Ooohje...
Der Thread läuft Gefahr, eine willkürliche Diskussion mit vielen persönlichen Vorstellungen davon zu werden, was an den Settings denn nun ist "pulpig" sei und wird innerhalb der ersten 15 Posts in eine Diskussion darüber abgleiten, was denn Pulp generell ist.
Da wäre eine Definition eigentlich vorweg ganz gut. Das Problem ist: Eine Definition gibt es nicht. Pulp ist kein Genre. Pulp ist kein definierter (oder auch nur definierbarer) Begriff. Trotzdem kann der Versuch einer Eingrenzung ja durchaus hilfreich sein, um das Thema ein bisschen in der Spur zu halten. In der 'Welt' ist mal ein ganz interessanter Artikel dazu erschienen (
Was zum Henker ist eigentlich Pulp, auf den ich mich bei meinem folgenden Versuch einer Eingrenzung unter anderem beziehen werde...
Zum Hintergrund:
Pulp-Magazine, oft einfach nur Pulps genannt, waren Zeitschriftenmagazine mit literarischen Geschichten aus verschiedenen Literaturgattungen, die im Amerika der 1930er bis 1950er Jahre populär waren. Das erste Pulp war Frank Andrew Munseys Magazin Argosy 1896. Die meisten der wenigen noch produzierten Pulps fallen heute in die Genres Science-Fiction und Mystery. Der Name „Pulp“ leitet sich vom billigen, holzhaltigen Papier (engl. wood pulp, siehe Holzschliff) ab, auf dem die Magazine gedruckt wurden. Mit Pulp wird umgangssprachlich „Schund- und Trivialliteratur“ bezeichnet. Pulps waren die Nachfolger der Groschenromane des 19. Jahrhunderts. Zahlreiche angesehene Autoren haben für Pulps geschrieben. Sie sind heute aber vor allem für ihre sensationslüsternen, reißerischen Geschichten bekannt und werden als Schund- bzw. Trivialliteratur abgestempelt.
In der besten Zeit der Pulps kamen über 300 Heftreihen an die Zeitungsstände, viele davon monatlich, einige sogar vierzehntägig: Krimis, Horrors, Science Fiction, Fantasy, Western, exotische Abenteuer und Romanzen. Aber die Pulp-Magazine hatten nicht einfach die bunten Angebote der Dime Novels [Groschenromane, s.o.] anders verpackt und cleverer vertrieben. Die meisten und erst recht die besten der Pulptexte waren schneller, härter, greller, und gerade in den Krimiheften auch zynischer, ungemütlicher und pessimistischer.
Die Pulps reagierten nicht ausgestellt sensibel, aber doch deutlich auf den Ersten Weltkrieg, auf das Jazz Age, auf die große Wirtschaftskrise. In ihren Geschichten schwefelte das Gefühl, eine neue Welt öffne ihre Horizonte, gekoppelt an die Erkenntnis, eine alte Welt zerfalle gerade rasch zu Staub und Nostalgie.
Also erzählten die Pulps von Kerlen, die den Kurs ihres Schicksals mit beiden Fäusten selbst zu bestimmen versuchen, egal, welche Chancen ihnen die Buchmacher der Weltgeschicke einzuräumen bereit sind. Wem die simple Entrückung in Hinlangen-und-Durchsetzen-Abenteuer nicht genügte, dem boten die Pulps allerdings auch Abgründigeres: Geschichten, die sich aus der Unruhe speisten, dass Gewinnerfantasie und Wirklichkeit eben nicht zusammenfinden würden.
Aus dem Zitierten kann wird erkennbar, dass
Pulp kein Genre ist, sondern dass es Pulp in vielen Genres geben kann.
