Aloha! Weil auf dem D&D Board die Frage aufkam, was Dungeon World besser macht als D&D 5E, dachte ich mir ich ergreife an dieser Stelle die Gelegenheit, einen kleinen "Blogbeitrag" zu verfassen, der - soviel gleich vornweg - diese Frage nicht beantworten wird, stattdessen aber versuchen soll, dem geneigten D&D-Spieler zu erklaeren, wo die Unterschiede - und die Gemeinsamkeiten - von Dungeon World und D&D liegen. Als weiteren Disclaimer moechte ich anmerken, dass ich selbst bislang Dungeon World nur vom Lesen kenne, und mich gerade tierisch darauf freue, naechste Woche meine erste DW-Runde zu starten, wobei ich die Rolle des Spielleiters uebernehmen werde. Dieser Thread dient also auch ein bisschen dazu, mein eigenes Verstaendnis des Systems zu reflektieren und meine wirren Gedanken zu Dungeon World zu ordnen. Falls ich also kompletten Unsinn verzapfe, bitte ich die anwesenden DW-Veteranen mich umgehend und gnadenlos zu korrigieren.
Spiele ueber DungeonsFangen wir der Einfachheit halber mit den Gemeinsamkeiten von D&D und Dungeon World an. Es ist kein Zufall, dass beide Spiele das Wort "Dungeon" im Titel fuehren, denn im Grunde behandeln sie beide dasselbe Thema, oder aehneln sich in dieser Hinsicht doch zumindest stark. Grundsaetzlich sind sowohl D&D als auch DW Fantasy-Rollenspiele, in denen die Spieler in die Rolle von Abenteurern schluepfen, die sich in einer von toedlichen Gefahren gespickten Welt Ruhm und Reichtum erwerben wollen. Dazu stellen sich die Helden allerlei ueblen Monstern und Boesewichten in den Weg, deren traditionelles Habitat das unterirdische Gewoelbe darstellt. In beiden System wird das Konzept des Verlieses dabei allerdings relativ weit gefasst: Man koennte im Kontext von D&D und DW sagen, dass ein Dungeon eine beliebige raeumlich klar abgegrenzte Oertlichkeit voller Herausforderungen und Gefahren ist. Diese Oertlichkeit kann dabei das klassische Verlies sein, aber auch eine natuerliche Hoehle, eine Festung, ein verwunschener Wald oder eine Ruinenstadt in der Wueste. Die Helden meistern nach und nach immer groessere Herausforderungen, und erlangen dadurch Erfahrung, die sich in wachsender persoenlicher Macht niederschlaegt, sowie in Reichtum in mannigfaltiger Form (Muenzen, Edelsteine, verzauberte Schwerter, Festungen - you name it).
D&D als Erbe von ChainmailMan kann auf Grund der erlaeuterten Gemeinsamkeiten also sicher behaupten, dass beide Spiele dasselbe Genre bedienen, naemlich letzten Ende das der heroischen Fantasy, wobei das Ganze mit zunehmender Stufe der Helden in beiden Faellen in Richtung epische Fantasy abdriftet. Es ist auch kein Geheimnis, dass Dungeon World sich in gewisser Hinsicht als Erbe von D&D betrachtet, oder anders ausgedrueckt: Ohne D&D wuerde es Dungeon World in der vorliegenden Form nicht geben.
Damit hat es sich dann aber aus meiner Sicht auch mit den Gemeinsamkeiten, denn auch wenn beide Spiele im selben Genre zu verorten sind, ist das, was sie dann innerhalb dieses Genres machen etwas ganz anderes. Man muss sich naemlich jenseits des Genres anschauen, woher die beiden Spiele kommen. D&D ist, wie allgemein bekannt, urspruenglich aus dem Wargaming Bereich, genauer aus dem Spiel Chainmail hervorgegangen. Urspruenglich ging es hier also um eine Taktiksimulation, die dann im Lauf der Zeit um den narrativen Aspekt des Rollenspiels erweitert wurde - eine Entwicklung, die vermutlich zur Zeit von AD&D 2nd Edition ihren Hoehepunkt erreicht hat. Trotzdem sind die Wurzeln von D&D auch heute noch klar zu erkennen. Dungeon World hingegen, mag sich zwar als Hommage an das Genre von D&D und dessen Metasetting verstehen, als Spiel kommt es jedoch aus einer ganz anderen Richtung, naemlich aus der Gruppe der Erzaehlspiele, die auf der Apocalypse World Engine basieren, griffig gelabelt als "Powered by the Apocalypse" oder kurz PbtA.
