Ich habe auf dem Treffen mal eine
Don't rest your head - Runde mit der Prämisse "Sucker Punch mit mehr Schwerpunkt auf den Psycho-Anteil und Einfluss von Pans Labyrinth etc." geleitet. In der Ausschreibung war zusätzlich ein Disclaimer, dass Themen wie Mißbrauch, Selbstverletzung etc. vorkommen können, also quasi "nach oben offen".
Ich hatte keinen Plot geplant, bei DRYH haben die erstellen Charaktere sehr viel Einfluss auf die Entwicklung, daher hätte ich nicht vorhersagen können, was drankommt.
Die Mitspieler wussten also, was sie erwartet und hatten Bock auf das Experiment.
Grundthema der Runde war das Konfrontieren der Charaktere mit ihren jeweiligen Traumata und die Frage, welche Entscheidungen sie daraus treffen.
In einer Flashbackszene wachte ein Charakter nachts auf und hörte seine kleine Schwester unten mit ihrem Vater reden. Er schlich sich nach unten und sah aus der angelehnten Tür, wie ihr Vater sie vom Joint ziehen lässt. Ich habe angedeutet, dass er noch mehr macht - aber nicht genau was. Der Spieler hatte die Wahl, einzugreifen - oder nicht. (Der innere Konflikt war, dass seine Schwester vorher dafür gesorgt hatte, dass der SC vom Vater Prügel bezieht).
Das war die extremeste und intensivste Szene, die ich als SL jemals geleitet habe. Ich kenne den Spieler und wusste, dass er damit umgehen kann.
Die Spielsitzung war kurz (2,5h glaub ich) aber sehr intensiv und wurde von allen MitspielerInnen als sehr positiv bewertet. Soweit ich das beurteilen kann, ist niemand traumatisiert da rausgegangen
Da ja im Nebenthread schon wiederholt (mal wieder) Unverständnis geäußert wurde, wie man "solche Themen" ins Rollenspiel bringen könnte bzw. das überhaupt jemand sowas wie Spass damit haben kann, würde ich da gerne noch einmal versuchen, darauf einzugehen. Das Thema hat mehrere Ebenen, mal sehen ob ich das irgendwie strukturiert hinbekomme.
1)
Ich mag auch anderer Arten zu spielenDas schreibe ich lieber mal vorweg, um bestimmten Ersteindrücken gegenzuwirken. Nur weil jemand manchmal "abgefuckten Scheiß" im Rollenspiel mag, heißt das nicht, dass das der einzige Lebensinhalt ist. Weit gefehlt! Sowas _will_ ich gar nicht ausschließlich machen! Ich spiele/leite auch mit Vorliebe Mouse Guard, Geheime Welt der Katzen aber auch gern mal klassisches Dungeoncrawling. Das schließt sich nicht aus. Ich bin auch nicht mehr oder weniger Freak als du
2)
Der Ästhetische Sinn fürs GroteskeBei mir zuhause hängt ein Giger-Poster, ich mag Lynch-Filme, Psycho-Horror und finde klassichen Okkultismus spannend. Damit ergänze ich mich sehr gut mit meiner Liebsten. Wir beide (sie noch deutlich mehr) haben aber schon oft die Erfahrung machen müssen, dass wir damit von der "Norm" abweichen. Diese Norm ist stark durch den Zeitgeist geprägt und uns beide eint auch, dass wir mit zeitgenössischer, "üblicher" Ästhetik wenig anfangen können - sei es nun Kunst, Architektur, Fotografie oder sogar Prosa. Nun ist es so, dass die natürliche Reaktion auf Abweichendes erstmal Ablehung (vmtl steht das Selbstschutz im Vordergrund) ist. Trotzdem ist das aus meiner Sicht irritierend, denn dass ich mich für Abseitiges interessiere, heißt ja nicht, dass ich da nicht auch Grenzen habe - meine liegen nur woanders, sind verschoben in Bereiche, die für andere "normal" sind.
Was ICH beispielweise nicht nachvollziehen kann sind hyperrealistische Kriegsszenarien - sei es im Rollenspiel, Prosa oder als PC-Spiele (ich habe schon immer CoD und Konsorten vermieden und "This war of mine" habe ich 2h etragen können). Trotzdem akzeptiere ich, dass Menschen damit Freude haben - und verurteile sie nicht. Wieso sollte ich? Ich kann sogar rational nachvollziehen, wo da die Faszination herkommt.
3)
Gezielte Grenzüberschreitung im Angesichts des realen SchreckensWenn ich mich in diese Grenzthemen vorwage, dann geht es auch darum, meinen Wohlfühlbereich anzukratzen und zu sehen, wie ich damit umgehe. Klingt paradox? Kommt drauf an. Was ich bisher so in meinem Leben mitbekommen habe (zum Glück weniger persönlich sondern hauptsächlich durch Zweite/Dritte) ist, dass egal was wir uns vermeintlich "Hartes" ausdenken: Was real um uns herum passiert, ist garantiert noch abgefuckter. Was Menschen sich antun, kann man sich zT nicht ausdenken.
Warum versucht man es dann trotzdem? Um Handlungen abzuleiten, um aus einer Ohmacht ansichts der Abgefucktheit unserer Welt Situationen zu schaffen, in denen wir etwas machen können. In denen ich mich hineindenke und versuche, aus der Ohnmacht herauszutreten und aktiv zu werden - und wenn es nur in meinem Kopf ist.
Das hat nichts mit sadistischen Fantasien zu tun. Ich möchte das auch als Spieler - und zwar nicht nur bei den harten Zeug. Ich möchte auch in sozialen Konflikten die Möglichkeit haben, mit geziehlten Method Acting in eine Situation zu gelangen, in der ich mich als echte Person unwohl fühlen würde - und dann durch den Wechsel in die "Author Stance" wieder Handlungen zu entwickeln und die Situation zu überwinden.
Rollenspiel ist für mich eine Gelegenheit, nicht nur der Welt zu entfliehen sondern dabei auch noch über mich hinauszuwachsen - auch wenn es "nur" ausgedachte Situationen sind. Allerdings bin ich auch überzeugt, dass das bisher einen (mindestens geringen) positiven Einfluss auf meine echte Persönlichkeit hatte