Davon abgesehen hat der Pulp aber zwei grobe Richtungen, in die er gehen kann:
Zum einen das Bunte, Schillernde, Grelle mit seinen
überlebensgroßen Helden, die durch (vorwiegend physische)
Action persönliche (nicht epische) Probleme bewältigen und selbst die Handlung voranbringen. Selbst wenn es mal um die Rettung der Welt ging, so setzen sich dabei doch nicht Armeen, Länder und Kontinente in Bewegung, sondern der Umfang bleibt deutlich kleiner. Dabei sind die Helden zwar "überlebensgroß", aber eben keine Superhelden.
Die zweite Stoßrichtung ist das düsterere, zynische, pessimistischere, das eher in Richtung "Noir" geht, mit weniger schwarz-weiß gezeichneten Charakteren. Das findet sich in den Pulps hauptsächlich in den Detektivgeschichten wieder. Ich denke, das zielt auch ganz bewusst auf die Kontrastwirkung zu den "bunten" Pulps und das Brechen mit den Erwartungen des (Pulp-) Publikums.
Was aber beiden Richtungen meiner Meinung nach gemein ist, ist die
Länge der Geschichten und damit zusammenhängend auch das
Tempo der Geschichten. Die Pulps haben keinen Raum und keine Zeit für das Langwierige, Ausschweifende. Unwichtiges wird gerafft oder gleich ganz ausgeblendet. Gerade Howard war Meister darin, in kurzen Texten, knappen Beschreibungen durch geschickte Wortwahl unglaublich evokativ zu schreiben. Jemand hat mal über ihn gesagt, er beschreibe seine Welt mit dem Tunnelblick eines Teenagers, und das passt ziemlich gut. Alles nötige wird sehr konzentriert und plakativ dargestellt, alles Unnötige weggelassen. Außerhalb dessen, was der Protagonist sieht und wahrnimmt, wird nichts beschrieben. Das steht in krassem Gegensatz zu beispielsweise Tolkiens Exkursen.
Vom textlichen Umfang und der erzählten Zeit sind die Pulps deutlich
übersichtlicher. Und Actionlastiger - in dem Sinne, dass die Figuren eben
Handeln, nicht zögernoder nachdenken. Selbst wenn sie reagieren haben ihre Aktionen
direktere Konsequenzen, keine langfristigen. Sie bringen die Handlung voran. Elaborierte Pläne reiften - wenn sie denn in den Pulps überhaupt vorkommen - außerhalb der Geschichten und kommen in der Geschichte selbst
direkt zur Ausführung oder besser zum Finale. Die Dinge geschehen rascher, oft überstürzen sie sich. Selbst die Detektivgeschichten im Noir Genre halten sich mit ihren verschiedenen Grauschattierungen nicht allzu lange auf. Von Raymond Chandler stammt das berühmte Zitat:
"In writing a novel, when in doubt, have two guys come through the door with guns."
Eine Reisebeschreibung, wie sie sich beispielsweise in Tolkiens "Herrn der Ringe" wiederholt findet, wäre im Pulp undenkbar (man vergleiche Tolkiens Passagen über Frodo und Sam in Mordor mit den Flugzeugszenen in Indiana Jones.
)
Darüber hinaus sind die Geschichten oft in sich abgeschlossen. Die pulps haben häufiger einen episodenhaften, als einen epischen Aufbau. Also eher durch die selben Hauptcharaktere miteinander verbundene Geschichten, als lange, epische Plots.
Neben der Länge des Textes und der Handlung sind auch die dramatis personae deutlich übersichtlicher. Die Anzahl der Charaktere ist natürlich auch der ursprünglichen Erscheinungsform geschuldet. Ganz allgemein haben die Pulps deutlich weniger beteiligte Figuren. Das bedeutet nicht, dass immer auch nur wenige Menschen in der Geschichte von den Konflikten
betroffen sind - aber
direkt daran beteiligt sind eben nicht so viele. Bei Conan kann es um eine ganze Stadt gehen, oder eine ganze Region, die unter den Konsequenzen einer Geschichte leidet, aber aktiv an der Geschichten beteiligt sind eben nur wenige. Auch gibt es meist nur einen Haupt-Handlungsstrang.
