Da in Bezug auf Fiasko gerade ne Menge rumspekuliert wird, ob und wie traditionelle Systeme aktives Ruinieren der eigenen Charaktere behandeln, mal ein paar Erfahrungen eines Veteranen im Eigencharakterruinieren ("Ich habe schon meine eigenen Charakttere in den Ruin getrieben, da habt Ihr noch in die Windeln gesch..."
)
Viele traditionelle Systeme sind so aufgebaut, dass Spieler aktiv dazu motiviert werden den eigenen Charakter am Leben zu erhalten. Sehr häufig nicht nur zum nackten Überleben, sondern zum weiterentwickeln. Viele Systeme haben Optionen, die erst durch das Weiterentwickeln des Charakters freigeschaltet werden. Du musst für ne Menge Optionen Resourcen bezahlen, die Du Dir erst erspielen musst (Fähigkeiten, Moves, Raumschiffe, Superwaffen, usw.) Die Einkaufslisten welcher Art auch immer stehen da nicht umsonst im Regelsystem).
Und wenn diese Optionen schon ohne dass sie freigespielt werden müssen von Hause aus zur Verfügung stehen, dann werden sie sehr gerne zum Selbstausdruck verwendet. Wenn Du ne Riesenvor- und Nachteilliste hast, dann bist Du erstmal damit beschäftigt Deinen Charakter für Dich passend zu personalisieren. Wenn Dein Charakter dann Hopps geht, bist Du dann erstmal wieder damit beschäftigt einen für Dich personalisierten Charakter zu bauen.
Mindestens eine dieser beiden Motivationen findest Du übrigens in jedem traditionellen Rollenspiel. Egal ob D&D oder Traveller oder Shadowrun oder Cyperpunk oder sogar Call of Cthulhu. Überall sind die Regelsysteme so aufgebaut, dass Du belohnt wirst, wenn Du Deinen Charakter vorwärtsentwickelst. Ich persönlich kenne nur eine kleine Einschränkung: TORG hat die Märtyerkarte, bei dem Du als Spieler mit positiven Spotlight belohnt wirst, wenn Du dafür Deinen Charakter sterben lässt. Aber auch da bekommt der Charakter einen Heldenstatus durchs Sterben und wird nicht ruiniert. Aber immerhin.
Du musst also diesen Motivationen widerstehen, um einen Charakter zu spielen, der in den Ruin getrieben wird. Kann man machen. geht auch einwandfrei. Aber wie gesagt: Du musst damit bereits einen großen Teil des Regelsystems für Dich über Bord werfen. Wegfall vieler Optionen, weil Du sie nicht freischaltest. Charaktertod führt zu einem gehörigen Aufwand, weil Du dann einen neuen Charakter mit genauer Planung seiner mechanischem Umsetzung erstellen musst. usw.
Aber wie gesagt: Das ist durchaus machbar. Jetzt bedeutet aber, Dein Verhalten, dass Du aus Sicht der
anderen Spieler gegen die Motivationen im Spiel spielst. Sobald Du die ersten Aktionen machst, die Deinem eigenen Charakter zum Nachteil laufen, rieselt daher jede Menge Sand ins Regelgetriebe. Die anderen Spieler fangen dann nämlich an, wegen Dir "Deppen" um ihre Charaktere zu führchten. Schliesslich haben sie ihren Charakter mit viel Herzblut personalisiert oder wollen da noch jede Menge Sachen freispielen. Das führt dann sehr schnell zu korrektierenden Aktion (Ich habe mal mit einem Mitspieler ca. eine halbe Stunde auf einen SL einreden müssen, damit der Mitspieler meinen Charakter in die Sklaverei verkaufen konnte, ohne, dass mein Charakter gleich durch "günstige Umstände" wieder ins Spiel kam. Auch wurde ich, ohne mit meinen Aktionen andere Charaktere zu gefährden, als "Arschloch" bezeichnet und es gab jede Menge unnütze "Bestrafungsaktionen" gegen meine Charaktere. "Mein Samuraiassassine schleicht sich unsichtbar an Deinen Kender ran und schneidet Deinen Zopf ab! Ha! Jetzt hab ichs Dir gegeben!")
Beim Fiaskospielen gab es diese Probleme logischerweise nicht, weil das Regelsystem das ruinöse Ableben der Charaktere motviert.
Beim traditionellen Rollenspiel heisst es bei den anderen Spielern "Ich muss dringend diese Fähigkeit oder dieses tolle Gewehr besitzen" oder "Endlich hat mein Charakter genau die Fähigkeiten, die ich mir vorgestellt hatte" bei Fiasko "Cool. Mal sehen in welchen Ruin ich mein Arschloch führen kann!"
Ob dabei GNS verantwortlich ist, kann ich nicht beurteilen. Ich kann aber beurteilen, dass traditionelle Regelwerke Charaktersadisten leider nur Steine in den Weg legen. Kann man sportlch nehmen. Aber warum sollte man, wenn es leichter geht?