Reduziert man aktuelle Editionen von D&D auf ihr Kampfsystem, bleibt letztlich eine Abwandlung der Urvaters Chainmail uebrig, klar die Regeln von heute unterscheiden sich natuerlich erheblich von denen des Originals, aber letztlich bleibt die Abwicklung in Runden uebrig, die Bedeutung der genauen Position der einzelnen Kampfteilnehmer, sowie weitere zentrale Konzepte wie Hit Points und Armor Class. Im Grunde ist das Kampfsystem von daher auch heute noch ein weitgehend eigenstaendiges Spiel, das wenig bis gar nichts mit dem narrativen Modus Operandi zu tun hat, in den das Spiel zwischen den Kampfbegegnungen wechselt. Tatsaechlich trifft auf die meisten Editionen von D&D zu, dass die narrative Ebene des Spiels eigentlich kaum als Spiel bezeichnet werden kann. Vielmehr handelte es sich weitgehend um freies Erzaehlen mit dem Spielleiter als Schiedsrichter, der dann qua Handwedeln darueber entscheidet, welche Konsequenzen die Handlungen der Charaktere haben (stark vereinfacht ausgedrueckt). Tatsaechlich waren die Non-Weapon Proficiencies noch in AD&D 2nd Edition eine optionale Regel. So etwas wie ein wirklich detailliertes Skillsystem wurde erst mit D&D 3E zum Kernbestandteil des Systems erhoben, wodurch auch ausserhalb der Kaempfe ein bisschen mehr Spiel im traditionellen Sinn des Wortes stattgefunden hat. Den Hoehepunkt dieser Entwicklung stellt dann sicherlich die 4. Edition mit dem Konzept der Skill Challenge dar.
In der aktuellen Edition von D&D ist man hingegen wieder weitgehend zu den Wurzeln zurueckgekehrt, das Skill System ist sehr einfach und wird von so manchem Spieler auch eher als Rueckschritt empfunden. Ein gaengiger Vorwurf an D&D 5E ist, dass das System den SL oftmals zur Handwedelei zwingt, weil viele Dinge einfach nicht praezise geregelt sind. Befuerworter der neuen Edition vertreten die Ansicht, dass die Abwesenheit allzu detaillierter Regeln wieder das eigentliche Rollenspiel in den Vordergrund ruecken, und letztlich haben beide Seiten durchaus Argumente fuer ihre Sicht der Dinge, so dass man hier letztlich nur festhalten kann, dass das wohl eine Frage des persoenlichen Geschmacks ist.
Objektiv laesst sich hingegen nicht abstreiten, dass in variierender Auspraegung je nach Edition, es in D&D schon immer einen Bruch gegeben hat, an der Stelle, wo das Spiel vom freien Erzaehlen zum Kampf und wieder zurueck wechselt. Ploetzlich laeuft das Spiel in Runden ab, die Charaktere agieren in einer durch die Initiative etablierten festen Reihenfolge und es ist sehr klar definiert, was sie tun koennen, sobald sie an der Reihe sind.
Dieses "Spiel im Spiel" kann man nun moegen oder nicht, festzuhalten ist aber zumindest, dass es existiert, und dass das Spiel zwei ganz unterschiedliche Modi hat, naemlich Kampf und freie Erzaehlung, die unterm Strich wenig miteinander zu tun haben. Natuerlich sind sie miteinander verknuepft, diese Verknuepfung ist jedoch vergleichsweise lose und der Bruch im Spielfluss ist deutlich zu spueren. Ein Running Gag aus meiner eigenen jahrelangen D&D-Erfahrung lautet: Der Ork stuermt mit erhobener Axt auf euch zu und bruellt: "Initiaatiiiveee!" Er illustriert sehr schoen den erwaehnten Bruch.
Narration powered by the ApocalypseDungeon World geht hier als PbtA Spiel einen anderen Weg. Als Apocalypse World Spiel stellt es die Fiktion in Mittelpunkt des Geschehens. Die Spieler und der SL beschreiben jeweils was ihre Charaktere bzw. NSC tun (und wie die Welt darauf reagiert), und durch diese Beschreibungen werden dann letztlich Regelmechanismen ausgeloest. Das Ergebnis einer solchen Regelanwendung ist dann letztlich wieder eine Erweiterung oder Veraenderung der bislang etablierten Fiktion. Das klingt abstrakt und Bedarf der Illustration anhand eines konkreten Beispiels:
Der Paladin in unserer D&D Gruppe verfuegt ueber das Feat "Great Weapon Master", dass es ihm erlaubt, zu Gunsten hoeheren Schadens einen Abzug auf den Angriffswurf in Kauf zu nehmen. Anfangs hat der Spieler noch blumig beschrieben, wie sein Charakter weit mit dem Schwert ausholt und dann so fest zuschlaegt wie er nur kann, doch spaetestens nach der dritten Anwendung wurde daraus ein lapidares: "Ich zieh dem Oger eins mit GMW ueber." Auf Grund der Tatsache, das Kaempfe in D&D nicht selten Gefahr laufen in einem langwierigen Runterwuerfeln von Trefferpunkten zu enden, ist dem Spieler hier auch kaum ein Vorwurf zu machen: Irgendwann hat man die sich aufdraengenden Beschreibungsvarianten fuer eine Verwendung der selben Faehigkeit einfach erschoepft.
