Wieso gibt es Essenz?
Als Instrument der Spielbalance. Man kann eben nicht der vollvercyberte, magisch begabte Superkämpfer sein.
Wie machen es andere (Kauf-)Systeme?
Überall muss man mit irgendeiner Form von Bastelpunkten bezahlen und wenn man sie für das eine ausgibt, hat man sie für das andere nicht mehr.
Es gibt also sowieso keinen, der alles supertoll kann. Immer muss man entscheiden, ob man A oder B richtig gut kann oder beides ein bisschen.
Würde man das ganze Thema Essenz in spielmechanischer Hinsicht komplett weglassen - was würde passieren?
Bei den "reinen" Erwachten würde sich ohnehin nichts ändern und bei den Messerklauen und sonstigen Cybergestalten könnte man sich die Zahlenspielereien mit verschiedenen Qualitätsstufen usw. sparen (bezeichnenderweise macht kaum ein anderes System seinen Cyberkram in dieser Hinsicht so wie SR).
Die einzige neue bzw. verstärkte Erscheinung beim Wegfall von Essenz wären Mischformen von Magie und Cyberware, die sich (wie momentan auch v.A. im Bereich der Gesamtkosten von weniger als einem Essenzpunkt) hauptsächlich daran bemessen, was man in welcher Ecke billiger und/oder leistungsfähiger abgreifen kann.
Im nächsten Schritt könnte man diese Sachen dann vereinheitlichen, so dass z.B. ein Punkt Stärke oder zwei Stufen Initiativerbesserung aus magischer und technologischer oder sogar mundaner (wo sinnvoll - auch wenn das aktuelle SR da schon an ein paar Stellen übers Ziel hinausgeschossen ist in dem verqueren Versuch, Mundane als vollwertige dritte Wahl zu etablieren) Quelle das Selbe kosten.
Die Unterscheidung wäre dann nur noch reiner Fluff; so habe ich das für alle meine bisherigen SR-Konversionen auch gehalten.
Mich persönlich reizt die aktuelle Art der Zahlenschieberei bei SR nämlich kein bisschen - da geht es nur darum, den Umstand auszunutzen, dass die Autoren an vielen Stellen nicht gerechnet oder sauber verglichen haben, was direkt zueinander in Konkurrenz steht.
Vielleicht ist folgender Gedanke noch erhellend:
Warum "darf" eigentlich der Erwachte seinen Magiewert theoretisch ins Unendliche steigern und der Samurai muss umgekehrt den Weg der Miniaturisierung gehen und für immer mehr Geld Zeug mit immer kleineren Essenzkosten kaufen, um unterhalb seiner festen Grenze zu bleiben?
Welchen Mehrwert habe ich davon und steht der im Verhältnis zu den Nachteilen, allen voran einem unnötig kniffligen Balancing, wo Balancing doch der Hauptgrund für die ganze Essenzmechanik ist?
Warum nicht vereinheitlichen - also entweder
keine Magiesteigerung für Erwachte oder
Essenzsteigerung für alle?
Und wenn man es schon einheitlich macht, warum dann den Umweg nicht ganz weglassen und alles direkt mit XP bezahlen?
Damit würde man auch das liebe Geld von seiner eigenen Doppelstellung befreien. Das ist nämlich zugleich Spielweltsimulation und Belohnungsmechanismus für die Cyberfritzen und leidet noch mehr darunter als das Thema Essenz.
Man versuche mal als Samurai, aus eigenem Antrieb heraus hochwertigste Cyberware zu stehlen und beobachte, wie sich der SL dagegen sperren
muss, weil man ansonsten das Geld als "Wachstumsregler" in einer Weise umgeht, wie es mit Karma nicht möglich ist.
Kurz:
Mir fallen auf Anhieb zwei Systeme mit einer solchen Balancing-Mechanik ein, nämlich SR und CP2020 (wo ich das übrigens trotz des gerade in Richtung SR versprühten Giftes hinsichtlich ingame-Erklärung und praktischer Auswirkung auf den Charaktererstellungsprozess
noch bekloppter finde).
Andere Systeme von GURPS über Traveller zu FFG-40K, Corporation und Coriolis geben sich diesen Umweg beim Thema Cyberware einfach mal überhaupt nicht und funktionieren "trotzdem" einwandfrei.
