Das (Buch #4 2018) war eine taffe Nuss. Ich habe am 8. Januar angefangen und mich bis heute damit beschäftigt. Zwischenzeitlich so frustriert, dass ich mich selbst disziplinieren musste, um das Werk zu beenden und mir verordnete, mindestens 50 Seiten am Tag zu lesen, um die 576 Seiten irgendwann erlesen zu haben. Gemeint ist das Werk:
Richard David Precht - Erkenne die Welt - Eine Geschichte der Philosophie - Band 1(Aus der POPSUGAR-Challenge: A book you borrowed or that was given to you as a gift)
Ich habe das Buch zu meinem 30. Geburtstag bekommen, unter anderem nach einer Diskussion, warum sich eigentlich keiner in der Neuzeit so wirklich mit dem schwierigen Unterfangen einer Philosophiegeschichte widmet, in dem Versuch, sie auch einem interessierten Laienpublikum oder gar der breiten Öffentlichkeit zu öffnen.
Auftritt Richard David Precht.
Man kann von dem Mann halten, was man möchte. Es ist definitiv hoch anzurechnen, dass er genau diesen Versuch unternimmt und sich durch die schwierige Aufgabe in mehreren Bänden kämpfen möchte. Während letztes Jahr Band 2 erschien, habe ich also jetzt erst mit Band 1 begonnen.
Warum aber war die Erfahrung für mich frustierend?
Precht schreibt gefällig, wenn auch in seinen stilistischen Blüten etwas repetitiv. Seine Worthülsen bescheinigen ihm eine preußisch-geprägte Zitat-Grundbildung, denn dauernd soll etwas an irgendeinem Wesen genesen (Geibels berühmt-berüchtigtes "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen." aus dem Jahr 1861 ist hier Grundlage) oder die berühmte Verkürzung von Clausewitz kommt häufiger vor, also dass irgendwas die Fortsetzungen eines anderen mit anderen Mitteln sei. ("Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.")
Seine Sprache per se ist verständlich und präzise, auch wenn er mir zu viele Sätze suggestiv mit drei Punkten beendet.
Und zudem - selbst wissend, dass manche der Vergleiche hinken - versucht er althergebrachte Diskussionen und Konflikte mit modernen gleichzusetzen oder zumindest zu verbinden, um ein Gefühl für die Sache zu geben. Mit der Absicht, eine schwer verdauliche Philosophiegeschichte populärwissenschaftlich zu behandeln, ist das durchaus gelungen.
Allerdings ist Precht übermäßig urteilend und sich selbst widersprechend urteilend, ohne das aufzulösen. So kann innerhalb einer Seite ein antiker Philosophie gleichzeitig äußerst brillant und äußerst dumm sein. In seinen Urteilen ist der Autor zudem sehr binär: entweder ist jemand genial, oder er ist ganz falsch davor. Zwar widerlegen seine eigenen Worte zur Philosophiegeschichte das, und er es dadurch auch. Deutet also durch den Inhalt an, dass es Ebenen zu seinem Urteil gibt, doch sein Urteil bleibt immer am äußersten. Und seine Urteile wirken damit auch reichlich arrogant bisweilen.
Während das Arrogante mir ein gewisser Störfaktor ist, kann ich im Rahmen des Werkes aber noch darüber hinwegsehen.
Schwerer fällt mir das bei inhaltlichen Fehlern (und da haben sich bspw. einige Faktenfehler eingeschlichen oder unsachgemäße Vereinfachung), die gar mir auffallen mussten, der ein philosophischer Laie ist.
Doch am schwersten ist, dass die hehre Absicht des Buches nicht erfüllt werden kann.
