Die Gruppe, mit der ich damals Fate Core ausprobiert habe, war der klassische Rollenspielerhaufen mit jahrelanger Midgardpraxis auf dem Buckel: Der Spielleiter labert, die Spieler reagieren, treffen eine Entscheidung, wenn´s hoch kommt wird auch mal taktiert / der Spielleiter fordert die Spieler auf zu würfeln, die Spieler würfeln / die Würfel fallen, der Spielleiter labert / Da Capo. Für mich als Spielleiter war das irgendwann unerträgliche Ödnis.
Jetzt aber Fate:
- Plötzlich erzählt nicht das System den Spielern, was ihre Figuren auszeichnet, sie müssen es selbst bestimmen
- Plötzlich gibt es keinen sakrosankten Plot mehr, die Spieler können (zumindest zum Teil) selbst bestimmen, in welche Richtung ihr Abenteuer geht
- Plötzlich gibt es auch im Kleinen, bei einem bestimmten Resolutionsvorgang also, nicht mehr eine einzige verbindliche Regel, sondern die Spieler müssen sich diese Regel teilweise selbst herleiten um entscheiden zu können, wie sie ein Hindernis überwinden
Alle drei Punkte waren schwierig für meine Spieler, besonders aber der letzte. Für mich sah das so aus:
Früher:
Der Spielleiter schildert eine Situation, in der es ein Problem zu bewältigen gilt. Standardmäßig erfordert das Problem die Anwendung einer bestimmten Fertigkeit - logischerweise waren oft auch mehrere Wege möglich, dann gab es eben eine Wahlmöglichkeit. Sobald der Weg feststand wurde gewürfelt. Das Würfelergebnis zeigt so unmissverständlich, wie es eben möglich ist, was geschieht (auch im Falle des Scheitern übrigens... beispielsweise durch genau festgelegten "Sturzschaden" o. ä.).
Jetzt:
Der Spielleiter schildert immer noch eine Situation, in der es ein Problem zu bewältigen gilt. Es reicht nun aber oft genug nicht, eine bestimmte Fertigkeit anzuwenden. Die Spieler müssen viel stärker eigenaktiv werden. Was bisher einfach als Modifikator auf einen Würfelwurf vom Spielleiter, eventuell auch vom Spieler oder von der Spielrunde auf den Würfelwurf angerechnet wurde, bedarf nun mehrerer teilweise kreativer Schritte, für die erstmal der Spieler allein zuständig ist:
- Er muss einen Überblick über die Aspekte gewinnen, die in der Situation zur Verfügung stehen. Um hier eine Wahl treffen zu können, muss er bereits verstanden haben, ob und wie er diese Aspekte nutzen kann.
- Eine Situation ist nicht einfach nur eine Situation, eine Situation kann sich unterschiedlich günstig oder ungünstig darstellen, und das ist davon abhängig, wie geschickt sich der Spieler die durch das System gegebenen Möglichkeiten zunutze macht.
- Er muss auch seine Fatepunkte berücksichtigen und die damit zusammenhängenden Regeln begriffen haben und anwenden können.
- Er muss außerdem jedesmal die unterschiedlichen möglichen Aktionen regeltechnisch einschätzen (also verschiedene Arten von Überwinden und/oder Vorteil erschaffen, etc. gegeneinander abwägen).
Meine Spieler hätten gesagt: Ah, eine Schlucht, eine klapprige Hängebrücke! O.K. Ich kann jetzt "Springen", die Brücke mit "Seilkunst" überprüfen, das Hindernis mit "Klettern" umgehen oder vor der Überquerung der Brücke über einen Zauber einfach um göttlichen Beistand bitten. Solche Sachen gehen. Und vielleicht fällt einem Spieler dann auch hin und wieder mal ein unkonventioneller Weg ein, der ihm einen überraschenden Vorteil bringt. Solche Geistesblitze waren selten, wurden in der Runde aber gefeiert.
Bei Fate hatten meine Spieler das Gefühl, sie müssten bei jeder Probe so eine Höchstleistung abliefern. Das ging schon deshalb nicht, weil sie gar nicht dazu in der Lage (oder zumindest nicht bereit) waren, bei jeder Probe über das Gesamtpaket von Fertigkeiten, Fate-Punkten, Aspekten und die Möglichkeiten durch das Erschaffen von Vorteilen und Überwinden von Hindernissen nachzudenken. Ich konnte ihnen in den Hintern treten und immer wieder erklären, was sie sich jetzt überlegen müssen. Dann ging es ein einziges Mal in einer konkreten Situation. Irgendwann musste ich aber feststellen, dass sich in dem Bereich wohl kein Lerneffekt oder irgendeine Art von produktiver Routine einstellen würde. Irgendwann wollten meine Spieler auch nicht mehr. Wir haben es eineinhalb Jahre versucht.
Über dieses Genörgele wegen ständigem Diskussionsbedarf bei Fate kann ich deshalb eigentlich nur lachen... denn soweit, dass es da etwas zu diskutieren gibt, muss man erstmal kommen! Bei einem halbwegs wohlwollenden Spielleiter und einer Gruppe, die darauf eingestellt ist, auf irgendwelche Überraschungen ein bisschen flexibel zu reagieren, sehe ich da eigentlich auch keine riesigen Probleme. Dieser umfassende Anspruch des Systems an alle Beteiligten, ob positivistischer Regelfanatiker, fluffiger Laberheini oder stiller Beisitzer, der war für uns allerdings eine echte Barriere.
Und dennoch:
Ich habe ein einziges Mal auf einer Con eine wirklich beglückende Fate Core Runde erlebt, in der alle Beteiligten das System beherrschten, vor Kreativität fast übersprudelten und die Fate Punkte wie verrückt nur so durch die Gegend flogen. Das war super... und ich bin echt glücklich, dass ich das auch mal sehen konnte. Ich fand genau dieses Spielerlebnis auch viel, viel toller, als alles, was ich mit pbta erlebt habe (das liegt wohl an den tendenziösen playbooks und dem doch oft autokratischer waltenden Spielleiter bei pbta).
Ich finde Fate wirklich gut... aber der Pool an Leuten, mit denen ich das beglückend spielen kann, scheint mir klein zu sein.
Toll finde ich daher, dass die Fate Anhänger nach langem Schweigen in den letzten ein, zwei Wochen hier im Tanelorn mal wieder ein bisschen mehr den Mund aufmachen. Ich bin nämlich durchaus offen und bereit für neue Erfahrungen, was dieses Spiel angeht. Von daher: macht mal weiter so! Für mich ist das System noch nicht abgehakt.