[EDIT: Link eingefügt]
[EDIT Blechpirat, 11.11.2021 - Hinweis auf Uhrwerk aus dem Titel gestrichen]
Der Kickstarter is live:
https://www.kickstarter.com/projects/58354395/record-of-dragon-war-ein-manga-fantasy-rpg/Ich bin nur skeptisch, was die Kombination Anime+OSR angeht.
Ich bin der letzte, der "Anime" und "Manga" als Genre bezeichnen würde; die Storys, Plots, Charaktere usw. sind einfach zu divers.
Prinzessin Mononoke, Kikis kleiner Lieferservice, Paranoia Agent, One-Punch Man sind tatsächlich nur umständlich mit OSR-Regeln darzustellen.
Produkt- und medienhistorisch ist die Verbindung OSR und Anime schon gegeben:
Record of Lodoss War ist die Nacherzählung einer D&D-Runde...
Kinoko Nasu (Schöpfer des "Nasuverse",
Garden of Sinners, Fate/stay night), Gen Urobuchi (
Fate/Zero, Psycho Pass, Puella Magi Madoka Magica), Ryohgo Narita (
Durarara!!) und andere Anime-Größen haben zusammen ein systemfreies, old-school-klischeehaftes RPG-Setting namens
Red Dragon geschaffen (ob sie auch selbst bespielt haben, weiß ich gerade nicht), aus dem der Anime
Chaos Dragon wurde.
OSR-Systeme sind gerade auf niedrigeren Levels sehr tödlich, verzeihen wenig Fehler und sind von den Fähigkeiten her bodenständig. (...)
Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Anime-Fans bei RP üblicherweise eher kompetente Figuren mit abgefahrenen Fähigkeiten spielen wollen.
Level-1-Hitpoints und Manga-Hauptfigur ist kein Widerspruch.
Das Grundrezept des Shonen ist doch der hitzköpfige Jungspund, der ein Talent/Interesse/Ziel hat, sich einen Rivalen ausguckt und - umgeben von treuen Freunden und Begleitern - über zig Kapitel immer stärker werdende Gegner überwindet. Seine Freunde lehren ihn den Wert von wahlweise Freundschaft, Demut und/oder Kooperation. Bis sie alle gemeinsam endlich stark genug sind, seinen Rivalen zu besiegen und er der Beste seiner Zunft werden kann. Und zwischendurch erlernt er neue Techniken und Kräfte.
Dieses Erzählmuster funktioniert mit
Ninjas so gut wie mit
Comiczeichnern.
Tatsächlich bildet ein Stufensystem wie D&D mit seinem "Zero-to-Hero" die Kompetenzenzwicklung von klassichen Shonen-Serien viel besser ab als die mancher westlicher Genre-Medien. Welche Kompetenzsprünge machen die Heroen im
Herrn der Ringe, Eis & Feuer, Elric, Conan, dem letzten Einhorn, Lyonesse, Erdsee?
Mit D&D (mit OSR-typischen Verhausregelungen) kann man diese Settings hingegen sehr gut bespielen:
Is it wrong to try to pick up Girls in a Dungeon?, Sword Art Online, Grimgar, Ashes & Illusion, Log Horizon, Slayers, Rune Soldier, .hack//, El-Hazard, Magic Knight Rayearth, Tsubasa -RESERVoir CHRoNiCLE-, Magi - The Labyrinth of Magic, Inu Yasha ...
Ja, es gibt auch Shonen-Serien, die speziellere Hauptfiguren haben (häufig "Sohn des Teufels" oder eines Dämons), aber selbst das ist sehr OSR-gemäß. In Gygax' und Arnesons Runde gab es Vampire und Balrogs als PCs.
Blue Exorcist (ist zwar Urban Fantasy, nicht die übliche High Fantasy) wäre durchaus OSR-konform.
Für mich ist das Zu-eigen-Machen des Spieles, also des Systems und des Settings, und die daraus erwachsende Do-it-yourself-Kultur ein
elementarer Bestandteil des Spiels der Alten Schule. Und ein Gewinn für die Community sowieso (wenn sie geteilt werden).
Die Tauglichkeit eines OSR-Systems für Anime-, Manga- oder
generell Medien-Hauptfiguren ausgerechnet an der geringen Kompetenz und damit einhergehenden erhöhten Sterblichkeitschance festzumachen, betrachte ich grundsätzlich als problematisch. Selbst in sehr tödlichen Medien-Settings sterben die Hauptfiguren trotz geringer Kompetenzen nicht - eben weil sie der Fokus ihrer Erzähler sind.
Das würde ja bedeuten, dass ein Zombie-Rollenspiel regeltechnisch gewährleisten müsste, dass einfache Polizisten, autistische Computerprogrammierer und unvernünftige Kinder garantiert 5, 6, 7 Staffeln überleben. Oder Hobbit-Gärtner ohne abenteuerrelevante Talente weltrettende Questen bestehen - und dabei auch noch schwächere Begleiter unterstützen, tragen und retten.
Wer Sicherheitsleinen braucht, driftet das OSR-System und startet auf höherem Level (
Dragonlance, Dark Sun), führt Fate Points oder gleich Plot-Immunität ein (Obscure Death, für-tot-gehalten-und-bewusstlos, 0 hp = außer Gefecht, Charaktertod kann nur mit Zustimmung des Spielers eintreten, wenn dieser es für storyopportun hält, o.ä.).
Das ist ja auch in moderneren Spielen, die passive Medienerlebnisse oder Genre-Tropes in Spielregeln gießen wollen, ein Mittel der Wahl.
That said...Es ist ja nicht so, dass Mangas immer nett mit ihren Heroen umgehen und Charaktertode nicht den Quellen entsprächen. Da fährt der Sensenmann bisweilen auch unerwartet dazwischen und killt links und rechts liebgewonnene Begleiter und vermeintliche Endlos-Lieblingsgegner. (Unter den ersten Mangas, die ich las, war Johji Manabes
Outlanders, eine niedlich gezeichnete Space Opera, die gar nicht niedlich ist.)
Das führt jetzt zu weit vom Thema weg, aber ich frage mich, ob der Schreck, die Überraschung, die Perplexität, das Den-Teppich-unter-den-Füßen-weggezogen-Bekommen unerwarteter Plotentwicklung (inklusive Tode vermeintlicher Hauptfiguren wie bei Martin) nicht auch Teil der Medienrezeption bestimmter Genres sind und deshalb Plot-Immunität geradezu unerwünscht und kontraproduktiv ist.
Vielleicht sollte ich dazu einen eigenen Thread aufmachen...