Imho fällt die zentrale Funktion einer solchen Maßnahme bisher noch raus: Für mich ist etwa die X-Card nicht vorrangig da, um benutzt zu werden, sondern um zu ZEIGEN, dass ich als Spielleitung a) die No-Gos der Spieler respektieren werde, b) offen für entsprechende Eingriffe bin, auch während des Spiels, und c) ein Spiel spielen möchte, in dem auch die Spieler Rücksicht aufeinander nehmen. Natürlich kann ich das auch in zehn Minuten Vorgespräch und eine sonnige, aber bestimmte Persönlichkeit herüberbringen, aber eine handfeste Regel ist erfahrungsgemäß geeigneter, um üblichen Vorannahmen zu begegnen, die es gerade in der Rollenspielszene deeefinitiv gibt, siehe auch dieser Thread oder ein beliebiger anderer. Und es spart halt Zeit. :<
Ich habe die X-Card schon mehrmals ausliegen gehabt, üblicherweise bei Spielen, die sich zentral mit Horror oder Tabuthemen beschäftigen, habe aber noch NIE erlebt, dass sie benutzt wurde – sehr wohl aber, dass sie im Nachhinein als positiv eingeschätzt wurde, weil Spieler das Gefühl hatten, die Reißleine ziehen zu können, ohne sich rechtfertigen zu müssen! Das kann gerade sensiblen und introvertierten Menschen gewaltig helfen, angstfreier und weniger verschlossen spielen zu können.
Und das ist ja der Punkt: Wenn du ein Problem mit einem Thema hast, ist Rechtfertigen das allerletzte, was du tun willst! Und wenn ihr sagt "Man kann auch drüber reden!", fordert ihr in einem gewissen Sinne von den Spielern, ihre persönlichen Tabugrenzen zu thematisieren ... was schon per Definition nicht ganz einfach ist, denn sonst wären sie ja keine Tabus. ("No Judging" ist imho der entscheidende Punkt der Beschreibung.) Und das ist natürlich auch der Hauptgrund, aus dem Spieler manchmal Sachen mitmachen, auf die sie wirklich, wirklich keinen Bock haben.
Da ich noch nicht erlebt habe, dass sie benutzt wurde, habe ich natürlich auch noch nicht erlebt, dass sie missbraucht wurde, aber dazu wurde eigentlich auch schon alles gesagt: Wenn das jemand tut, hätte er sicherlich auch ohne die Karte grooooße Probleme mit der Situation gehabt und wahrscheinlich nicht unbedingt im Positiven zu einem guten Spielerlebnis beigetragen, weder für sich selbst, noch für die anderen.
Dass es auch ohne wunderbar funktionieren kann, müssen wir nicht groß besprechen, oder? Wenn doch, hat irgendjemand etwas Entscheidendes falsch verstanden. Carry on.
Ein paar Tipps von mir, falls jemand darüber nachdenkt, die Karte einzusetzen:
1. Ich versuche, weder betont ernst, noch betont locker zu sein, wenn ich die Regel erkläre. Es ist einfach ein ganz gewöhnlicher Teil des Spiels.
2. Ich erkläre am Anfang immer, dass man einfach drauftippen kann, um sein Unwohlsein mit der Situation auszudrücken (ich traue mir einfach mal die nötige Empathie zu, um angemessen darauf reagieren zu können
), dass man aber auch dazu sagen kann, ob man gerade sein Limit erreicht hat oder nur langsam in die Nähe kommt. Dann weiß ich nämlich, wann wir nur einen Schritt zurückfahren müssen und wann vll. auch mal ein harter Schnitt angebracht wäre.
3. Für all das ist es aber natürlich auch zentral, dass die X-Card eine ECHTE Möglichkeit ist, weshalb ich niemals etwas in die Richtung "Wenn niemand die Karte benutzt, ist das auch okay!" sagen würde; so sehr ich es mir auch denke.
Aber wie gesagt, in der Praxis ist da nicht oft was passiert, und das ist überhaupt kein Problem. Die X-Card ist ein großes Ding, was das Feeling am Spieltisch angeht, ob sie nun benutzt wird oder nicht.