geschosses/eines Zaubers als häufig übersehenes Opfer).
Eine deutsche Ausgabe werde ich unterstützen, aber ich beteilige mich schon seit über 25 Jahren sehr aktiv an der englischsprachigen Fan-Gemeinschaft und beziehe alles so schnell wie möglich im Original. (Was jetzt bedeutet, dass ich nächstes oder übernächstes Jahr die schwedische Fronela-Kampagne anschaffen muss...)
Was das Weltwissen angeht, war die Materialmenge des erweiterten Star Wars-Universums (Wookipedia) in Verbindung mit dem W6-Rollenspiel sicherlich ähnlich umfangreich wie Glorantha, aber das hat kaum jemanden davon abgehalten, in dem Setting zu spielen. Durch die Filme war man natürlich etwas besser vorinformiert.
Aber das kann man jetzt ja auch durch die Brettspiele erreichen. Glorantha: the Gods War ist zwar ein Spiel, das man eher mal auf einem Treffen mitspielt als sich so nebenbei anschafft, aber Khan of Khans ist eine nette und erschwingliche Einstiegsdroge. Und dann wären da noch King of Dragon Pass und Six Ages: Ride like the Storm für Ipad und Konsorten...
Die Beschränkung auf Dragon Pass hat den Vorteil, dass eine Unmenge Konzepte vorhanden sind, aus denen man sich die Rosinen zur Veröffentlichung rauspicken kann. Ich habe mir gerade mal das Material zu Loskalm in Fronela angesehen und festgestellt, was ich als "Alleswisser" zum Thema Glorantha alles nicht über dieses Land weiß.
Die Hintergrund-Informationen im Regelwerk und den Abenteuern im Spielleiterschirm für den Drachenpass sind umfangreicher als alles, was bei RuneQuest2 zu der Gegend erschienen ist. Eine Lehrbuch-artige Einführung will keiner lesen. Das Ganze durch schienengeführtes Roll(en)spiel zu erwürfeln ist auch nicht der Bringer.
Das Sourcebook ist eine gut gemachte Aktualisierung der Artikelreihe zur Götterwelt von Glorantha. Eine Menge Holz, und vielleicht eine recht hohe Hürde, wenn man damit anfangen soll. Quickstart, die Colymar-Abenteuer und vielleicht ein bisschen reichen als Einstieg schonmal aus, liefern aber keine zugängliche Weltbeschreibung. Ich persönlich würde die vielleicht auch nicht mehr in Buchform präsentieren wollen, sondern als eine Art spielerische Erforschung der bekannten Welt in digitaler Form. Aber auch das ist bestimmt nicht jedermanns Sache.