eine Sache hätte ich da noch...
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Die Zeit der vier StämmeEs könnte den Eindruck erwecken, als ob das 23. Jh. mit der Existenz von autonomen AI-Entitäten auf der einen und intelligenten Uplifts auf der anderen Seite der Spektren von belebter zu unbelebter Materie, von Mensch zu Maschine und von Tier zu Mensch zumindest jede Form des „traditionellen“ Rassismus doch wohl endgültig überwunden haben dürfte, aber dem ist leider nicht so. Zwar haben sich die Träume der klassischen Transhumanisten von der Singularität, dem mentalen „Upload“ und dem freien Wechsel zwischen Körpern bisher nicht erfüllt, doch dank der Errungenschaften der modernen Biotechnologie entstanden im Laufe des letzten halben Jahrhunderts drei eigenständige – von manchen als Subspezies bezeichnete – Untergruppierungen in den Homo Sapiens Populationen des besiedelten Sonnensystems. Während die Mitglieder dieser drei neuen Varianten zum Thema „Mensch“ vielerorts ein ganz normales und emanzipiertes Leben führen können, gibt es aber leider gleichzeitig massive Ressentiments bis hin zum blanken Rassismus gegenüber – aber auch zwischen – diesen „neuen Menschen“.
- Die
Aetherier: Der älteste der neuen „Stämme“ der Menschheit nahm seinen Anfang mit den ersten Generationen der reichen Prominenten und Ultra-Reichen der Jahrtausendwende, die sich zunächst noch mit primitiver kosmetischer Chirurgie und kruden pharmakologischen Hilfsmitteln zu fleischgewordenen Schönheitsidealen formen ließen. Doch nach zwei-drei Generationen hatte sich die Medizin und Biotechnologie ebenso weiterentwickelt wie der Ehrgeiz der Reichen und Schönen, die mehr und mehr entschlossen waren, das genaue Erscheinungsbild ihres perfekten, von Leihmüttern geborenen Nachwuchses nicht dem bloßen biologischen Zufall zu überlassen. Als Ergebnis dieser Bemühungen sind die Abkömmlinge der obersten Schichten der solaren Gesellschaft – und insbesondere die Nutznießer der älteren Vermögen – schon von weitem klar erkennbar: Männer und Frauen weisen einen massiven sexuellen Dimorphismus auf, der insbesondere in Größenunterschieden von fast einem halben Meter sowie dem völligen Fehlen von Körperbehaarung unterhalb von Mund und Ohren zum Ausdruck kommt. Beide Geschlechter sind auffällig hochgewachsen (im Schnitt etwa 195-220 cm bei Männern, 170-185 cm bei Frauen) und unglaublich schlank, verfügen über hohe Wangenknochen, große Augen und absolut makellose Zähne. Frauen haben außerdem permanent an hohes Schuhwerk angepasste Fußknochen, so dass sie ohne Probleme ihr Leben lang hochhackige Schuhe tragen können (und müssen). Das einzige echte Problem dieser „Aetherischen“ Erscheinungen ist ihre Unfähigkeit Fettreserven zu bilden und ihr mörderischer Stoffwechsel, der sie zwingt mindestens 7000-9000 kCal am Tag zu konsumieren, um eine lebensbedrohliche Unterenährung zu vermeiden – ein Problem, das viele Aetherier zunehmend auf stark Zucker- und Alkoholhaltige Getränke zurückgreifen lässt.
- Die
Gun-Yu: Anders als die Aetherier entstanden die Gun-Yu als ganz bewusste Schöpfung einer großen Gruppe von sogenannten Survivalists und Preppern, die in der nahen Zukunft der Menschheit eine das gesamte Sonnensystem verheerende Invasion feindlicher Aliens voraussahen. Dass ein wesentlicher Anteil dieser Gruppe außerdem von gewissen westlichen ultra-konservativen Ideologien geprägt war (und ist) zeigt sich außerdem schon in ihrer Ablehnung dieses Namens, der sich eigentlich auf einen alten chinesischen Flutmythos bezieht. Sie selbst bezeichnen sich und ihre Nachkommen lieber als Deukalier oder sogar Bergelmir und sehen sich als gleichzeitig verbesserte und ursprünglichere Variante des „dekadenten“ Homo Sapiens. Die ersten Gun-Yu enstanden kurz vor dem Bleep, in dessen Auftreten unzählige Preppergruppierungen eine Rechtfertigung ihrer Ideen sahen. Doch die wirklich extremen Ausformungen dieses neuen Menschentyps begannen erst mit den moderneren Methoden der genetischen Gestaltung, die ab der zweiten Hälfte des 22. Jh. den Markt eroberten. Die modernen Gun-Yu (von Kritikern manchmal als „Guns?! Yo!!“ verunglimpft) zeichnen sich außer durch den Besitz gut verborgener Bunkeranlagen und privater Waffenlager vor allem durch ihre ausgeprägte Muskulatur, eine relativ geringe Größe (Männer und Frauen sind selten über 170 cm und im Schnitt nur etwa 155-160 cm) und ihre ungewöhnlich pigmentierte Haut auf. Letztere ist entweder von einem stumpfen Aschgrau bis Weiß oder von einem intensiven dunklen Goldbraun. Dies verdanken sie einem patentieren Genkomplex, der sie ungemein widerstandsfähig gegen UV-Strahlung und bestimmte Formen von Radioaktivität macht, von dem aber behauptet wird, er wäre auch für ihren Hang zu eher rundlichen Formen oder gar leichtem Übergewicht verantwortlich. Die Gun-Yu sehen sich selbst hingegen nur als gute Futterverwerter und sind stolz darauf, dass sie im Mittel deutlich weniger Raum und Ressourcen beanspruchen als gewöhnliche Menschen.