Die Einleitung des Werkes ist sehr gut und verspricht Lust auf mehr. Er spricht davon, wie schwer Interpretation ist. Er erwähnt auch immer wieder die quellenmäßige Problematik. Und er möchte zum Denken anregen und den Wissenskosmos von etwa 2000 Jahren eröffnen. Und ich glaube ihm, dass es seine wirkliche Absicht ist. Doch seine abschließenden Urteile verhageln es einem. Dadurch, dass er alles be- und verurteilt in dem Denken, in seiner Wirkung und seiner Konsequenz, lässt er selbst wenig Raum zum Denken. Man kann es also nur im Widerstand zum Geschriebenen tun. Obwohl der philosophische und auch der philosophiehistorische Diskurs wünschenswert ist, und seine dialektische Bearbeitung durchaus ein hehres Ziel ist, wenn es bildungstechnisch betrachtet werden will, tut genau dies einem Werk, welches populärwissenschaftlich zum Denken anregen will, nicht gut. Und das ist mein eigentlicher, zentraler Kritikpunkt an dem Werk.
Das im Vergleich zur Antike sehr kurze Mittelalterkapitel versöhnt immerhin ein wenig, in der Hinsicht. Weil er weniger Material zu bearbeiten hat, nimmt er sich etwas mehr Zeit, die Denklinien nachzuzeichnen, innerhalb derer man mit- und umdenken mag. Auch wenn er hier zu abschließenden Urteilen kommt.
In der Philosophie gibt es durchaus immer die Diskussion, ob die großen Alten ("Ph'nglui mglw'nafh Cthulhu R'lyeh wgah'nagl fhtagn!"
) schon alles grundsätzlich gedacht haben, was Mensch und Kosmos angeht, oder ob wir eine stringente Modernisierungsgeschichte auch in der Philosophie haben. Precht stellt sich mit seiner Philosophiegeschichte eher auf die modernistische Seite, was er in seinem Werk im Unterton auch glaubhaft rüberbringt. Die abhängige, aufeinander aufbauende Entwicklung der grundsätzlichen Philosophie ist die Stärke des Buches. Ich bin mir sicher, dass er auch die Rückschläge, die wiederkehrenden Bilder der Vergangenheit und dergleichen erkennt, so wirklich greifbar macht er dies jedoch nicht. Sein großer Bruch ist nur der, den man erwarten würde: nämlich das Ende Westroms. Er deutet an, dass das Erbe dann doch nicht ganz verloren ist, weil die griechische Philosophie beispielsweise in Arabien weiterlebt (Ostrom nimmt er nach Justinian ganz aus dem Fokus, kirchengeschichtlich nimmt er das orthodoxe Christentum bspw. nicht wahr). Dieser direkte Aufbau wird sicher auch vereinfacht sein, ist aber in seiner Betrachtung gewöhnlich und als solcher nachvollziehbar. Philosophie als "einzige Konstante" der Entwicklung des Menschen. Schön, wenn das so einfach wäre.
Sein philosophiegeschichtlicher Fokus ist also rein auf die klassische europäische Philosophiegeschichte ausgelegt und wagt sich nicht an die Bereiche, die an ihrer Peripherie und gar außerhalb liegen. Die Gründe dafür kann ich - ab von der großen Masse - nur schwer einschätzen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass er sich an den Pfaden der ganz klassischen Philosophiegeschichte entlanghangelt, und die betrachtet nunmal von den Vorsokratikern bis ungefähr Adorno und Satre (neuere Strömungen sind da wohl noch umstritten) den "abendländischen Kern".
Und es ist wohl viel gefordert, sich zu wünschen, dass eine populärwissenschaftliche Philosophiegeschichte in weltgeschichtlicher Lesart für den geneigten Laien geschrieben würde. Denn dort ist der aufeinander aufbauende Gedanke schwerer zu halten, aufgrund dessen, dass Kultur schlechter und weniger übergeleitet wirkt.
Aber wie dem auch sei.
Das Werk ist - gerade auch aufgrund der Kritik, die Precht für seine Art und seine "Popularphilosophie" einsteckt - mutig und verfolgt einen konzeptuellen, untertonigen Gedanken. Dafür ist ihm zu danken.
Letztendlich musste ich mich dennoch durch das Werk teils quälen, aufgrund der bisweilen auftretenden Widersprüche, der stilistischen Wiederholungen und Worthülsen, die mich beim Lesen etwas langweilten, und vor allem wegen der zu strikten Urteile über die Denker und den Verlauf ihrer Gedanken (trotz der angemerkten Quellenproblematik!).
Insgesamt vergebe ich 4 von 10 Punkten.