Die
Konflikte sind
direkter, die Methoden und die Kontraste zwischen Protagonisten und Antagonisten klarer, unvereinbarer, unmittelbarer. Häufig nicht mal wegen der Ziele, sondern allein schon wegen der Haltung der Figuren. Kompromisse zu einer Auseinandersetzung gibt es eigentlich kaum, und in den Erzählungen steckt (wie Stephen King mal über Howard sagte) "eine so unglaubliche Energie, dass geradezu Funken sprühen".
Außerdem haben beide Richtungen das
Reißerische gemein (die Definition von Reißerisch ist hierbei nach dem Wiktionary: "wirkungsvoll auf billige Effekte, Sensationslust setzend"). Es ist also in seinen Kommunikations- und stilistischen Mitteln deutlicher und plakativer. Leichter nachvollziehbar und eher auf Emotionen als die Ratio abzielend. Es arbeitet weniger mit Andeutungen und zielt weniger auf niveauvolle, subtile, und differenzierte Darstellung ab, als auf schnell zu schreibende, aber auch schnell zu lesende, Lektüre ab. Die "bunten" Pulps sind dabei häufig exotischer, sowohl von den Handlungsorten, als auch von den Charakteren und Ereignissen, aber auch die Detektiv-Pulps bedienen sich bei aller Graustufung solcher Mittel, gerade was die Charaktere und deren "schockierendes", ungewöhnliches Verhalten angeht.
Lester Dent (Autor von Doc Savage) hat in seinem "Pulp Master Plot" geschrieben, man brauch Folgendes für eine Pulp Story:
1. A DIFFERENT MURDER METHOD FOR VILLAIN TO USE
2. A DIFFERENT THING FOR VILLAIN TO BE SEEKING
3. A DIFFERENT LOCALE
4. A MENACE WHICH IS TO HANG LIKE A CLOUD OVER HERO
Daran sieht man schln, dass „normal“ bei den Pulps eben nicht genügt. Es muss schon besonders sein. Er hat auch etwas interessantes darüber geschrieben, wie man gerade bei Orten etwas mehr Lokalkolorit reinbringt, ohne auszuschweifen:
Here's a nifty much used in faking local color. For a story laid in Egypt, say, author finds a book titled "Conversational Egyptian Easily Learned," or something like that. He wants a character to ask in Egyptian, "What's the matter?" He looks in the book and finds, "El khabar, eyh?" To keep the reader from getting dizzy, it's perhaps wise to make it clear in some fashion, just what that means. Occasionally the text will tell this, or someone can repeat it in English. But it's a doubtful move to stop and tell the reader in so many words the English translation.
The writer learns they have palm trees in Egypt. He looks in the book, finds the Egyptian for palm trees, and uses that. This kids editors and readers into thinking he knows something about Egypt.
Damit steht er im krassen Gegensatz zu (schon wieder) Tolkien, der ganze Sprachen entwickelt hat.
Dent warnt allerdings auch davon,
zu abgefahren zu werden, so dass der reine Grad an "Abgefahrenheit" kein linear zu gewichener Faktor bei der Bestimmung von Pulp ist. Die Elemente der Geschichte sollten nicht alltäglich sein, aber auch nicht total abgedreht, gerade so, dass das Publikum (in den Pulps die Leser, in pulpigen Rollenspielen die Spieler und Charaktere) immer wieder etwas neues erleben, gerade so außerhalb ihres Erfahrungshorizontes:
Probably it won't do a lot of good to be too odd, fanciful or grotesque with murder methods.
The different thing for the villain to be after might be something other than jewels, the stolen bank loot, the pearls, or some other old ones.
Here, again one might get too bizarre.
