Teil 2/2Es gab noch mehr Leute, denen Interesse Eriondo mit seinem auffälligen Gehabe und seinen imperialen Silbermünzen erregte. Einige ihrer Namen lernte ich erst später, aber der Einfachheit halber führe ich sie hier auf:
- Ein gewisser Luto, der sich hier einen Namen als Spagyrant gemacht hat. Ein Brauer von Tränken für mannigfaltige Zwecke, aber seine fleckige Arbeitskleidung hätte seine Herkunft aus der Alchemistengilde sowieso jedem aufmerksamen Beobachter verraten.
- Eine große, schlanke Gestalt namens Drak'Tharon mit der Gewandheit einer der großen Katzen. Seine Augen waren auffällig dunkel und sein Interesse an diesem Luto war offensichtlich groß.
- Ein auf den ersten Blick wenig auffälliges Mädchen das ich von der Straße kannte. Sie wurde von einem weißbepelzten Wesen begleitet das sie „Miez“ nannte. Für mich sah es aus wie ein weißer Bär, der zudem klaglos das Hab und Gut des Mächens trug. Ich lernte später, dass ihr Name Lauma war.
- Eine andere zerlumpte Gestalt, offenkundig ein junges Bettelmädchen. Sie hatte ich schon oft beobachtet, wie sie in der Schnecke ihrem Tagewerk nachging und ich wusste, dass man sie Rena nennt.
Rena wusste anscheinend, wo Donatus lebt und eilte voraus, um ihn nach dem Buch zu fragen. Eriondo konnte gerade noch mitteilen, dass man ihn und seinen stillen Begleiter in den Fünf Fässern antreffen könnte, dann war Rena auch schon um eine Windung der Schnecke verschwunden. Wir folgten ihr in angemessenerem Tempo.
Ich stellte unterwegs fest, dass die von Basima achtlos zurückgelassene Silbermünze nicht nur eine recht aktuelle Münze von Oben war, sondern dass die Flecken darauf nur aus einer Alchemistenwerkstatt stammen können.
Donatus kam tatsächlich an die Tür. Er hatte einen seiner besseren Tage und wart beinahe klar im Kopf. Er sagte zu, uns zu helfen. Meine Schwester weiß: Hier bot sich mir eine wohl einmalige Gelegenheit, mehr über ihn zu erfahren.
Wir wollten gerade den Weg zu den Fünf Fässern antreten, um unseren Auftraggeber zu treffen, da fiel etwas grün leuchtendes den Schacht hinab. Das Bettlermädchen war schon wieder die Erste, die die Spiralwindungen hinab eilte, auf den angesammelten Unrat dort unten und zum Kristall hin. Sie fand einen allem Anschein nach menschlichen, sauber abgetrennten Arm, allerdings gänzlich ohne Haut. Die verkrampfte Hand lies sich mit einer Mühe lösen und gab den Blick auf einen kleinen, etwa handlangen Stab - die Quelle des Leuchtens war eine eigentümlich warme Flüssigkeit im inneren des durchsichtigen Schaftes.
Donatus und die Nähe des Kristalls führten zu einer reichlich beunruhigenden SzeIch notierte mir nach dem Gespräch, dass anscheinend immer wieder Leichenteile ohne Haut gefunden worden. Das war mir bislang nicht untergekommen.
Oh, dieser Drak'Tharon scheint mir in vielerlei Hinsicht so unwissend wie ein Kind und andererseits… außerordentlich gefährlich. Kannst du mir glauben, dass er Shalossa einen Handkuss gab und dann auch noch so ungeschickt war, ihre unirdische Haut mit seinen Lippen zu berühren? Offensichtlich hat ihm niemals jemand gelehrt, dass man Handkuss lediglich haucht. Du kannst mir nicht einmal vorwerfen, dass ich ihn nicht gewarnt hätte! Aber er schien nur ein wenig schockiert und rieb sich die Lippen. Einen Moment lang stand mir fast das Herz still. Man bedenke die möglichen Folgen! Shalossa hat es natürlich mit ihrer ganz eigenen Würde genommen, aber bei einem anderen Dæmon… nicht auszudenken.
Nach geraumer Zeit waren wir endlich in den Fünf Fässern angekommen - dabei handelt es sich um eine Art Taverne, die aus fünf großen Behältnissen zusammengebaut wurde. Die Bewohner des Unterhauses haben sie wohl als Fässer identifiziert. Deine und meine Ansprüche werden von diesem Etablissement so sehr unterschritten, dass unser Vater vor Entsetzen einen seiner Anfälle bekommen hätte. Dennoch trat ich ein und machte gute Miene zum bösen Spiel. Das wurde zunehmend schwieriger, als Donatus mitteilte, das gesuchte Buch - ein durchaus ungewöhnliches mechanisches Buch - nicht in seiner Sammlung zu haben. Er wüsste aber, wo es zu finden ist. Ich gebe zu, ich wurde ein wenig unruhig - hatte er vielleicht von meiner eigentlich gut verborgenen Sammlung gehört und wie hätte ich solch ein Kleinod vergessen können?
Donatus sprach dann aber doch nicht mich, sondern einen anderen Gast in den Fünf Fässern an, eine uns allen wohlbekannte Irrform: Eine ästhetisch recht besondere Figur und bekannter professioneller Informant: Man nannte ihn Lippe, wegen seiner enormen Unterlippe. Man würde ihn aber auch sonst niemals verwechseln, platziert er doch seine anscheinend beinlose kleine Gestalt auf einem weißlichen, augenlosen Insekt, welches ihn bereitwillig durch das Unterhaus trägt. Ich traue ihm nicht, geliebte Schwester - aber die anderen hegen wohl derlei Sorgen nicht.
Die Sache mit der guten Miene fiel mir noch schwerer als Lippe uns mitteilte, dass der „Schwarm“ - eine andere dieser unerfreulichen Banden, allerdings durchaus ernst zu nehmen - sich für die Schnecke interessiert. Generös wie Lippe nun einmal ist, bot er an uns vor einem Angriff des Schwarms zu warnen und noch dazu zu verraten, wo er das Buch vermutet.
Dazu müssten wir ihm nur einen kleinen Gefallen tun: In die Toten Augen hinabsteigen und dort für das Verschwinden einer allzu präsent werdenden Truppe von gewalttätigen Unruhestiftern zu sorgen, die unter dem Namen „Die Sauger“ bekannt waren - woher der Name stammt - ich gestehe, das würde ich gern wissen. Ihr Anführer war ein dem Vernehmen nach höchst unangenehmes Individuum namens Gambaal. Ich habe meine Vorbehalte gegenüber diesem Handel. Ich, ein gedungener Mörder? Wenn es so kommen sollte, wäre ich wahrlich tief gesunken und deine Abscheu hätte ich spätestens damit verdient. Ich habe aber das Gefühl, dass ich mitgehen sollte.
Verehrte Schwester, es sind unterhaltsame Zeiten im Unterhaus. Ich werde dir weiter berichten und wünschte mir, du könntest diese Zeilen lesen.
– Zhamas Xor,
der 61. seines Namens, Erhabener Erbe zweiten Ranges des träumenden Hauses Ellarion, Dekadenter Kartograph der schillernden Sphären von Lar, Exaltierter Gefährte der Unersättlichen Shalossa-Nhurdein verlorener Bruder.
Es geht bald weiter - vielleicht auch mit anderen Stimmen.