Jedesmal wenn ich mich in den letzten 30 Jahren damit beschäftigt habe, war ich einerseits fasziniert von der "mythischen Welt" mit dem Himmelsdom, usw, aber gleichzeitig hatte ich keinerlei Ahnung wo ich anfangen sollte, weil man gleich von allen Seiten mit diesem leicht elitistischen "ES IST EXTREMST KOMPLIZIERT! DU MUSST ABER ALLES VERSTEHEN BEVOR DU SPIELEN KANNST! " beworfen wird wenn man mal frägt, und dann drauf in Folge mit 30 Land- und Städtenamen, speziellen Ausdrücken und metaphysischen Konzepten, seltsamen Kulten und ca 45 Götternamen. Und dann kommt noch wer mit Enten.
Ich erlebe mit Glorantha gerade tatsächlich etwas ähnliches wie bei meiner großen Lebensliebe zu den Grateful Dead. Meine erste ernsthafte Berührung damit hatte ich vor eineinhalb Jahren oder so. Da hat Jeff Richard bei uns im Otherland eine Playtestrunde starten wollen. Es saßen zehn Spieler am Tisch, und wir kamen mit Ach und Krach durch die wunderschöne Charaktererschaffung von RQ:G. Jeff hat uns mitreißend in die Welt der Sartarclans eingeführt. Als in seinem Abriss der jüngsten Vergangenheit die Karmesinrote Fledermaus auftauchte und später gar der kilometerlange Drache, da wurde bei mir schon etwas angestoßen. Da merkte ich: Hier werden Drachen nicht nach Farben sortiert, hier geht es um mysthische Repräsentationen, Bilder. Hier werden Mythen nicht am Lagerfeuer erzählt, sondern sie sind Gegenwartsgeschehen.
Leider blieb es bei der einen Sitzung.
Aber wir haben mit Jason Durall dann eine kleinere Runde gestartet, die seither als Kampagne läuft. Und auch hier hat mich immer wieder fasziniert, wie unmittelbar und wörtlich all die Mythen, Götter, magischen Dinge usw gemeint sind.
Und seit ungefähr Oktober habe ich dann endlich angefangen, mich selbst einzulesen in die Welt. Meine Fresse, was geht da ab! Da stecken so viele kühne Ideen drin. Da steht ein viele hundert Meter hoher Steinklotz in der Wüste. Da gibt es einen Bleipalast im Land der Trolle. Da schürfen Zwerge unter Tage nach den Rohstoffen für ihre Dosennahrung. Da halten sich aufrecht gehende Tapire Menschen als Masttiere.
Ein einziger Trip. Und alles kommt mit einem schulterzuckenden Ernst daher. Is halt so. Ich spüre da nie die Attitüde, dass das besonders abgefahren oder albern sein will. Ne, is halt so. Als würde Greg Stafford die ganze Zeit sagen: ich weiß auch nicht, wieso da ein Steinklotz in der Wüste steht, aber er steht da.
Manches ist auch etwas mühsam, uneingängig. Klar. Aber das nächste Detail ist dann wieder so ein Aha. Und ich habe oft das Gefühl, dass dieses Glorantha irgendetwas mit mir macht oder von mir will. Dieses wohlige Eskapismusgefühl, das ich oft habe, wenn ich mich in Fantasysettings einlese, stellt sich bei Glorantha nicht ein. In anderen Welten tauchen mythische Figuren auf und werden dann zu schaurigem oder anheimelndem Kolorit. Bei Glorantha habe ich dagegen den Eindruck, hier würden Kachinas vor mich hintreten und sagen: Sprich mit uns, mach was mit uns, überleg dir mal, was du von uns hältst.
Sehr schnell habe ich auch etwas sehr Amerikanisches in Glorantha gesehen, und das hat mir Jeff Richards' Nachwort im Guide to Glorantha auch bestätigt. Die Landschaften in Drachenpass und Prax und insgesamt das Gefühl einer mythischen Landschaft spiegeln doch sehr den amerikanischen Westen mit seinen Kuriositäten wider. Shiprock, Mono Lake, Boneville Salt Flats, das sind alles Seelenverwandte Gloranthas.
Zu dem Gebrüll, das Grubentroll zitiert hat ("DU MUSST ABER ALLES VERSTEHEN BEVOR DU SPIELEN KANNST!"), würde ich aufgrund meines derzeitigen Lektürestands und meiner Erfahrungen sagen: Was gibt es denn da zu verstehen?