Da Mike Krzywik-Groß die Kommentarfunktion (verständlicherweise) ausgeschaltet habe, antworte ich ihm mal hier, auch wenn er es hier vermutlich nie lesen wird.
Lieber Mike,
ein Freund von mir meinte kürzlich so ungefähr, dass du ziemlich knorke bist und unter anderem deshalb mache ich mir hier mit diesem Post etwas Mühe.
Vorab: Ich gehe mit dem Thema in aller Regel relativ unaufgeregt um und beurteile Menschen in aller Regel auch nicht allein anhand ihrer politischen Meinung (die müsste dann schon ziemlich extrem sein). Ich muss deshalb auch nicht mit allen auf einen Nenner kommen.
Verrückte Tage
Mein Blog hatte in den letzten Tagen mehr als 5000 Aufrufe. Hunderte Foreneinträge und Beiträge wurden in den Sozialen Netzwerken geschrieben. Ich erhielt warme Worte von (ehemaligen) Ulisses-Mitarbeitern und darüber hinaus Zustimmungen von Menschen, mit denen ich schon viele Jahre nicht mehr gesprochen hatte. Rollenspielautoren nahmen sich den Vorfall zu Herzen und kündigten an, homosexuelle Figuren in ihre Texte zu schreiben und Blogger wollen nun nicht mehr über DSA berichten. Mich erreichten Solidaritätsbekundungen von mehreren Illustrator*innen sowie ein Jobangebot von einem Verlag, für den ich bisher noch nicht gearbeitet habe. Ich erhielt bestürzte Mitteilungen von Menschen, die fassungslos auf die Veröffentlichung „Wege der Vereinigung“ blickten, sowie liebevolle und kämpferische Wortmeldungen. Euch allen vielen, vielen Dank.
Herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Feedback, der Unterstützung und dem Erfolg. Freut mich für dich.
Kritik an der Kritik
Natürlich gab es auch Gegenwind. Das war zu erwarten, wenngleich mich der offene Sprachjargon der alt-right Bewegung und Pegida / AfD-Sprech doch zusammenzucken ließ. Es sind wenige dieser Stimmen, aber sie sind laut und deutlich. Ein Problem für die Community.
Selbstredend erhielt ich den Vorwurf der Profilierung, wie er wohl immer genannt wird, wenn man für sein Anliegen die Öffentlichkeit sucht. Wer mich kennt, meine Arbeit oder auch nur meinen Blog verfolgt, hat ein ziemlich genaues Bild davon, dass ich meine Überzeugung klar und deutlich artikuliere. Mein letzter Blogbeitrag war nicht meine erste gesellschaftspolitische Wortmeldung und nicht meine letzte. Natürlich geht es auch in diesem Fall um die konkret von mir formulierten Punkte und nicht um Scheingefechte, Verschwörungstheorien oder gar simples Nachtreten. Für solche Spielereien gibt es schlichtweg keinen Grund, und derartige Behauptungen dienen lediglich der Bagatellisierung der geäußerten Kritik.
Hier hätte ich mir gewünscht, dass du vielleicht auch mal auf die Kritik bzw. die Kritiker eingehst. Mich interessiert als Leser deines Blogs durchaus, ob und inwieweit du dir über die Kritik an deiner Kritik Gedanken gemacht hast. Gab es sowas wie eine Reflexion bei dir?
Auch wenn du schreibst, die Alt-right/AfD/Pegida-Schreie wären nur "wenige Stimmen" gewesen, geht das etwas unter. Ich gewinne beim Lesen des Absatzes den Eindruck, als wäre eher die Mehrheit der Gegner deiner Kritik pöbelnde Idioten gewesen. So empfinde ich das nicht. Ich selbst pöbele ja gerne rum, aber es gab durchaus auch sachliche Kritik an deiner Kritik.
Ich bin doch kein Rassist, aber…
Die Unkenntnis vieler Stimmen zu den Themen Sexismus und Rassismus hatte mich etwas erschreckt. Diskriminierung ist durchaus wissenschaftlich behandelt, und in der heutigen Zeit sollte es keine große Schwierigkeit sein, um auf entsprechende Erkenntnis zuzugreifen. Dabei will ich nicht ausblenden, dass z. B. Rassismus ein komplexes und schwer zugängliches Thema ist, welches ich sicherlich nicht in diesem Beitrag (er-)klären kann. Und doch habe ich die Hoffnung, dass sich die eine oder der andere auf den Weg macht, um es für sich zu entdecken. Erlaubt mir zwei kurze, inhaltliche Impulse.
