Zu dem Finanzierungsmodell ‚Crowdfunding‘ sollte man als erstes die Alternativen beleuchten:
Klassische Finanzierungsformen (vereinfacht beschrieben)
1. Fremdkapital (prototypisch: Der Bankkredit)
Sicht des Unternehmens: Kein Mitspracherecht des Geldgebers im Tagesgeschäft, dafür laufende Verbindlichkeiten, die unabhängig vom Geschäftserfolg fällig sind
Sicht des Geldgebers: Begrenztes Risiko, regelmäßige Einnahmen durch Zinsen unabhängig vom letztendlichen Geschäftserfolg, Auskunftsrechte (kann bspw. auch sein: Wurde mein Geld zweckmäßig eingesetzt?)
2. Eigenkapital (beispielsweise: Stimmrechtsaktien, Gesellschaftanteile)
Sicht des Unternehmens: Keine laufenden Zinskosten, u.U. einfacher zu bekommen, als ein Bankkredit, dafür eingeschränkte Handlungsfreiheit, da der Geldgeber von nun an Mitreden darf oder zumindest weitreichende Auskunftsrechte besitzt (Aktie)
Sicht des Geldgebers: Mitspracherecht im Unternehmen, dafür auch volles Risiko (das eingesetzte Geld ist im schlimmsten Fall weg) aber eben auch volle Gewinnbeteiligung
Das Crowfunding stellt hier eine sogenannte Mezzanine Finanzierung dar (andere Beispiele wären bspw. Genussrechte oder stille Beteiligungen).
Für das Crowdfunding ist die Lage eher die folgende:
Sicht des Unternehmens: Sofortige Geldeinnahme, keine Mitspracherechte des Geldgebers und kaum Auskunftspflichten, keine laufenden Verbindlichkeiten
Sicht des Geldgebers (Motivation ist hier höchst individuell, meist eher ideell und kann bei meiner Betrachtung erst mal ausser vor gelassen werden): Hohes Risiko (das Geld ist im schlimmsten Fall weg, man erhält weniger Gegenwert oder das Versprechen wird erst mit großer zeitlicher Verzögerung eingelöst, wenn es einen vielleicht gar nicht mehr interessiert), Durchsetzungsmöglichkeit der Rechte soweit eingeräumt gegenüber dem Unternehmen gering) und, jetzt die Crux aus meiner Sicht: Keine Gewinnbeteiligung!
Zuallererst: Stretchgoals sind keine Gewinnbeteiligung, der Gewinn ergibt sich aus dem Unternehmensergebnis nicht dem Crowdfundingerfolg.
Das über die Finanzierung eingenommene Geld ist per se nicht zweckgebunden - das Unternehmen kann frei über die eingenommenen Mittel verfügen kann.
Das Unternehmen könnte beispielsweise mit dem Geld den Nachdruck eines, bleiben wir beim Rollenspiel, etablierten Regelwerks finanzieren. Hiermit erzielen sie einen hohen Gewinn (das Regelwerk ist fertig, es müssen nur die Druckkosten finanziert werden, die Marge ist groß, das Risiko eigentlich gering, da die Absatzzahlen bekannt sind). Sie hätten den Nachdruck auch anders finanzieren können, bspw. mit einem Bankkredit (Annahme hierbei: stabile Absatzzahlen, dann finanziert die Bank sowas auch problemlos, die wollen ja Geld verdienen), aber das wiederum hätte das Unternehmen eben nach hinten raus Zinsen gekostet und die Bank hat normalerweise ein Auskunftsrecht (Bilanzeinsicht usw.).
-> Mit dem Geld der Crowdfunder kann also normal gewirtschaftet und Gewinne erzielt werden, die mit dem eigentlichen Subjekt des Crowdfundings nichts zu tun haben. An diesen Gewinnen ist der Crowdfunder nicht beteiligt, obwohl er das volle Risiko trägt, denn das Unternehmen hat ihm für die Finanzierung nur ein Versprechen abgegeben. Wie dieses Versprechen eingelöst wird ist allein in Verantwortung des Unternehmens.
Die Frage nach der ‚Moral‘ wäre hier also: Etablierte Unternehmen, die Produkte herstellen, haben normalerweise immer Geldbedarf (Druckkosten, freie Mitarbeiter, Material, etc.). Hier geht das Geld sozusagen in der großen Maschinerie unter und arbeitet für das Unternehmen. Du bekommst einfach irgendwann Dein versprochenes Produkt oder was auch immer. Das Unternehmen umgeht somit die Nachteile der klassischen Finanzierungsformen weitgehend, obwohl sie sie vermutlich problemlos hätten nutzen können.
Aus der Sicht des Unternehmens geht es also gar nicht so sehr um Risikovermeidung, sondern darum, die Nachteile der Fremdfinanzierung (laufende Verbindlichkeiten, Auskunftspflicht) und des Eigenkapitals (Mitsprache- und Auskunftsrechte) zu vermeiden. Die Herstellung der durch das Crowdfunding produzierten Waren ist hier Tagesgeschäft.
Ein ordentlich geführtes, etabliertes Unternehmen sollte kein Crowdfunding benötigen, um bspw. Personalgehälter zu bezahlen. Zudem wird das Personal am erwirtschafteten Gewinn im Normalfall nicht oder nur geringfügig beteiligt.
Vielleicht fällt mir später noch mehr dazu ein, aber ich denke, das reicht erst mal als Denkanstoß oder sogar Diskussionsansatz - in letzterem Fall sollten wir allerdings vielleicht lieber einen eigenen Faden aufmachen