- Die
Seleniden Der jüngste der neuen Stämme der Menschheit ist deutlich weniger homogen als seine Vorläufer, denn die Seleniden entstanden an mehreren Orten gleichzeitig und stehen eher für ein ganzes Spektrum physischer Besonderheiten, von denen die meisten bis vor kurzem auch keine echte genetische Basis hatten. Ihr Name suggeriert, dass die ersten von ihnen auf Luna heranwuchsen, aber die Seleniden selbst bevorzugen es meist ohnehin, sich selbst schlicht – und stolz – Pixies oder Faeries nennen. Anfänglich waren sie „nur“ die ersten Generationen, die in Raumstationen oder den Kolonien auf Mond, Mars und verschiedenen Monden und Asteroiden aufwuchsen oder dort sogar das Licht einer ganz und gar künstlichen Umwelt erblickt hatten. Doch nach und nach häuften sich kleine und größere Eingriffe – ob chirurgischer oder gentechnischer Art –, die dazu dienen sollten, den Nachkommen der Raumfahrer ein Leben im All zu erleichtern oder sogar erst zu ermöglichen. Heute erkennt man Seleniden an einem Körperbau, der sogar noch größer und schlanker werden kann als bei den Aetheriern (Männer und Frauen sind selten unter 185 cm), auch wenn Seleniden im Vergleich meist kürzere Beine und sehr lange Arme haben, selten muskulös wirken und Männer und Frauen zu einem eher androgynen Aussehen neigen. Moderne junge Seleniden, also solche, die in den letzten drei Jahrzehnten geboren wurden, sind außerdem von fast lackschwarzer Hautfarbe, hochgradig strahlungsresistent und können dank ihrer Greifzehen ihre Füße praktisch als zusätzliche Hände nutzen. Woher der stark verminderte Geruchs- und Geschmacksinn der Seleniden stammt ist hingegen umstritten, auch weil die Seleniden dies leugnen und nur von einer "Vorliebe für wirklich scharfes Essen“ sprechen.
Während im frühen 23.Jh. oft von den „vier menschlichen Stämmen“ geredet wird und dabei natürlich die überwältigende Mehrheit der „normalen“ Homo Sapiens mit dem vierten Stamm gemeint ist, behaupten einige Forscher und auch manche Politiker, dass sich schon längst ein anderer vierter Stamm – oder eben ein fünfter Stamm nach dieser Zählung – gebildet hat. Dieser Stamm sei wenigstens so alt wie derjenige der Aetherier, bilde dabei aber ihr genaues Gegenteil. Es handele sich bei diesem Stamm die Caeniden (abgeleitet von einem lateinischen Ausdruck für Schmutz): das Ergebnis einer gnadenlosen urbanen Evolution in den größten Slums der alten Gigacities, in denen die Ärmsten der Armen ständigem Mangel, Umweltgiften und physischer Gewalt ausgesetzt sind und waren. Die Caeniden sollen klein, sehnig und von brauner Hautfarbe sein, außerdem immun gegen unzählige Krankheiten und Parasiten, resistent gegen Gifte und fähig mit äußerst wenig Nahrung auszukommen. Viele halten die Caeniden allerdings für einen bloßen
urban myth, insbesondere wenn es um Geschichten über verborgene, von Caeniden beherrschte Stadtteile, Kannibalismus oder gar einen bis zum Niveau von Bluthunden gesteigerten Geruchssinn oder „Schlangenmenschen“ unter diesen mysteriösen Kreaturen geht.