Bei rassistischem Verhalten ist die Intention irrelevant. (Zweimal durchatmen und den Satz bitte noch einmal lesen). Ja, genau. Es interessiert schlichtweg nicht, warum jemand rassistische Stereotypen benennt oder gar publiziert. Ein schlechter Witz oder Boshaftigkeit? Völlig egal! In der Rassismusforschung wird davon ausgegangen, dass die Intention für die Wirkungsmacht der geäußerten Diskriminierung weitgehend keine Rolle spielt. Sehr wohl jedoch die Akzeptanz der Gesellschaft für derlei Diskriminierungen. Vielleicht ändert dieser Umstand die eine oder Bewertung der Debatte.
Rassismus ist ein System, welches bestimmte Menschen diskriminiert und der Mehrheitsgesellschaft Privilegien gewährt, zu denen People of Color keinen Zugang erhalten. Menschen in diesem System abzuwerten, weil man sie mit animalischen (und weniger intelligenten) Attributen markiert, ist rassistisches Handeln.
Das System Rassismus fängt im Kopf, in der Sprache und in den Büchern an, wo herabwürdigende, auf kolonialem Boden konstruierte Stereotypen gebildet werden, und nicht erst bei einem Brandanschlag oder Ertrinkenden im Mittelmeer. Das System Rassismus hat Auswirkungen auf Biographien, Karrierechancen, gesellschaftliche Teilhabe, psychische Gesundheit und körperliche Unversehrtheit. Deshalb ist es wichtig, ebendieses System an den Stellen zu benennen, wo es sich zeigt, selbst wenn es eine fragwürdige Spielhilfe für ein von mir geliebtes Rollenspiel ist.
Ich finde diesen Abschnitt insgesamt gut und es ist auch m. E. richtig, hier nochmal kurz in die Materie einzusteigen (auch wenn manche das als oberlehrerhaft empfinden werden).
Aber mich stören einige Aspekte:
1. Das Thema wird wissenschaftlich behandelt, ja. Aber gibt es bei einer wissenschaftlichen Behandlung und Forschung so ein eindeutiges Ergebnis? Keine Gegenstimmen, keine anderen wissenschaftlichen Thesen? Ich als Laie finde das merkwürdig.
2. Innerhalb dieses Abschnittes müsste m. E. erklärt werden, wie man von der Attributierung von Menschen in einem fiktiven Setting zum realweltlichen Rassismus kommt. "Isso" reicht mir da nicht. Ich glaube kaum, dass es da einen einheitlichen "wissenschaftlichen" Stand zu gibt. Gerade in der größten Branche, die das betrifft, der Filmbranche, wird ja auch gerne darüber diskutiert. Das ist eine Hürde, die noch mit Argumenten genommen werden müsste - falls das überhaupt geht. Ich bin mir da nicht so sicher. Wie nah müssen die fiktiven Menschen den realweltlichen sein, dass eine Übertragung möglich ist. Kann ich die als triebhaft bezeichneten Orks in DSA oder anderen Settings schon als Stereotyp bestimmter realweltlicher Menschengruppen auffassen? Ab wann konnte der nichtschwarze Moha dem schwarzen Menschen in der Realität gleichgesetzt werden?
3. Was ist mit denen, die sagen "Ja, weiß ich - ist mir aber egal" - so wie mir? Ich habe mich auch jahrelang mit Rassismus beschäftigt - oder sagen wir lieber: musste mich damit beschäftigen. Nicht wissenschaftlich natürlich. Hat nicht immer Spaß gemacht.
Das macht meine Aussagen übrigens weder besser noch schlechter. Wenn du mir einen guten rassistischen Witz erzählst (ich weiß, würdest du vermutlich nicht tun), werde ich darüber lachen. Was sagt das jetzt aus?
Konkret auf WdV bezogen heißt das: Dass die Mohas längere Pimmel haben, geht an mir komplett vorbei und ich hätte es vielleicht nie gesehen, wenn manche sich darüber nicht geäußert hätten. Vielleicht hätte ich es irgendwann von allein gemerkt. Dann hätte ich darüber gelacht und es Leuten erzählt, die auch darüber lachen können.
4. Wie beurteilst du den bewussten Umgang mir Rassismus in Rollenspielen, wenn man versuchen würde, den Stereotypen bewusst auszuweichen. Ich schreibe ein Abenteuer und lasse im Badehaus einen dunkelhäutigen Diener mit kleinem Penis auftreten. Wie wird das bewertet?
