Gemeinsame Kurzrezi zu Stätten der VerdammnisIch wollte hier mal schnell meine Analyse des Bands „Stätten der Verdammnis“ zum Besten geben. Entgegen des Namens ist das kein Quellenbuch, sondern eine Abenteueranthologie. Deshalb gibt es hier eine kleine Spoilerwarnung. Ich versuche, allgemein zu bleiben, aber ganz ohne Details geht es nicht.
Stätten der Verdammnis ist eine Anthologie aus drei Abenteuern:
Das scharlachrote Hexagon ist ein sehr freies Szenario (Sandbox), das auf einer Insel im Hohen Norden spielt.
Tentakelfinger ist dagegen ein Krimiabenteuer mit vorgefertigten Spielercharakteren, wo also sehr viel klarere Strukturen herrschen. Es spielt in der Waismark. Das dritte Abenteuer,
Der kosmische Krater, spielt im Imperium und liegt sozusagen auf dem halben Weg: zur Hälfte fertige SCs in einem flexiblen Szenario.
Allgemein finde ich das Konzept, drei unterschiedliche Arten Szenarien anzubieten, total klasse. Dass damit jede der drei Regionen nur eins bekommt, ist zwar schade, aber am Ende der Kombinatorik geschuldet. Sonst müssten es schließlich ganze neun sein.
Das erste Abenteuer ist also eine Sandbox. Es spielt auf einer Insel und es ist egal, wie die SCs dort ankommen – und es gibt ein paar Vorschläge. In jedem Fall tritt eine magische Katastrophe ein, so dass die Insel in sechs Segmente zerbricht, wo jeweils ein Thema in einem Sechstel herrscht (bspw. ein Sechstel des Kriegs oder der Stasis). Die Begebenheiten in diesem Sechsteln können mit Fate-typischen Dreieckstabellen ausgewürfelt werden.
Beim
Hexagon war ich sehr begeistert. Nicht nur gefallen mir das grundlegende Konzept und die weite Anwendbarkeit auf viele unterschiedliche Gruppen. Ich fand auch die Sechstel und die dazugehörigen Zufallstabellen gut durchdacht. (Die meisten Anwendungen der Dreieckstabellen, die ich bisher sah, trugen den unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten des Gitters keine Rechnung. Hier hat man das Gefühl, dass das berücksichtigt wurde.)
Auch Bonuspunkte dafür, dass der namensgebende Malmsturm vorkommt. Wie viele D&D- oder DSA-Runden erlebte ich schon, in denen nie ein Drache bzw. ein Schwarzes Auge vorkam...
Tentakelfinger ist ein gut durchdachtes Krimiszenario, dessen Thematik schön zu
Malmsturm passt. Wegen der klaren (und klassischen) Abenteuerstrukturen ist es als Einstieg für Neulinge gedacht.
Was mir hier ein wenig fehlt, ist eine Übersicht über die vielen beweglichen Elemente. Die Gedankenkarte ist ein echtes Plus, aber ein Dramatis Personae mit Kurzzusammenfassung der NSCs und ihrer Funktionen wäre noch besser. Vielleicht ein Indikator, welche Nebenfiguren man weglassen kann, um das ganze etwas zu begrenzen, wäre die Krönung gewesen. (Oder umgekehrt, ein einfacheres Netzwerk, das optional erweitert werden kann.) Das sind aber theoretische Überlegungen, die rein spekulativ sein mögen, solange ich das Teil nicht leitete.
Ob ein explizit zum Testen von
Malmsturm geschriebenes Abenteuer so komplex sein sollte, ist schwer zu beantworten. Für echte Rollenspielneulinge sicher nicht, aber wie viele davon werden sich in
Stätten der Verdammnis umschauen? Für Umsteiger zu
Malmsturm ist es vermutlich gut geeignet.
Etwas negativ fiel mir auf, dass das sexuelles Verlangen (!) des Verbrechers immer wieder als widerwärtig o. Ä, bezeichnet wird. Das ist natürlich Quatsch – es ist nicht sein Verlangen, sondern sein Ausleben dieses Impulses, das verwerflich ist. Verlangen sind überhaupt nie verwerflich, weil es keine Gedankenverbrechen gibt. Aber das ist natürlich eine sehr moderne Sichtweise, die in der Waismark wenig zu suchen hat.