In Dungeon World hingegen widerspricht die erwaehnte Aktionsbeschreibung direkt den Regeln des Spiels. Der Spieler nennt nicht die eingesetzte Faehigkeit (in DW als Spielzug oder Move bezeichnet). Stattdessen beginnt alles mit der Beschreibung dessen was der Charakter auf Ebene der Fiktion tut. Diese Beschreibung loest nun einen Spielzug aus, der seinerseits aus einem Wuerfelwurf und einem Ergebnis besteht. Das Ergebnis hat oft eine Komponente, die sich auf die Regeln bezieht, und IMMER eine auf der Ebene der Fiktion, das heisst die Situation aendert sich durch die Aktion des Charakters auf irgendeine Weise. Im besten Fall erreicht der Charakter dass, was er bei seiner Aktion im Sinn hatte. Oft ist es aber so, dass der Erfolg einen Preis in Form von Konsequenzen hat: Der Paladin schafft es, dem Oger mit seinem Zweihaender eine klaffende Wunde zuzufuegen, doch die Klinge bleibt im Hueftgelenk der Kreatur stecken, welche vor Schmerz aufheult und nun ihrerseits ihre mit rostigen Eisenstacheln versehene Keule in der Schulter unseres Helden versenkt. Scheitert der Wuerfelwurf fuer den Spielzug komplett, so darf der SL nun seinerseits einen Spielzug ausfuehren. So koennte der Oger den Hieb des Paladins mit seiner Keule parieren, wodurch unser strahlender Held entwaffnet wird.
Dadurch gilt, dass am Anfang um am Ende jedes Spielzugs die Fiktion steht: Spielzuege werden durch Beschreibungen auf Ebene der Fiktion ausgeloest (und nicht durch die Ankuendigung des Spielers, dass sein Charakter "Hauen und Stechen" gegen den Oger einsetzt). Nachdem der regeltechnische Teil des Spielzugs abgewickelt wurde, wird nun ausserdem neue Fiktion etabliert. So muss jeder Spielzug die Situation veraendern, selbst wenn die Veraenderung manchmal vielleicht nicht besonders gross ist. Es mag auf den ersten Blick nicht als signifikanter Unterschied zu D&D erscheinen - doch dort aendern viele Aktionen der Spieler im Kampf auf Ebene der Fiktion erstmal nicht viel bis gar nichts: Ein Oger, der 20 Schadenspunkte erlitten hat ist noch immer exakt genau gleich gefaehrlich und kampfbereit wie ein voellig unversehrter Artgenosse. An der grundsaetzlichen Situation hat sich deswegen nach einem nicht fatalen Treffer erstmal nichts geaendert.
WIchtig ist auch, dass Dungeon World nicht zwischen Kampf und freier Erzaehlung entscheidet. Das Spiel kennt durchgaengig nur einen einzigen Modus, und der funktioniert so, dass die Spieler beschreiben, was ihre Charaktere tun. Durch diese Beschreibungen werden Regelmechanismen in Form von Spielzuegen ausgeloest, die harte regeltechnische Auswirkungen haben und ausserdem das Spiel auf Ebene der Fiktion vorantreiben, indem sie gegenwaertige Situation - mal mehr, mal weniger stark - veraendern. Dadurch entsteht einfach ein ganz anderer Flow und die Handlung entwickelt sich stetig weiter. Die Narration bleibt in Bewegung und das Tempo bleibt dabei weitgehend konstant. Bei den taktischen Kaempfen von D&D hingegen gerinnt die Zeit gerne mal zu Honig, und fuer einen Kampf, der tatsaechlich kaum eine Minute dauert kann am Spieltisch schnell mal eine halbe Stunde und mehr verstreichen.
Soviel erstmal zu meinem persoenlichen Verstaendnis von Dungeon World, und wie es sich zu D&D verhaelt. Mir ist bewusst, dass dieser Text bei vielen Lesern wohl einige Fragezeichen hinterlassen wird. Fuer diesen Fall kann ich nur waermstens die Dungeon World Episoden des
System Matters Podcasts empfehlen, die das Spiel sehr anschaulich vorstellen und einem sehr guten Eindruck davon vermitteln, wie es funktioniert. Ich wurde auf diese Weise angefixt und habe mich letztlich dazu verleiten lassen, Geld auf das Crowdfunding der deutschen Uebersetzung von Dungeon World zu werfen.
Ich persoenlich finde die Konzepte hinter Dungeon World spannend und erfrischend anders als ich es aus D&D gewoehnt bin. Ausserdem schaetze ich sehr, dass das Spiel tatsaechlich sehr einfach ist, was die Regelseite angeht. Damit steht es im krassen Gegensatz zu einem anderen Indiespiel, das ich sehr schaetze, dessen Regeln jedoch ein ziemlicher Block sind. Die Rede ist von Burning Wheel und seinen Derivaten Mouse Guard und Torchbearer, doch dazu vielleicht an anderer Stelle mehr.