Kurzum zu diesem Abschnitt: Ich habe nicht das Gefühl, dass du diese Sichtweise, die ich und einige andere haben, verstanden hast oder überhaupt hören willst.
Deutungshoheit
Darüber hinaus finde ich es bemerkenswert, wer hier alles Rassismus zu beurteilen sucht. Wenn die Deutungshoheit ein so umstrittenes Gut ist, wie die Debatte in den Foren zeigt, dann bitte ich die Kritiker meiner Worte sich an Betroffene von Rassismus zu wenden. Ich meine dabei explizit nicht den besten Kumpel, sondern Organisationen wie z. B. die Initiative Schwarzen Menschen in Deutschland e.V. oder die Amadeu-Antonio-Stiftung. Es wäre sicherlich interessant, was sie zu Zitaten wie: „…sind die meisten Mohastämme recht gut mit den Zusammenhängen von Sexualität und Empfängnis vertraut – was sie sich vermutlich aus der eigenen Lebenserfahrung sowie aus der Beobachtung der sie umgebenen Natur abgeleitet haben.“ (Wege der Vereinigung, S.28). Dass hier der aus der Tierwelt bekannte Begriff der „Paarung“ verwendet wird, rundet die koloniale Perspektive ab.
Ganz schwierig. Du möchtest, dass deine Kritiker sich an eine Institution wenden, die bereits absolut auf deiner Linie ist (so lese ich das)? Finde ich maximal unglücklich. Wenn überhaupt, sollte man doch versuchen, sich dem Thema so neutral wie möglich zu nähern und sich dann eine Meinung zu bilden. Des Weiteren erweckst du den Eindruck der Homogenität der beiden Institutionen. Für die Amadeu-Stiftung mag das noch eher gelten (kenne ich nur flüchtig), aber die Initiative Schwarze Menschen? Puh. Mit Inhalten der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland habe ich mich längere Zeit auseinandergesetzt, natürlich weil sie auch meine Positionen teilweise vertreten und ich mich fragte, ob sie mich insgesamt vertreten. Schwierige Sache. Ich sage es mal ganz flapsig: Die können sich nicht mal auf die Farbe von Scheiße einigen.
Deutungshoheit kriegen die von mir jedenfalls nicht oder anders gesagt: Deutungshoheit über Rassismus gibt es nicht und wenn, sollten sie alle haben.
Spoiler zu den Buchtipps, die ich im Gegenzug auch gebe, da das ziemlich OT ist.
Ein letzter Tipp
Ich empfehle, wenn sich jemand mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen möchte, die Bücher „Exit Racism“ von Tupoka Ogette oder „Deutschland Schwarz Weiß“ von Noah Sow. Beide Werke können sehr hilfreich sein, um sich in die Auseinandersetzung mit (dem eigenen) Rassismus und den eigenen Privilegien zu begeben. Beide Frauen geben übrigens auch Workshops zu rassismuskritischem Handeln.
Was bleibt, ist mein Dank an die vielen engagierten Menschen, die sich aus dem gemütlichen Happyland gewagt haben, um sich lebhaft an der Auseinandersetzung zu beteiligen.
Grundsätzlich finde ich solche Tipps gut. Ich werde mich mal über beide Bücher informieren und sie gegebenenfalls lesen. Da das nun endgültig OT ist, nur noch schnell ein paar Buchtipps für dich, denn diese von mir genannten Bücher unterstützen mit Sicherheit deine Argumente Rassismus betreffend, sie geben dir aber auch mal eine völlig andere - nämlich unwissenschaftliche - Sichtweise von Leute, die mit Sicherheit keine saubere Universität-Definition von Rassismus hinbekommen würden. Es hilft dir vielleicht, Leute wie mich zu verstehen.
1. Ray - Die Autobiographie von Ray Charles. Ein sehr unwissenschaftlicher, persönlicher Umgang mit Rassismus.
2. Malcolm X - die Sichtweise eines Mannes, der seinerzeit separatistische und rassistische Ansichten der Nation of Islam übernommen hatte
3. Assata Shakur (Tante von Tupac) - ziemlich radikale und teilweise militante Aktivistin des schwarzen Widerstandes "von der Straße"
4. Pimp - Iceberg Slims Mileubiographie der 40er Jahre. Rassismus und Sexismus pur, letzteres v. a. von ihm selbst (als Zuhälter logisch)
Das war´s erstmal.
Viele Grüße
Hotze aka Patrick