Der kosmische Krater ist ein Ort, an dem die SCs festsitzen und so in der Mitte eines Konflikts zwischen einer Sekte und einer Räuberbande (den Sandvipern) landen. Es geht (massiv vereinfacht) um einen wertvolle Rohstoff, das Blaue Glas. (Was das Glas genau tut, ist für das Abenteuer egal und es werden unterschiedliche Optionen vorgeschlagen.) Die Spielercharaktere sind mitgeliefert, werden aber von den Spielern noch verfeinert. So sind einige Aspekte nicht festgelegt, sondern angedeutet – z. B. „Warum hast du Angst vor Nelphus?“. Auch die Fertigkeiten sind nicht komplett gewählt.
Bei diesem Abenteuer wohnen zwei Seelen ach in meiner Brust. Der Inhalt sagt mir irgendwie wenig zu (was Geschmackssache ist), aber die Struktur auf der Metaebene finde ich die beste der drei Szenarien (was ebenfalls Geschmackssache sein mag).
Während ich die Handlung also eher unspannend finde, finde ich die Vermittlung großartig. Allein die flexiblen Stellschrauben, die geboten werden und einander ergänzen, sind schon elegant gewählt. Die unterschiedlichen Optionen für das Blaue Glas sind spannend und das offene Eingeständnis, dass es sich um einen MacGuffin handelt, zeigt dem SL direkt, wie er dieses einzuordnen hat. (Und wofür er seine Zeit nutzen sollte – da der MacGuffin nicht von Relevanz ist, lohnt sich der Aufwand bei Zeitmangel nicht. Und wer hat heute noch Zeit über?)
Auch die angedeuteten Aspekte der SCs finde ich ziemlich großartig. Sie erinnern mich an die Leitenden Fragen aus
Dread.
Was ich noch hilfreich gefunden hätte, wären eine Tabelle der Dramatis Personae (wünsche ich mir fast immer, wie man sieht) und eine Tabelle mit
Zündfunken. Was ich damit meine, ist Folgendes: Bei solchen Szenarien kann es leicht vorkommen, dass die Handlung ins Stocken gerät. Da greift die wichtige Spielleiterregel: Wenn alles hängt, spreng etwas (metaphorisch) in die Luft!
Deshalb hätte ich eine Liste mit Vorschlägen, was so passieren könnte, für viele SLs sehr hilfreich gefunden.
Z. B.: ++--: Ein völlig betrunkenes Mitglied der Sandvipern hat sich komplett verirrt, torkelt verwirrt in die Karawanserei und wirft eine Öllampe um. Ein Feuer droht und danach haben die SCs jemanden, den sie verhören können. (Das Feuer am Anfang sollte auch ganz gut von diesem Deus Ex Machina ablenken, weil die SCs sofort etwas zu tun haben.)
Nach den drei Abenteuern folgt ein kurzes Bestiarium. Es ist prinzipiell sehr lesenswert, auch wenn es in einer Abenteueranthologie irgendwie verloren wirkt. Die
Malmsturm-Leute wollen wohl kein eigenes Kreaturenbuch rausbringen. Das ist irgendwie nachvollziehbar, denn solche Bände erfordern ungleich mehr Arbeit als bspw. Anthologien. Aber dieses Verteilen auf andere Bücher ist zumindest ungewöhnlich. Wenn das so weitergeht, wäre ein übergreifender Index im Netz sehr sinnvoll.
Apropos Index: Das letzte Kapitel ist eine umfassende Registersammlung, von der andere Bücher einiges lernen könnten.
Was mir generell sehr positiv auffiel, war, dass sich das Buch sehr angenehm liest, obwohl es wenig Illustrationen hat. Das spricht für die Qualität des Setzers.
Was mir auch gefällt, ist der fehlende Goldrand. Der ist zwar schick, aber ich mag das Gefühl auf dem Daumen nicht so richtig.
Fazit: Geiles Teil!
PS: Zum Metal-Gehalt des Werks kann ich wie immer nichts sagen. Heavy Metal ist für mich wie ein Magnet für Messing. Es zieht mich weder an, noch stößt es mich ab. Es berührt mich einfach gar nicht.
PPS: Rückmeldungen zu dieser Rezi bitte
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