Puh! Soweit erst mal zur Eingrenzung. Zusammenfassend muss man sich im Bezug auf Rollenspielsettings also folgende Fragen stellen:
- Wie "reißerisch" ist das Setting? Versucht es, neue, ungewohnte, aufsehenerregende, ANDERE Ereignisse, Schurken und Orte einzubringen?
- Wie plakativ / detailliert ist das Setting? Arbeitet es mit den "Breiten Pinselstrichen" eines Robert E. Howard / Lester Dent oder zeichnet es eher elaborierte, nuancierte Landschaftsgemälde mit feinem Pinselstrich wie Tolkien?
- Wie viel "Energie" haben die Geschichten? Wie stark ist der Kontrast, aber auch der Konflikt innerhalb der Geschichten? Wie schnell (nicht einfach!) und wie actionlastig können die Konflikte gelöst werden? Wie kompromisslos und klar sind die Opponenten in ihren Zielen und Methoden?
- Wie "episch" sind die Konflikte? Wie viele Leute sind Involviert (nicht: betroffen!)
- Wie lang sind die Geschichten/Abenteuer/Kampagnen? Sowohl vom Umfang des Textes/Abenteuers als auch von der erzählten Zeit, der Menge und dem Ausmaß der Ereignisse.
Ich denke, je
direkter, reißerischer und plakativer ein Setting aufgebaut ist, je stärker/krasser die Konflikte sind und je klarer die Methoden der Beteiligten; je konzentrierter und fokussierter die Geschichten (Anzahl der Beteiligten, Konzentration auf das für die Action Wesentliche, Zeitrahmen/Umfang), desto "pulpiger" ist ein Setting. Insgesamt ist die "
Direktheit" denke ich ein entscheidendes Kriterium: Pulps sind direkter in ihrer Sprache, in der Handlung, die Figuren sind direkter beteiligt. Es geht eben schneller zur Sache.
Paul „Wiggy“ Wade Williams hat mal ein sehr passendes Zitat zu Leagues of Adventure gebracht. Ich such das bei Gelegenheit mal raus. Es ging so im Sinne von „macht nicht den Fehler und spielt jeden Tag der Dschungelexpedition aus. Sagt nicht
„Tag 1: „Haben heute besonders schnell Feuer gemacht“ ,
„Tag 2: Haben einen seltenen Schmetterling entdeckt“,
„Tag 3: habe einen Brief an meine Frau zu Hause geschrieben“,
sondern eher:
„Tag 6: Raubsaurier haben die Träger gefressen, wir müssen mit doppeltem Gepäck weiter.“
„Tag 12 - haben alle Ausrüstung auf der Flucht vor den Dinos beim Sturz von den Wasserfällen verloren."
„Tag 20: Hitze, Erschöpfung, Durst. kann nicht mehr. Habe beschlossen, mich von den Sauriern fressen zu lassen.“
Letztlich sind das aber alles Dinge, die ein Setting zwar fördern kann, aber die ganz stark auch davon abhängen, wie man es als SL und Gruppe bespielt. Zugegeben, DSA pulpig zu spielen erfordert sicherlich einige Mühen und einiges Umdenken. Aber andersherum kann ich Hollow Earth Expedition auch als relativ nüchterne Archäologie-Runde spielen. Generell hat man da bei Settings schon Spielraum. Je nachdem wie leicht es einem gemacht wird, diesen Spielraum auszunutzen, desto eher kann man ein Setting "Pulp" nennen. Auch wenn es unterschiedlichen Gruppen beim Bespielen ganz unterschiedlich pulpig vorkommt. Was dem einen sein Pulp-Setting ist dem anderen sein Historiendrama / Verschwörungstheorie- / Mystery-Setting.
Ich hoffe, der Exkurs war insgesamt ein Bisschen hilfreich, eine gemeinsamere Basis zu schaffen, wenn man über Pulp redet, auch wenn es keine alpgemeingültige Definition geben kann. Man hat nun zumindest Kriterien dafür, warum man ein Setting für sich für pulpig hält, denke ich.