Zudem sehe ich es kritisch wenn eine Spiele Mechanik sich auch im bespielten Hintergrund wiederfindet. Denn so kommt es zu mehr Mißverständnissen und nterpretationen.
Es gibt Systeme, bei denen diese Verbindung sehr gut klappt. Das ist mMn ein rein handwerkliches, kein grundsätzliches Problem.
Aber ja, SR hat da eine ganze Menge Baustellen im Bereich Essenz und Magie(theorie). Wenn ich mir allein Konstrukte anschaue wie "Magier können durch Cyberaugen zaubern, weil sie dafür ja Essenz bezahlt haben"...so was braucht echt keine Sau. Wenn man sich in solche Sphären verstiegen hat, muss der Rotstift angesetzt werden.
Dass das nicht rund läuft, sieht man ja allein schon daran, dass manche Dinge keine Essenz kosten, die anhand der ingame-Erklärung fett Essenz kosten müssten (aber nichts taugen bzw. reine Fluff-Elemente sind und damit
nicht balanciert werden müssen) und man andererseits großzügigerweise den Streetsams erlaubt, nach Ausbau von Cyberware X zwar keine Essenz zurück zu bekommen (weil das per ingame-Konzept so festgelegt ist), aber die entstandene Lücke mit etwas völlig anderem zu füllen - weil der Samurai sonst komplett gekniffen ist.
An solchen Dingen sieht man mMn eindeutig, wie unsinnig die Essenz-Hybridkonstruktion von Balancing- und Setting-Element ist.
Würde man sich klar für eins entscheiden, würde es in beide Richtungen nur besser werden.
oder noch besser: Wofür könnte sie (noch) stehen?
Wenn Essenz trotz der mMn schlüssigen Gegenargumente schon drinbleiben und als ingame-Konzept weiter bestehen soll, dann will ich die Trennung von Magie und Cyberware auch durchgehend und relevant haben.
Dann sollen z.B. stark vercyberte Personen
mindestens schwerer per Magie zu entdecken, lieber aber
grundsätzlich schwerer zu verzaubern sein (Randbemerkung dazu: wer betreibt denn "traditionell" in Märchen und Volksglauben irgendwelche Schutzversuche gegen Magie? Richtig, die
Nichtmagier - das macht SR grundsätzlich anders und mir ist nicht ganz klar, warum. Ist aber ein eigenes Thema (wert?
)).
Dann dürfen die Nachteile niedriger Essenz gerne
richtig heftig werden, dafür aber auch die völlig anders gelagerten Vorteile so groß, dass der Anreiz trotzdem da ist.
Momentan empfinde ich die spielmechanischen Nachteile eher als kleines Zugeständnis an die Fluff- bzw. ingame-Seite und auf der anderen Seite hat Cyberware im Vergleich zur Alternative keine sonderlich große Lockwirkung - die seit Jahrzehnten immer wieder bemängelte Erwachtenschwemme kommt ja nicht von ungefähr.
(Und ein bisschen von Essenz weg zum allgemeinen Thema Erwachte vs. Vercyberte:)
Dann soll es gar keine Mischformen geben und dafür auf beiden Seiten Fähigkeiten, die der anderen Seite nicht in äquivalenter Form zugänglich sind.
Die Entwicklung über die Editionen war aber genau andersrum und man hat sich ein gutes Stück angenähert (speziell was den Direktvergleich Adept und Streetsam angeht), ist aber eben nie den Schritt zur echten Vereinheitlichung gegangen und hat unsinnige Kosten- und Fähigkeitsunterschiede drin gelassen, die noch nicht mal atmosphärisch passend sind, sondern nur die "Stimmungsspieler" benachteiligen, wenn sie nicht den kosteneffizientesten Weg gehen.
Ich persönlich bin wie geschrieben eher für eine Vereinheitlichung, aber auch eine deutlichere Trennung wäre mMn ein Fortschritt. SR hat sowieso schon immer ein Klassensystem und Nischenschutz durch die Hintertür gehabt - entweder schmeißt man das komplett raus oder man steht offen dazu und nutzt so wenigstens auch die Vorteile, die dieser Ansatz bringt.
Im Moment hat man an manchen Stellen das Schlechteste aus beiden Welten.